Emmanuel Macron hält am Donnerstag seine aus Brandgründen vertagte Rede.

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Emmanuel Macron hat Großes vor, wenn er am Donnerstagabend vor die Presse treten wird: Er will zwar nicht Wasser in Wein, aber immerhin "Wut in Lösungen verwandeln". Politisch gesprochen, reagiert er auf die seit fünf Monaten dauernden Proteste der Gelbwesten mit einer Reihe "starker Maßnahmen", wie eine Elysée-Beraterin meint.

Vieles ist schon durchgesickert. Schließlich wollte der Präsident die Ankündigungen schon vor zehn Tagen machen; die entsprechende Rede war bereits zur TV-Ausstrahlung gefilmt, der Text ausgewählten Journalisten zugestellt worden. Dann aber warf der Brand der Notre-Dame-Kathedrale den präsidialen Kommunikationsplan völlig über den Haufen.

Zweiter Versuch

Jetzt nimmt der Staatschef einen zweiten Anlauf. In der Sache hat Premierminister Edouard Philippe die Stoßrichtung bereits vorgegeben: Priorität haben diverse Steuersenkungen, da sich der Protest der Gelbwesten ursprünglich an einer Benzinsteuererhöhung entzündete. Als Kompensation will Macron überholte Steuernischen für einzelne Bevölkerungsgruppen aufheben.

Die Forderung der Gelbwesten nach Wiedereinführung der Vermögenssteuer (ISF) hat der Präsident bereits aus prinzipiellen Gründen abgelehnt: Dieses frühere Wahlversprechen will er nicht zurücknehmen. Dafür erhört er den Ruf nach einer Verbesserung der Kaufkraft für kleinere Einkommen. Die niedrigeren Pensionen – monatlich bis zu 2.000 Euro pro Ehepaar – werden wieder an die Teuerung angepasst.

Politikerabsetzungen

Ferner hilft Macron alleinerziehenden Müttern, die in Frankreich ein Fünftel der Familien ausmachen und durch Gelbwestenträgerinnen wie Ingrid Levavasseur prominent vertreten wurden: Der Staat soll einspringen, wenn der geschiedene Mann – was in Frankreich oft vorkommt – seine Alimente nicht bezahlt.

Die Gelbwesten verlangen aber auch die Einführung eines Volksinitiativrechts, das die Absetzung gewählter Politiker einschließt. Macron will dieses "RIC" nur auf lokaler Ebene zulassen, da es seiner Meinung nach den zentralistischen und vertikalen Staatsaufbau Frankreichs völlig aus den Angeln heben würde. Dafür könnte der Präsident das heutige Mehrheitswahlrecht durch eine "Dosis Proporz" ergänzen, um kleineren oder allianzlosen Parteien – Grüne, Rechts- und Linkspopulisten – etwas mehr parlamentarische Mitsprache einzuräumen.

Inzucht in der Beamtenkaste

Im Gegenzug möchte Macron die in der Bevölkerung verhassten Prunkausgaben und Privilegien der Pariser Eliten abbauen. "Der Staat muss mit dem guten Beispiel vorangehen, wenn wir eine Gesellschaft der Chancengleichheit aufbauen wollen", hatte er in der durch den Notre-Dame-Brand hinfällig gewordenen Rede vorgeschrieben. Deshalb plant Macron die Abschaffung der Eliteverwaltungsschule ENA. Sie ist als Reproduktionsstätte, ja als Symbol für die Inzucht der in Paris herrschenden Beamtenkaste verschrien: Fast drei Viertel der Absolventen entstammen Familien mit Spitzenbeamten.

Macron hat die in Paris und Straßburg angesiedelte Hochschule wie viele seiner engsten Berater – und wie sein Vorgänger François Hollande – selber absolviert. Wie stark der Einfluss der ENA auf die französische Politik ist, zeigt sich darin, dass in den letzten vierzig Jahren in jeder Präsidentschaftswahl mindestens ein "Enarque" in der Stichwahl vertreten war.

Demokratischere Ausbildungsstätte

Für Frankreich wäre die ersatzlose Abschaffung der Ecole Nationale d'Administration eine Revolution: Der mächtige Zentralstaat, der für mehr als die Hälfte der Wirtschaftsleistung verantwortlich zeichnet, würde seiner Kaderschmiede verlustig gehen – also jenes Ortes, an dem die offenen und diskreten Staatslenker unter sich sind. Macron plant indes dem Vernehmen nach die Einrichtung einer neuen Ausbildungsstätte, die eben einen demokratischeren Zugang ermöglichen soll.

Sprecher mehrerer Parteien haben Macrons Ankündigungen bereits als "völlig ungenügend" bezeichnet. Enttäuscht geben sich auch die Geldwesten, deren Bewegung in den letzten Wochen abgeflaut ist.

Macron hat die sozialpolitisch explosive Lage zwar mit der Ansetzung eines "grand débat" mit 10.000 einzelnen Diskussionsabenden und der Öffnung von "Beschwerdeheften" in den Rathäusern entschärft. Doch nun muss er erneut in die Staatstasche greifen. Im Dezember hatte er bereits Sozialzuschüsse von rund zwölf Milliarden Euro angekündigt. Allein die Anpassung der Pensionen an die Inflation dürfte nun zwei Milliarden Euro kosten. (Stefan Brändle aus Paris, 25.4.2019)