Ein ungemütlicher Ort. Es ist noch immer klamm hier drinnen, während draußen schon der Frühling durchbricht. Das dauert immer, bis sich die Gemäuer der alten Gotteshäuser wieder erwärmen.

Frühestens im Juli, August wird’s wohliger. Danach geht’s wieder bergab. Drinnen in der 1229 erstmals erwähnten Gleisdorfer Stadtpfarrkirche zum hl. Laurentius versammelt sich ein Grüppchen Kinder und Jugendliche um den Altar. Einer schwenkt den Weihrauchkessel, andere bimmeln übermütig mit Glocken.

Wenn sich der Pfarrer im Büro in den Laptop vertieft, unterscheidet ihn bis auf die Priesterkleidung kaum etwas von einem Manager eines mittelständischen Unternehmens.
Foto: Erwin Scheriau

Pfarrer Gerhard Hörting dirigiert seine Ministranten- und Ministrantinnenschar durch die Osterzeremonie: "Hey, es ist die wichtigste Woche, da seid ihr ganz nah an Jesus dran, wie die engsten Freunde von Jesus. Mit Jesus erfahren wir: Gott ist bei mir." Einige hören sogar aufmerksam zu. Dann wird’s amtlich: "Also, wir ziehen durch das Haupttor ein und ... wer hält die Kelche?"

"Ich mach das echt gerne hier", sagt einer aus der Bubenrunde. Sarah, Julia und Anna stimmen zu. Es ist freilich nicht die reine Frömmigkeit, die sie hierher in die alte oststeirische Kirche führt. "Es taugt mir, dass man Freunde kennenlernt", sagt Sarah.

"Hauptsache, sie kommen", lächelt der 47-jährige Pfarrer milde. 250 Austritte muss Hörting in seinem Pfarrverband, bestehend aus den Gemeinden Gleisdorf, Hartmannsdorf und Sinabelkirchen mit insgesamt 18.000 Einwohnern, jährlich abhaken. Da zählt jedes neue Gotteskind. Wie auch jenes, das sich für elf Uhr nach der Ministrantenprobe für ein vertrauliches Gespräch angesagt hat.

Der Pfarrer managt den katholischen Alltag zwischen Austritten, Missbrauchsfällen und "schönen Ritualen".
Foto: Erwin Scheriau

Ein junger Mann will wieder in die katholische Kirche eintreten. Aber das lässt den Pfarrer nicht sonderlich euphorisch werden: "Er will nur deswegen wieder eintreten, damit er Firmpate sein kann." Na ja, aber trotzdem eine Gelegenheit, ein Schäfchen wieder an der Angel zu haben.

Wenn er so herumgeht, wenig später im Pfarrhof, mit dem Smartphone am Ohr, und sich dann im Büro in den Laptop vertieft, unterscheidet ihn bis auf die Priesterkleidung kaum etwas von einem Manager eines mittelständischen Unternehmens. Auch Ostern ist letztlich nur ein Job. Die Idylle vom Pfarrer im Dorf, der sich am Wirtshaustisch mit seiner Gemeinde vergnügt, spielt’s längst nicht mehr.

"Gott war stärker"

"Ich bin durchgetaktet, ich kann kaum noch zu Totenmahlen gehen. Da fehlen mir zwei Stunden, die ich woanders brauche", sagt Hörting, der eigentlich ins internationale Handelsrecht einsteigen wollte. Aber: "Gott war stärker."

Jeden zweiten Tag wird der mit drei Geschwistern in schlichten Verhältnissen (Vater Straßenkehrer, Mutter Hausfrau) aufgewachsene Pfarrer zu einem Begräbnis gerufen. Auf der anderen Seite der Lebenskette stehen ein, zwei Taufen pro Woche im Gemeindeverband zu Buche. Die Alten sterben, die Jungen bleiben aus. Wie überall.

"Ich bin durchgetaktet, ich kann kaum noch zu Totenmahlen gehen. Da fehlen mir zwei Stunden, die ich woanders brauche", sagt Hörting.
Foto: Erwin Scheriau

"Gott und die Kirche gehören bei den Heranwachsenden sicher nicht zu den Top Ten. Wir leben halt im Generalverdacht, Ewiggestrige zu sein, die Jungen nicht viel zu sagen haben."

Aber nun will der Pfarrer über Erbaulicheres reden. Die "schönste Zeit" sei für ihn der Tagesbeginn, sagt Hörting. Nach dem Morgengebet geht’s um acht Uhr in die Frühmesse. "Ich war lange in Rom, von dort habe ich mir die italienische Frühstücksgewohnheit mitgenommen: zwei Espressi." Die tägliche Frühmesse sei gut besucht.

