Peter Habeler: "Natürlich haben wir den Tod im Hinterstübchen, aber er macht dir nicht Angst. Man versucht sich am Berg zu beweisen, den Tod lässt man außen vor."

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Standard: Welchen Stellenwert haben David Lama und Hansjörg Auer in der Bergsteigerszene?

Habeler: Sie gehörten zu den Besten der Welt. Es gibt keine Liste wie im Tennis, aber sie gehörten auf jeden Fall zu den Top vier. Lama ist eine Ikone. Und Auer, ein Wahnsinn, wie er sich bewegte. Mit der Besteigung der Route Fisch auf der Marmolata in den Dolomiten ist er wie der Phönix aufgestiegen. Man kann nicht sagen, dass einer besser als der andere gewesen wäre. Beide waren auf dem gleichen Level.

Standard: Sie haben den ganz jungen Lama kennengelernt. Können Sie Ihre Erinnerungen beschreiben?

Habeler: Er hat bei mir mit vier Jahren zu klettern begonnen. Ich habe gesehen, er kann was, er macht was, er hat keine Angst. Sein Lebensweg war auf das Klettern ausgerichtet. Er zählte zu den Weltbesten. Dass diese Lawine sein Leben beendet, ist tragisch. Er hatte noch sehr viel vor. Ich kann es noch nicht glauben, aber es wird wohl leider Gottes Tatsache sein, dass die Burschen nicht mehr unter uns weilen.

Standard: Ist es für Sie vorstellbar, dass sie die Gefahren falsch eingeschätzt haben?

Habeler: Unvernünftig waren weder David noch Hansjörg. Sie haben immer alles ausbaldowert und waren umsichtig. Es ist schwer zu verstehen, dass so gute Leute am Berg umkommen. Aber es passiert immer wieder. Man kann ihnen keinen Vorwurf machen, weil beide umdrehen konnten, wenn es zu gefährlich wurde. Das haben sie auch immer wieder getan. Diesmal ist es nicht gelungen.

Standard: Wie gehen Sie mit der Nachricht um?

Habeler: David war ein sehr guter Freund von mir, er war menschlich toll und humorig. Ich habe mit ihm zu meinem 75. Geburtstag den Eiger machen dürfen. Da geht ja auch nicht jeder mit. Er war in Hochform. Es war toll ihm zuzuschauen, wie er sich so behände und flink am großteils vereisten Fels bewegte. Ich bin in Schockstarre. Aber was soll man machen?

Standard: Was kann man im Falle eines Lawinenabgangs machen, um ungeschoren davonzukommen?

Habeler: Wenn die Lawine nicht so mächtig ist, man nicht gegen einen Felsen gedrückt wird, gäbe es noch die Chance, sich eine Lufthöhle zu schaffen. Dann kann man vielleicht ein, zwei Stunden überleben. Das hat es schon gegeben. Aber meistens ist der Mund voller Schnee und wenn die Lawine groß ist, dann geht meistens nichts mehr, dann ist es aus.

Standard: Muss man trotz aller Professionalität auch auf sein Glück hoffen?

Habeler: Natürlich braucht man zum Bergsteigen Glück. Ich kann das nur aus eigener Erfahrung bestätigen, ich bin ein paar Mal runtergefallen, aber Gott sei Dank nie schlimmer zu Schaden gekommen. Aber es braucht wirklich Glück, man muss Schwein haben.

Standard: Sie wurden einmal von einer Lawine mitgerissen. Wie konnten Sie überleben?

Habeler: Das ist lang her. Ich konnte im letzten Moment das Seil um einen Felsen werfen, wir sind dann aber trotzdem abgestürzt. Das war am Großen Möseler im Zillertal. Meine Güte. Das war mein schlimmster Absturz. Es gab ein paar Verletzte, aber es ist niemand gestorben. Diese Geschichte war mehr mit Glück behaftet als alles andere. Ein Wahnsinn.

Standard: Sie haben in Ihrer Karriere zig Kollegen verloren. Wie kann man einem Laien erklären, welche Einstellung ein Extrembergsteiger zu Leben und Tod hat?

Habeler: Das fällt mir schwer, weil viele zu Recht nicht kapieren, warum man sich diesen Gefahren, der Kälte und der Sauerstoffknappheit aussetzt. Aber man wächst da hinein. Und wenn ich als Bergsteiger extrem bin, möchte ich immer was Neues machen. Man bereitet sich vor und marschiert. Man spielt nicht mit dem Tod, sondern lotet aus. Und hie und da geht es leider Gottes blöd aus. Aber man kann das vielen Leuten nicht erklären.

Standard: Geht es auch noch um das Erlebnis in der Natur?

Habeler: Bei David und Hansjörg reden wir von der Spitze des Eisbergs. Es gibt auch sehr viele normale, junge Menschen, die gerne ins Gebirge gehen, die Skitouren machen, egal ob in Tirol oder in Niederösterreich. Es ist toll, es gibt perfekte Ausrüstung. Das sind allerdings zwei Paar Schuhe. Solche Menschen machen das aus gesundheitlichen Gründen, genießen das. Wobei natürlich auch im leichten Gelände etwas passieren kann.

Standard: Denkt der Extrembergsteiger an den Tod?

Habeler: Natürlich haben wir den Tod im Hinterstübchen, aber er macht dir nicht Angst. Man versucht sich am Berg zu beweisen, den Tod lässt man außen vor. Natürlich passt man auf, damit ja nichts passiert, ist voll auf die nächsten paar Meter, das Einschlagen der Haken und das Sicherungsmanagement konzentriert. Gedanken an den Tod kommen vielleicht beim Biwakieren, wenn Lawinengefahr besteht oder man nicht weiß, wie man wieder runterkommt. Dann wird das Leben noch intensiver und pulsierender. (Thomas Hirner, 19.4.2019)