Der Brand von Notre-Dame war für die Untergangsapologeten das perfekte Symbol: Stundenlang konnten sie ihr morbides Schwelgen vor der ganzen Welt ausleben.

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Als in Paris vergangene Woche die Kathedrale Notre-Dame brannte, waren Millionen von Menschen live dabei. Dank sozialer Medien und Kommentarfunktionen teilten sie miteinander in Echtzeit ihr Entsetzen und ihre persönliche Erinnerungen. Viele von ihnen hielten sich allerdings auch mit Spekulation nicht zurück, allen voran Funktionäre und Anhänger der rechtspopulistischen deutschen AfD.

Während die Kirche brannte, schürte Alice Weidel, Co-Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion und Oppositionsführerin im Bundestag, das Feuer: "In der Karwoche brennt Notre-Dame", begann sie ihren Facebook-Post und zitierte anschließend einen Blogbeitrag über angeblich wachsende Intoleranz und Diskriminierung gegenüber Christen in Europa.

Weidels Parteikollege Björn Höcke schrieb, ebenfalls auf Facebook, über "apokalyptische Zeiten" und zeigte sich kämpferisch: "Auch wenn die Kathedrale tausendmal in Flammen aufgeht, wir bauen sie eintausendundeinmal (sic!) wieder auf."

Symbolik des Untergangs

Die österreichischen Rechtspopulisten wurden ebenso von der brennenden Kathedrale dazu inspiriert, über den Untergang des Abendlandes zu schwadronieren. Gerald Grosz, ein ehemaliger österreichischer Politiker des BZÖ und als manischer Twitterer bekannt, schrieb: "Die Zerstörung von #notredamedeparis steht in fürchterlicher Weise gleichsam für einen Kontinent, der seiner christlichen Wurzeln längst beraubt wurde."

Ähnlich ging es an diesem denkwürdigen Abend auch Martin Lichtmesz (eigentlich Semlitsch), einem führenden Identitären: "Genauso fühle ich mich seit Jahren, wenn ich über Europa nachdenke: als würde ich Notre-Dame beim Abbrennen zusehen."

Apokalypse, Endzeit Untergang, Zerstörung. Das waren die Bilder, die viele extrem Rechte erzeugten, auch als schon längst feststand, dass es sich um keinen Terroranschlag handelte und dass der Brandschaden weniger verheerend als befürchtet ausgefallen war.

Dieses morbide Schwelgen in Untergangsfantasien ist fixer Bestandteil rechtsextremer und faschistischer Ideologien. Das Heraufbeschwören der Katastrophe, des drohenden Untergangs des eigenen Volkes dient einerseits der Mobilisierung gegen den Feind, der "uns" vernichten will. Seit Jahren kann man das gut an "Vorhersagen" wie: "Wien ist im Jahr 2050 muslimisch" oder "Bald sind wir fremd im eigenen Land" beobachten.

Die Angstlust an der nahenden Katastrophe dient andererseits auch dazu, die politische Normalität der Demokratie zu untergraben. Die Botschaft heißt: Wir befinden uns in einem Ausnahmezustand, deswegen können wir uns mit Kinkerlitzchen wie Rechtsordnung oder Schutz der Minderheiten nicht mehr aufhalten.

Staatsmännisch und verheerend

Der Brand von Notre-Dame war für die Untergangsapologeten das perfekte Symbol, stundenlang konnten sie ihr morbides Schwelgen vor der ganzen Welt ausleben: Das christliche Europa brennt nieder, und wir schauen alle zu. Dazu passte auch der gut gemeinte, aber – wie Experten sagen – verheerende Ratschlag von Donald Trump: Man solle das Feuer doch lieber mit Tonnen von Wasser aus der Luft bekämpfen. Doch wie soll man es Trump auch verübeln? Man kann es gut nachvollziehen, dass der Eifer, in einem historischen Moment etwas Staatsmännisches beitragen zu wollen, überwältigend groß sein muss.

Von ähnlichen Gefühlen muss auch Gerald Fleischmann, Sprecher des Bundeskanzlers Kurz, erfasst worden sein, als er twitterte: "Der Brand der Notre-Dame brachte symbolhaft zum Ausdruck, was viele dumpf unausgesprochen fürchten: dass es mit Europa langsam zu Ende geht. Aber das Gerüst steht."

Am Tag darauf will es Fleischmann ganz anders gemeint haben.

Nun steht von Notre-Dame am Ende des verheerenden Brandes wesentlich mehr da als nur das Gerüst. Das ist vor allem der umsichtigen Arbeit der französischen Feuerwehrleute zu verdanken. Sie ließen sich von der Hysterie und den gut gemeinten Ratschlägen nicht anstecken. (Olivera Stajić, 19.4.2019)