E-Government-Services sind eine positive Zukunftsentwicklung – doch sie müssen Schutz vor Missbrauch bieten und dürfen nicht diskriminieren.

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Peter Kraus sieht E-Government als eine positive Zukunftsentwicklung, auch um das Vertrauen zwischen Bürger und Behörde zu verbessern. Das De-Anonymisierungs-Gesetz der Regierung könnte diese Vertrauensbasis nun erschüttern, erklärt der Gemeinderat der Wiener Grünen im Gastkommentar.

Es ist eine Illusion, mit Klarnamen weniger Hass im Netz zu haben. Das sagt einer, der sich auskennen muss: Nikolas Tsekas, der Leiter von "Dialog statt Hass", einem Projekt des Vereins Neustart, das mit Hasspostern arbeitet, die übrigens zum Großteil unter Klarnamen gegen Migranten, Homosexuelle oder Frauen gehetzt haben. Was uns die Bundesregierung hier also als Lösung verkaufen will, ist eine Beschränkung der Meinungsfreiheit, eine Vorratsdatenspeicherung für Userdaten und ein Angriff auf das Vertrauen in digitale Services – auch auf die eigenen.

Grundlage des Rechtsstaats

E-Government ist eine tolle Sache. Niederschwellig, sicher, nur jene Daten, die wirklich notwendig sind. Und es ist einfach auch praktischer, Amtswege von der Couch oder nebenbei vom Büro-PC zu erledigen: das übers Internet georderte Parkpickerl, die online bezahlte Hundesteuer oder die Wahlkarte für die Europawahl. Die wichtigste Grundlage, damit E-Government funktioniert, ist das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger.

Gehe ich als Bürger aufs Amt, so kann ich – wenn wir uns für einen Moment von gängigen Amtswegklischees befreien – auf etwas Zentrales vertrauen: Ich habe ein Anliegen, einen Antrag, eine Meldepflicht, und egal wer ich bin, egal wie mein Anliegen ist, es wird gesetzeskonform abgehandelt. Das mag mir im Einzelfall gefallen oder nicht, helfen oder nicht. Aber es passiert. Dieses Grundvertrauen ist eine wesentliche Grundlage des Rechtsstaats.

Schutz vor Missbrauch

Europa ist eben nicht China, wo Digitalisierung bis in den allerpersönlichsten Bereich verordnet wird. Was wir bislang aus der dystopischen Fernsehserie Black Mirror kannten, findet sich mittlerweile in ganz realen Berichten zum chinesischen Social-Score-System wieder. Unsere kontinentaleuropäischen Erfahrungen mit Überwachung und Missbrauch staatlicher Gewalt sind katastrophal. Die Ängste daraus sind frisch und entsprechen einem Grundverständnis von demokratischer Kontrolle und der Tatsache, dass sich die Regierenden gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern zu rechtfertigen haben.

Umso größer ist die Besorgnis gegenüber den jüngsten Entwicklungen von elektronischen Governmental Services in Österreich. Portale sind gut, die Bündelung von Services wie etwa bei oesterreich.gv.at nachvollziehbar und richtig. Allerdings müssen diese Services denselben Schutz vor Missbrauch bieten wie die Kontrolle, die "auf dem Amt" verlangt wird. Das ist etwa beim neuen Meldeservice, das ohne Bestätigung durch den Vermieter auskommen soll, nicht der Fall. Ebenso müssen Services diskriminierungsfrei sein. Es ist nicht nachvollziehbar, warum eine Anmeldung nach der Geburt für verheiratete Paare einfacher sein soll als für nicht verheiratete. Das Argument, dass sich dies eben technisch nicht anders umsetzen lasse, ist in etwa so stichhaltig wie Argumente gegen die Barrierefreiheit von Amtsräumlichkeiten. Behörden haben eben die Verpflichtung, für alle Bürgerinnen und Bürger da zu sein. Egal ob analog oder digital.

Freiheit und Privatsphäre

Besorgnis ist auch angesagt angesichts einer digitalen Ausweispflicht im virtuellen Raum. Jeder Bürger, jede Bürgerin hat das Recht, sich im öffentlichen Raum zu bewegen, ohne gefragt zu werden, warum oder wieso. Das nennt sich Freiheit. Wenn ich jemandem meinen Namen nicht nennen will, muss ich das nicht tun. Das ist okay. Wenn die Exekutive einen begründeten Verdacht auf gesetzlicher Grundlage hat, warum sie das anders sieht, hat sie Mittel und Wege, sich Auskunft zu verschaffen. Auch das ist okay. Nicht in Ordnung ist, mit einem tätowierten Barcode am Handgelenk durch die Gegend laufen und diesen an jeder Straßenkreuzung auch noch einchecken zu müssen. Absurd? Keineswegs: Das ist genau das Vorhaben von Minister Gernot Blümel für den virtuellen Raum.

Wie sollen die Bürgerinnen und Bürger darauf vertrauen, dass der elektronische Zugang zu Ämtern und Behörden ebenso offen, vertraulich und nichtdiskriminierend ist wie der Gang aufs Amt? Dass ihre Angaben, die sie machen müssen, um ihre Anliegen zu erledigen, mit Sorgfalt behandelt werden? Wo soll das Vertrauen herkommen, wenn die Regierung selbst über den Einsatz von "De-Anonymisierungs-Software" spricht. Anonymität ist per se nichts Böses, ebenso wie das Recht, im öffentlichen Raum nicht erkannt und fotografiert zu werden. Das nennt sich Recht auf Privatsphäre. Aber abgesehen vom Prinzip: Anonymität kann in der Kommunikation mit Beratungsstellen nicht nur sinnvoll sein, sie ist sogar Voraussetzung für vielerlei Arbeit. ("Anonyme Alkoholiker"? Klingelt es da?)

Vertrauen in den Staat

E-Government war über Jahre eine positive Zukunftsentwicklung, ein Weg, das Vertrauen zwischen Bürgerin, Bürger und Behörde zu verbessern. Elektronische Briefkästen, Anträge, Formulare und vieles andere mehr haben eine Kultur des Empowerments befördert. Sie haben das Gefühl, sich in den repräsentativen, imperialen Räumlichkeiten als Bittsteller präsentieren zu müssen, vermindert. Man fühlt sich als Rechteinhaber und nicht als Rechtsunterworfener. Die derzeitigen Entwicklungen unterminieren diesen Fortschritt, sie stellen jahrelange Entwicklungen hin zu mehr Rechten für die Bürgerinnen und Bürger infrage.

Politik ist dafür da, Rahmenbedingungen zu setzen, damit Grundrechte und individuelle Freiheiten gewährleistet werden. Und nicht, um selbst in den Wettbewerb der großen digitalen Überwacher einzusteigen. Das unterscheidet den Staat nämlich von privaten Datenriesen. Noch, offenbar. (Peter Kraus, 23.4.2019)