"Für mich ist diese Frühmesse ein prägender Beginn des Tages. Ohne Orgel, die katholische Liturgie in ihrer einfachsten Form mit Gesang der Gläubigen. Ein alter, schöner Ritus am Morgen. Um halb neun ist alles vorbei. Das hängt auch mit den Parkgebühren zusammen. Sonst werden die Kirchenbesucher bestraft."

Nach der Ministrantenprobe, dem Gespräch mit dem verlorenen Sohn und Telefonaten ruft die Pfarrköchin zum Mittagstisch: Röstkartoffel, Spiegelei, Spinat. Wie sich das an einem Gründonnerstag gehört.

Pater Adrianus Gegi von der indonesischen Insel Flores gesellt sich dazu. Etwas verspätet nimmt auch Pater Elie Ndabadugitse aus Burundi am Tisch Platz. Beide sind dem Pfarrer als Hilfe zugeteilt. Elie Ndabadugitse kommt soeben von einer Krankensalbung. "Da haben wir wohl nächste Woche noch ein Begräbnis", sagt Hörting. Für letzte Ölungen und Krankensalbungen stehen die drei per Notruf rund um die Uhr bereit.

Neben seinem Priesterjob in Gleisdorf ist Hörting auch als Richter am Diözesangericht in Graz tätig. Zweimal pro Woche verhandelt er sensible Fälle, etwa Priesteraustritte und Eheannullierungen.

STANDARD: Können Sie jene verstehen, die ihr Priesteramt niederlegen?
Hörting: Ich verstehe das absolut, es tut mir um so manchen leid. Auch der Kaplan, der mich in meiner Laufbahn beeinflusst hat, hat das Priesteramt verlassen, weil er eine Frau kennengelernt und eine Familie gegründet hat. Es trifft junge, aber auch alte Priester.
STANDARD: Könnte Ihnen das auch passieren?
Hörting: Natürlich, man soll sich nie sicher fühlen.
Zwischen Choreografieprobe für die Osterliturgie und Terminplanungen für die nächste Woche.
Foto: Erwin Scheriau

Als Kirchenrechtler müsse er auch Missbrauchsfälle verhandeln, erzählt Hörting. "Wir haben Zeit gebraucht, bis wir erkannten, dass das Wirklichkeit ist." Und diese Wirklichkeit dürfe jetzt nicht mit dem "Mantel der Barmherzigkeit" zugedeckt werden. Volle Offenheit sei gefragt.

Das Tischgespräch muss Hörting nach einer halben Stunde abbrechen. Die beiden Sekretärinnen und die Pastoralassistentinnen warten bereits auf ihren Chef. Es steht einiges an: die Trauung in Eggersdorf. Die Trauzeugin ist hochschwanger, sie wird ausfallen. Was tun? Weiters: zwei Taufen innerhalb einer Familie. Ein Teil ist evangelisch. "Geht das, dass die katholische Taufe in der evangelischen Kirche stattfindet? "Hm, das muss Graz entscheiden."

Warten auf Antworten

Weiters auf der Agenda: Der Familienstreit um eine Gruft, und wie soll das Problem der Priestergräber organisiert werden? Dann der "Versicherungsfall Opferstock", nachdem dieser ausgeraubt und beschädigt worden ist. Pilgerreisen, Feste, Renovierungen müssen besprochen und ein Stapel an Korrespondenz gelesen und unterschrieben werden.

Pfarrer Gerhard Hörting dirigiert seine Ministranten- und Ministrantinnenschar durch die Osterzeremonie.
Foto: Erwin Scheriau

Während Hörting die Urlaubspläne seiner Mitarbeiter durchgeht, sammelt sich vor dem Kirchentor eine Trauergemeinde zum Totengottesdienst. Ein tragischer Fall, sagt der Pfarrer. Der Verstorbene hat sich im Krankenhaus ein tödliches Virus eingefangen, während die Familie auf Genesung hoffte. Und jetzt warten alle auf Antworten von ihm auf ihr fassungsloses "Warum?".

Eine Viertelstunde lang zieht sich Pfarrer Hörting zurück, um sich für die Totenpredigt zu sammeln. Dann spaziert er hinüber in die kalte Laurentiuskirche, um den Trauernden eine bittere Wahrheit mitzuteilen: "Die Antwort muss jeder für sich allein finden." (Walter Müller, 21.4.2019)