Tobias Schweiger: Die türkis-blaue Regierung betreibt sehr gezielte Sachpolitik – sie gefällt uns vielleicht nur nicht.

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Reinhold Mitterlehner kritisierte im Gastkommentar die mangelnde Sachpolitik der türkis-blauen Regierung. Tobias Schweiger, der Sprecher der Jungen Linken, widerspricht ihm in einer Replik.

Es ist erfrischend zu lesen, wie klar der ehemalige ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner die rechtspopulistische Wandlung seiner Partei im Kommentar der anderen ausspricht. Er analysiert treffender als die Opposition, dass die aktuelle Migrationspolitik ein Ablenkungsmanöver der Regierung ist. Seine Feststellung, die Regierung tarne damit ihre mangelnde Sachpolitik und diese Sachpolitik sei die wirkliche Lösung für Österreich, ist jedoch aus drei Gründen falsch.

Gezielte Sachpolitik

Erstens betreibt die türkis-blaue Regierung sehr gezielte Sachpolitik – sie gefällt uns vielleicht nur nicht. Die Regierung fördert auf allen Ebenen die Interessen der großen exportierenden Unternehmen und lässt dabei die Bedürfnisse vieler Menschen unter den Tisch fallen. Mit der Ausweitung des Zwölfstundentags und der 60-Stunden-Woche wird der Druck auf Beschäftigte erhöht. Mit den Kürzungen von 430 Millionen Euro bei der AUVA verschiebt die Regierung Gesundheitskosten von den Unternehmern zur arbeitenden Bevölkerung. Mit der Umstellung der Mindestsicherung geht nicht nur die Möglichkeit massiver finanzieller Einschnitte einher: Sie zeigt, dass der Anspruch, das Mindeste zu bekommen, was man in Österreich zum Leben braucht, wieder eine willkürliche Hilfe werden soll, die an strenge Bedingungen geknüpft ist.

Das alles ist Sachpolitik, aber eben Sachpolitik gegen die große Mehrheit der Menschen. Die direkt Betroffenen werden als faul beleidigt oder rassistisch ins Abseits gestellt. Diese Maßnahmen machen das Leben für uns alle unsicherer. Wenn wir nicht deutlich machen, dass die Symbolpolitik von Türkis-Blau die Funktion hat, die Verletzung der Interessen vieler ihrer Wählerinnen und Wähler durch ihre Politik zu verstecken, haben wir das Projekt der Regierung falsch verstanden.

Rassistischer Kitt

Zweitens ist auch diese Symbolpolitik nicht einfach ein willkommenes Mittel. Die Agenda für die reichen fünf Prozent Österreichs harmoniert blendend mit dem rassistischen Kitt, den die FPÖ liefert. Der Bundeskanzler weiß, mit wem er koaliert. Die Verflechtungen der FPÖ sind seit Jahren bekannt. Wir sind so weit, heute Debatten zu führen, ob der Vizekanzler ein Ex-Neonazi ist. Dabei brauchen wir nur einen Blick in parteinahe Medien der FPÖ zu werfen ("Aula", "Unzensuriert"), um zu sehen, was ihre Distanzierung von anderen Rechtsextremen wert ist.

Die Regierung verfolgt ein rassistisches Projekt und möchte den Staat daraufhin umbauen. Die angekündigten Eingriffe in die Grundrechte zeigen klar, dass hier nicht nur ein Ablenkungsmanöver gefahren wird. Die Aufweichung des Rechtsstaats ist das Herz dieser Koalition wie die bedingungslose Vorreihung von Profitinteressen ihr Kopf ist.

Herrschaft der Unvernunft

Drittens tut Mitterlehner so, als wäre Österreich zu Kurz gekommen wie Maria zum Kind. Der Weg für Kurz wurde über Jahre vorbereitet. Von einer Politik, die keine positiven Zukunftsvisionen mehr zeichnen konnte. Von einer Politik, bei der von SPÖ und Grünen bis zur ÖVP alle dabei waren, mitzukürzen, wenn es die Logik der Macht verlangt hat.

Mitterlehner selbst hat die Angriffe gegen die Rechte der arbeitenden Menschen mit seiner Zwölfstundentagdebatte mitvorbereitet. Die etablierten Parteien haben allesamt dabei versagt, viele Menschen mitzunehmen und im Leben der Ärmeren positive Unterschiede zu machen. Es ist gerade die Beschränkung der liberalen Parteien auf die Sachpolitik, die diese Regierung möglich gemacht hat. Es ist gerade dieser pseudo-rationale Kurs der Parteien gewesen, der Politik von den Wünschen der Menschen getrennt hat, der möglich gemacht hat, was viele nun die Herrschaft der Unvernunft nennen.

Ein besseres Leben

Österreich ist ein reiches Land. Trotzdem leben wir in einer Gesellschaft, in der immer mehr Menschen Angst davor haben, sich die Mieten nicht leisten zu können. Es gibt in Österreich genug Grundlagen dafür, alle Menschen ein schönes Leben führen zu lassen. Das fängt damit an, dass Politikerinnen und Politiker wieder etwas von den Lebensrealitäten der Menschen spüren sollten und nicht im Monat verdienen, womit andere im Jahr auskommen müssen. Wenn uns soziale Gerechtigkeit wichtig ist, brauchen wir einen Ausbau des öffentlichen Wohnbaus, der daran anschließt, den Gemeindebau zum schönsten und günstigsten Wohnraum in der besten Lage zu machen. Denn Wohnkosten machen oft schon 50 Prozent der Haushaltsausgaben aus. Dafür braucht es eine Umverteilung der Vermögen in Österreich, die gerade in den Krisenjahren gewachsen sind wie schon lange nicht mehr. Und es braucht eine Perspektive über die engen, kapitalistischen Zwänge hinaus.

Das wird sich mit dem Appell an Sachlichkeit nicht erreichen lassen. Dafür müssen die Bedürfnisse der Menschen wieder die politischen Konflikte bestimmen. Wir brauchen eine Politik, die ehrlich verspricht, was sie auch nach der Wahl halten kann. Eine Partei, die Möglichkeiten schafft, sich einzubringen, und Menschen ermutigt, selbst aktiv zu werden. Es geht darum, eine bessere Gesellschaft für jede und jeden von uns in Angriff zu nehmen. (Tobias Schweiger, 24.4.2019)