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Mehrfach hat Poroschenko Selenski zur Debatte herausgefordert ...

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... doch der erhörte ihn erst unmittelbar vor der Abstimmung.

In ihrer einzigen direkten Begegnung im ukrainischen Präsidentschaftswahlkampf, die am Freitagabend im Kiewer Olympiastadion über die Bühne ging, haben sich der amtierende Präsident Petro Poroschenko und der Herausforderer Wladimir Selenski am Freitagabend wechselseitig vor allem Vorwürfe gemacht, aber kaum miteinander diskutiert. Insgesamt mutete die Veranstaltung wie ein großangelegter Filmdreh mit vielen Statisten an.

Mit diesem ungewöhnlichen Höhepunkt vor mehr als 10.000 Menschen im für 70.000 Personen konzipierten Olympiastadion und Millionen Ukrainern vor den Fernsehbildschirmen ist ein turbulenter Präsidentschaftswahlkampf de facto zu Ende gegangen, seit Mitternacht darf nicht mehr agitiert werden. Unklar blieb nach Ende der Veranstaltung, ob sie das Wahlverhalten in der Stichwahl am Sonntag beeinflussen würde. Zuletzt hatten alle Meinungsumfragen den populären Fernsehkabarettisten mit einem nahezu uneinholbaren Vorsprung in Führung gesehen.

Begonnen hatte das Rededuell kurz nach 19 Uhr Ortszeit. Nach dem Absingen der Nationalhymne waren beide Kandidaten zunächst eingeladen, auf einer gemeinsamen Bühne kurze Präsentationen zu machen und anschließend einander Fragen zu stellen. Poroschenko hatte klares Heimspiel – seine Anhänger, die teils in Autobussen zum Stadion gebracht worden waren, dominierten zahlenmäßig. Sie bewirkten durch laute Unmutsbekundungen, dass zahlreiche Wortmeldungen Selenskis im Stadion akustisch unverständlich blieben.

Eine inhaltliche Debatte stand aber für die Kandidaten nicht im Vordergrund, beide vermieden zudem neue inhaltliche Akzente. Nachdem Selenski den amtierenden Präsidenten als "Fehler für die Ukraine" bezeichnet hatte, erwiderte der Präsident: "Sie sind keine Katze im Sack, Sie sind ein Sack, und in Ihrem Sack sind Teufel und Katzen." Er bezog sich damit auf ein Fernsehinterview Selenskis, in dem der russische Präsident Wladimir Putin vom Interviewer als Teufel bezeichnet worden war.

Zugabe

Der Herausforderer warf im Gegenzug seinem Mitbewerber vor, dass Süßwaren von Poroschenkos Konzern Roschen in Moskau weiterhin zu kaufen seien und dass Soldaten der selbstdeklarierten Volksrepubliken in der Ostukraine Roschen-Schokolade in ihrer Ration hätten. "Alles, was Wladimir sagt, ist eine Lüge und entspricht nicht der Wahrheit", erwiderte Poroschenko.

Während Selenski nach dem offiziellen Ende der Veranstaltung das Stadion sofort in einem Kleinbus verließ, gab es vom amtierenden Präsidenten noch eine Zugabe. Gemeinsam mit prominenten Unterstützern wanderte er zu einer weiteren Bühne und wandte sich in einer emotionalen Rede nicht nur an seine Anhänger im Stadion, sondern insbesondere auch an das Wahlvolk vor den Bildschirmen. Neben dem Präsidenten stand unter anderem die offizielle Gebärdendolmetscherin des Fernsehsenders Prjamyj, der für den Wahlkampf Poroschenkos eine zentrale Rolle gespielt hatte.

Selbst eilte der Präsident anschließend in das Studio des öffentlich-rechtlichen Senders Suspilne, wo nach Vorgaben der staatlichen Wahlkommission um 21 Uhr Ortszeit eine Diskussion der beiden Spitzenkandidaten stattfinden sollte. Herausforderer Selenski blieb fern. "Wir sehen keinen Sinn, dafür noch Ressourcen zu verwenden", begründete dies sein enger Mitarbeiter Iwan Bakanow vor Journalisten.

Poroschenko wollte sich ursprünglich schon am vergangenen Sonntag mit Selenski duellieren – je früher, desto besser. Umso größer die Chance, mit einem guten Auftritt den Trend herumzureißen. Doch Selenski, von seinem Gegner als "Schwächling" tituliert, blieb in der Terminfrage hart.

Die meisten politischen Beobachter sind allerdings vorab skeptisch. Denn die Wahl ist weniger eine Entscheidung für Selenski als eine gegen Poroschenko. Julia Timoschenko, die in der ersten Runde knapp hinter Poroschenko lag, sieht keine Chance mehr für den Amtsinhaber. Doch Poroschenko, der in der ersten Wahlrunde seine Anhänger noch mit polarisierenden Äußerungen mobilisiert hatte, hat vor der Stichwahl zumindest die Tonart gewechselt und versucht, Kanten zu glätten. So sprach er plötzlich vermehrt russisch. An der These, dass er als einziger Präsident seinem russischen Amtskollegen Paroli bieten könne, hält er eisern fest. (APA,red, 20.4.2019)