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Polizisten im Einsatz bei den Gelbwesten-Protesten am vergangenen Samstag. Viele von ihnen sind zunehmend überlastet und ausgebrannt.

Foto: REUTERS/Yves Herman

"Zu viel ist zu viel", meinte ein Sprecher der Gewerkschaft Alternative-Police nach der Osterdemonstration der Gelbwesten. Am Pariser Umzug hatten radikale Aktivisten mehrmals den Slogan "Suicidez-vous", zu Deutsch: "Bringt euch um", angestimmt. Adressaten des schäbigen Appells waren die schwer ausgerüsteten CRS-Polizisten, eine Einheit der nationalen Polizei. Sie leisten seit vergangenem November an jedem Samstag Dienst, um die Demonstranten in Schach zu halten. Mehrere wurden schon niedergetrampelt und zusammengeschlagen.

Die oft wegen ihrer Körpermasse ausgewählten CRS sind auch keine Chorknaben: Mit ihren Flashball-Kanonen haben sie schon mehreren Gilets jaunes ein Auge ausgeschossen. Polizeibrutalität ist ein regelmäßiges Medienthema und selbst die Uno hat Frankreich für die harten Einsätze gerügt. Der Aufruf zum Selbstmord hat die Polizeikräfte aber ihrerseits hart getroffen. Denn es stimmt: Immer mehr "Flics" nehmen sich in Frankreich das Leben.

Seit Jahresbeginn waren es 28. Das bedeutet, dass in Frankreich alle vier Tage ein Polizist Suizid begeht. Im vergangenen Jahr waren es 35. Wenn man zu den nationalen Polizisten auch die Gendarmen zählt, waren es 68. 2017 hatten sich 50 französische Polizisten umgebracht, 60 Prozent davon mit der Dienstwaffe. Laut einer weiteren Statistik liegt die polizeiliche Selbstmordrate um 36 Prozent über derjenigen der übrigen Bevölkerung.

Unregelmäßige Einsatzzeiten

Warum dieses Phänomen? Als Hauptgrund werden meist "persönliche Motive" genannt. Catherine Pinson, die Vorsteherin des psychologischen Betreuungsdienstes der Polizei (SSPO), präzisiert allerdings, verantwortlich sei das Zusammenspiel zwischen Berufs- und Privatleben. Seit den schweren Terroranschlägen von 2015 hätten die unregelmäßigen Einsatzzeiten stark zugenommen, was ein normales Familienleben erschwere. Die Ermordung zweier Polizisten in Magnanville im Jahre 2016 durch einen Jihadisten habe zudem viele Polizisten veranlasst, ihren Wohn- und Arbeitsort so weit wie möglich zu trennen.

Dazu kommt die chronische Überlastung, sind doch in den vergangenen Jahren über 20 Millionen polizeilicher Überstunden nicht mehr abgetragen worden. Auch wenn die Regierung seit der Attentatswelle 9.000 zusätzliche Polizisten eingestellt hat, leiden viele unter Burnout. Dazu kommen Depressionen, manchmal auch Alkoholprobleme.

Auffällig ist, dass die Terrorjahre 2015 und 2016 zu keinem Anstieg der polizeilichen Selbstmorde geführt haben. Der Polizeiexperte Sebastien Roché glaubt, viele Ordnungshüter hätten sich damals anerkannt und in ihrer Arbeit bestätigt gefühlt. Die Franzosen seien froh über die Existenz der Ordnungskräfte gewesen und hätten dies auch kundgetan.

Schlechter Ruf

Das war aber die Ausnahme. "Les flics" genießen in Frankreich keinen guten Ruf. Sie gelten nicht als Freund und Helfer, sondern als Handlanger des anonymen Staates. Verachtet, oft verhasst, werden sie im besten Fall belächelt – wie etwa im legendären Spielfilm "Der Gendarm von Saint-Tropez" mit Louis de Funès.

Seitdem sich die Terrorgefahr "banalisiert" hat, sind die Polizisten wieder unbeliebt wie eh. Oft haben sie das Gefühl, dass sie für die gerade gewählte Regierung die Dreckarbeit erledigen, aber nicht einmal die nötige politische Schützenhilfe erhalten. In den Banlieue-Vierteln legen sie sich täglich mit gefährlichen Drogenbanden an, was meist so wenig nützt wie die wiederholte Außerlandesschaffung illegaler Migranten. Seit November schlagen sich die CRS-Schutzmänner mit den Gelbwesten herum. Nun müssen sie auch noch die neue Taktik des unerfahrenen Innenministers Christophe Castaners umsetzen, jagen sie doch mit mobilen Einheiten die Profirandalierer des Schwarzen Blocks, der die zunehmend ausgedünnten Gilets jaunes ersetzt.

Sisyphus-Einsätze

All das steigert das Gefühl von Entkräftung und sinnlosen Sisyphus-Einsätzen. Vor allem, wenn sie nun auch noch hören müssen, sie sollten sich doch die Kugel geben. "Das ist ein richtiger Aufruf zum Hass auf die Polizei", beklagte sich die Gewerkschaft CFDT. Castaner drückte den Polizisten via Twitter seine "totale Unterstützung" aus. Die Justiz ermittelt, da der Aufruf zum Selbstmord in Frankreich ein Straftatbestand ist.

Die Polizeigewerkschaften verlangen überdies, dass ihre Mitglieder die Dienstwaffe nicht mehr nach Hause mitnehmen müssen, wie das seit den Terroranschlägen von 2015 der Fall ist. (Stefan Brändle aus Paris, 24.4.2019)