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Wolodymyr Selenskyj gibt sich siegessicher.

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30 Millionen Wähler sind aufgerufen, sich zwischen Amtsinhaber Petro Poroschenko und Selenskyj zu entscheiden.

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Kiew – Die nach Westen strebende Ukraine bestimmt am Sonntag in einer Stichwahl einen neuen Präsidenten. Begleitet wurde die Abstimmung von einem weiteren Schlagabtausch der beiden Kandidaten. "Es ist sehr wichtig, dass bei der Wahl der Verstand Oberhand behält", sagte Amtsinhaber Petro Poroschenko bei seiner Stimmabgabe in Kiew am orthodoxen Palmsonntag.

In zuletzt veröffentlichten Umfragen lag der Präsident deutlich hinter dem Politneuling und Komiker Wolodymyr Selenskyj. Poroschenko sagte, die Abstimmung könne Spaß machen. "Aber danach sollte es nicht schmerzhaft werden", mahnte der Amtsinhaber. "Ich verlasse mich auf die Weisheit des ukrainischen Volkes."

Der Urnengang begann um 08.00 Uhr Ortszeit (07.00 Uhr MESZ). Rund 30 Millionen Wähler sind in der krisengebeutelten Ex-Sowjetrepublik zur Stimmabgabe aufgerufen. Erste Prognosen werden kurz nach Schließung der Wahllokale ab 20.00 Uhr (19.00 Uhr MESZ) erwartet.

Anzeige gegen Selenskyj

Die Stimmabgabe Selenskyjs wird ein Nachspiel vor Gericht haben. Da der Präsidentschaftskandidat am Sonntagvormittag auf Verlangen von Journalisten seinen ausgefüllten Wahlzettel demonstriert hatte, habe die Polizei nun ein Verwaltungsstrafverfahren eingeleitet, erklärte der Sprecher seines Stabs, Dmytro Razumkow, am Nachmittag.

Die Polizei habe das Zeigen des ausgefüllten Wahlzettels als am Wahltag verbotene Agitation interpretiert, die nach dem Artikel 221-10 des ukrainischen Verwaltungsstrafrechts mit Strafen zwischen 510 und 850 Hrywnja (17 und 28 Euro, Anm.) geahndet werde, spezifizierte Selenskyjs Jurist Wadym Haljatschuk. Die diesbezügliche Anzeige werde an das zuständige Gericht weitergeleitet, das anschließend über die Schuld und Strafe entscheiden müsse.

Selenskyj-Sprecher Rasumkow betonte, dass der Präsidentschaftskandidat nicht mutwillig das Gesetz verletzt habe und dies einfach passiert sei. "Die Wahlen sind noch nicht zu Ende und das Land ändert sich schon. Sogar Präsidenten werden schon für Verwaltungsübertretungen angezeigt. Wir hoffen, dass das allgemeine Praxis wird und alle lernen, gesetzestreu zu leben", kommentierte er die Causa entspannt. Anhänger von Selenskyjs Konkurrenten Petro Poroschenko hatten das Vorzeigen des Wahlzettels zuvor in sozialen Netzwerken heftig kritisiert.

Zwei prowestliche Kandidaten

Beide Kandidaten stehen für einen prowestlichen Kurs in Richtung EU und NATO. Sie hatten sich seit dem ersten Wahlgang vor drei Wochen einen hitzigen Wahlkampf geliefert. Dabei war es unter anderem zu Drogentests und einem turbulenten Rede-Duell im Kiewer Olympia-Stadion gekommen. Poroschenko hatte dem Polit-Neuling immer wieder dessen Unerfahrenheit und Populismus vorgeworfen. Selenskyj kritisierte hingegen, dass Poroschenko in fünf Jahren Amtszeit den Krieg im Osten des verarmten Landes nicht beendet hat und die Korruption zugenommen habe.

Poroschenko betonte, dass das Land riesige Fortschritte gemacht habe. "Wir haben eine gesicherte demokratische Tradition und gerade das macht die Ukraine als europäischen Staat aus." Selenskyj konterte im Wahllokal: "Heute habe ich für einen würdigen Menschen im Amt gestimmt." Er versprach, die Korruption im Falle eines Wahlsieges bekämpfen zu wollen.

Bis Mittag registrierte die Wahlkommission in Kiew eine leicht höhere Wahlbeteiligung als im ersten Durchgang. Rund 18 Prozent der Wähler gaben bereits am Vormittag ihre Stimme ab. In den Separatistengebieten Donezk und Luhansk im Osten wird nicht gewählt.

Zehntausende Polizisten sicherten die rund 30.000 Wahllokale. Vor der Stimmabgabe von Selenskyj entblößte sich eine Aktivistin der ukrainischen Frauenrechtsgruppe Femen. Mit nacktem Oberkörper protestierte die hochschwangere Frau gegen den Favoriten und sagte: "Selenskyj ist eine Katze im Sack." Niemand wisse, in welche Richtung die Ukraine unter ihm steuere.

Der Wahlkampf zur Stichwahl war daraufhin in eine politische Schlammschlacht ausgeartet, den auch viele Wähler negativ bewerteten. "Ich bin froh, dass der Wahlkampf endlich beendet ist", sagte der 37 Jahre alte Sergej in einem Kiewer Wahllokal.

Das TV-Duell im Stadion sei jedoch ein Beweis für die Demokratie in dem Land gewesen, sagte der Mann der Deutschen Presse-Agentur. Am Freitag hatten sich Poroschenko und Selenskyj einen spektakulären Schlagabtausch geliefert: Sie diskutierten im Olympiastadion von Kiew vor etwa 20.000 Zuschauern.

Klage über Schmutzkampagnen

Ein anderer Wähler beklagte die vielen Falschnachrichten und Schmutzkampagnen, die den Wahlkampf dominierten. "Das war die schlechteste Wahl, die wir je in der Ukraine hatten", sagte Wladislaw, nachdem er abgestimmt hatte.

Die 39-jährige Viktoriya aus Kiew stimmte nach eigenen Angaben für Poroschenko. "Die Leute sind verrückt geworden", sagte sie. Viele wählten Selenskyjs Fernsehcharakter, nicht den Kandidaten selbst. In seiner eigenen Fernsehserie namens "Diener des Volkes" spielt der 41-Jährige einen Lehrer, der unverhofft zum Präsidenten wird.

Larisa, eine 18-jährige Studentin aus der Hafenstadt Mariupol im Osten des Landes, hat nach eigenen Angaben für Selenskyj gestimmt. "Ich denke, es kann nicht schlimmer werden, und ich hoffe, er wird seine Versprechen einhalten", sagte sie der Nachrichtenagentur AFP.

Der blutige Konflikt im Osten der Ukraine war eines der wichtigsten Themen im Wahlkampf. Poroschenko war vor fünf Jahren mit dem Versprechen gewählt worden, den Konflikt schnell zu beenden. Nach UNO-Angaben sind bei Kämpfen zwischen Regierungssoldaten und prorussischen Separatisten rund 13.000 Menschen getötet worden. Die Gefechte halten an. Die Umsetzung des 2015 unter anderem durch deutsche und französische Vermittlung vereinbarten Minsker Friedensplans liegt auf Eis.

Sowohl in der Europäischen Union als auch im benachbarten Russland wird die Abstimmung mit großem Interesse verfolgt. Der russische Außenminister Sergej Lawrow hoffte, dass nach der Wahl der Minsker Friedensplans wieder vorangetrieben werde. Die Wahl wolle er aber vor dem Ergebnis nicht kommentieren, sagte er russischen Agenturen.(APA, 21.4.2019)