Wladimir Selenski hat die Präsidentenwahl in der Ukraine mit mehr als 70 Prozent der Stimmen gewonnen. Das ist ein Erdrutschsieg. Sein Wahlsieg sendet zwei Signale aus. Das wichtigste: Grundsätzlich funktioniert die Demokratie in Kiew. Diese Demokratie hat gravierende Mängel und Schwächen, aber eine friedliche Machtübernahme der Opposition und die Aufgabe derselben durch den Amtsinhaber sind möglich. Das ist ein gravierender Unterschied zu den meisten anderen postsowjetischen Republiken (mit Ausnahme des Baltikums) – aber auch zum Sturz von Wiktor Janukowitsch 2014. Selenski hat das selbst noch am Wahlabend deutlich gemacht: "Was ich den postsowjetischen Ländern sagen möchte: Schaut auf uns – alles ist möglich."

Enttäuschte Ukrainer

Zugleich ist der hohe Sieg Selenskis aber auch Ausdruck dafür, wie enttäuscht die Ukrainer über ihre derzeitige politische Führung sind und wie deprimierend ihre soziale Lage ist. Vieles ist in den vergangenen fünf Jahren schiefgelaufen. Vor fünf Jahren auf dem Maidan haben die Ukrainer gegen einen diebischen Präsidenten demonstriert, der sich und seine Umgebung ungeniert auf Kosten des Landes bereicherte. Bekommen haben sie einen weiteren Oligarchen, der seit Ewigkeiten in der ukrainischen Politik mitmischte. Die Korruption grassiert trotz aller Versprechen weiterhin in der Ukraine. Der Konflikt mit dem Nachbarn Russland, ausgetragen im Donbass-Gebiet, ruiniert das Land. Die Armut ist in den letzten Jahren drastisch gewachsen.

So setzen die Ukrainer ihre Hoffnung in einen politischen Newcomer, der bisher weder ein Programm noch seine Mannschaft vorgestellt hat. Als unbeschriebenes Blatt bietet er sich als Projektionsfläche für die Hoffnungen der Menschen an. Doch es ist leichter, Erwartungen zu wecken, als diese zu erfüllen. Dies wird auch Selenski feststellen. Für den erfolgreichen Komiker ist nun Schluss mit lustig. Die hohen Zustimmungswerte, die er bekommen hat, bedeuten eine große Verantwortung.

Krieg im Donbass beenden

Er muss beweisen, dass er mehr ist als einer der vielen Populisten, deren politischer Aufstieg in den letzten Jahren zum globalen Trend geworden ist. Das Zeug dazu hat der gelernte Jurist. Drei Aufgaben sind dabei prioritär: Er muss den Krieg im Donbass beenden. Dazu hat er bereits angekündigt, die Gespräche im Minsker Format wieder aufzunehmen, was zunächst einmal richtig ist. Dann muss er die Wirtschaft ankurbeln und drittens die soziale Balance wiederherstellen.

Alle drei Punkte sind sehr schwer zu realisieren, und Selenskis Erfolg hängt bei weitem nicht nur von ihm selbst ab. Aber er muss jetzt zeigen, dass er einen Präsidenten nicht nur spielen kann – wie in der Erfolgsserie Diener des Volkes -, sondern tatsächlich als solcher auf internationaler Ebene, aber auch im Sumpf der nationalen Politik bestehen kann. Seine Widersacher wie Kremlchef Wladimir Putin sind viel erfahrener als Selenski. Trotzdem muss er liefern. Viel Erfolg! (André Ballin, 22.4.2019)