Wer sich in Kolumbien politisch engagiert, lebt gefährlich. Alle drei Tage, so die Volksanwaltschaft, wird in dem südamerikanischen Land eine Führungspersönlichkeit sozialer Bewegungen ermordet. Seit dem Friedensschluss zwischen Regierung und linker Farc-Guerilla im Juni 2016 ist zwar die allgemeine Mordrate auf das niedrigste Niveau seit 1975 gesunken, dies gilt aber nicht für politisch motivierte Angriffe, die kontinuierlich zunehmen.

Im Jahr 2016 waren es 97 Aktivisten, die ermordet wurden, 2017 bereits 159, im Vorjahr zählten die Behörden 164 Morde an Führungspersönlichkeiten, heuer waren es bis 15. April schon 50.

Caloto (Cauca), 18. Juli 2018: Dorfbewohner begleiten den ermordeten Bauernführer Luis Dagua auf seinem letzen Weg.
Foto: APA/AFP/LUIS ROBAYO

Besonders gefährdet sind Gewerkschafter, Gemeinderäte, indigene Anführer und Umweltschützer. Laut UN-Zahlen waren 50 Prozent der Opfer auf Gemeindeebene aktiv, Regierungsangaben zufolge waren 128 der Ermordeten ehemalige Guerillakämpfer.

Am gefährlichsten leben Aktivisten in Regionen, aus denen sich die Guerilla nach dem Friedensschluss zurückgezogen hat, in denen der kolumbianische Staat aber nie angekommen ist.

Aktivisten im Visier

Wo Polizei und Militär nicht hinkommen, übernehmen Drogenbanden, Kriminelle, Betreiber illegaler Bergwerke, rechtsextreme Milizen oder abtrünnige Guerillakämpfer die Macht, und wer dies zu ändern versucht, wird als Bedrohung gesehen. So reicht es, sich dafür einzusetzen, dass Straßen wetterfest gemacht, Brücken repariert oder Wasserleitungen errichtet werden, um ins Visier zu geraten.

El Poblado (Cauca), 9. Dezember 2018: Indigenenführer Edwin Dagua wird begraben.
Foto: APA/AFP/LUIS ROBAYO

Die Regierung beteuert, alles in ihrer Macht Stehende zu unternehmen, um die Morde an Aktivisten zu stoppen. Präsident Iván Duque sei "tief besorgt", und man versuche Gefährdete besser zu schützen, erklärte ein Sprecher. Allerdings haben Ermittlungen unabhängiger Aufsichtsbehörden ergeben, dass die Kriminellen in mehreren Fällen mit Polizei und Militär zusammenarbeiteten, um Morde zu organisieren, berichtet die "New York Times". In 13 Fällen wird gegen Beamte ermittelt.

Großteil bleibt ungestraft

Laut Zahlen der Uno blieben 87 Prozent der politisch motivierten Morde ohne juristische Konsequenzen. Bis Jahresbeginn 2019 wurde bestritten, dass ein System hinter den Angriffen stecke, erst Anfang Jänner erkannte Generalstaatsanwalt Néstor Martinez an, dass es sich wohl doch nicht um Einzelfälle handelt.

Demonstration für Gerechtigkeit, Schutz und Anerkennung für soziale Anführer, Den Haag, 6. April 2019.

Ende Jänner wurde der "Plan des rechtzeitigen Handelns für Schutz und Prävention" (Plan de Accion opurtuna de Prevención y Protección, PAO) beschlossen, in dessen Rahmen 4.000 Aktivisten und soziale Anführer durch die Ausgabe von Mobiltelefonen, Schutzwesten und gepanzerten Fahrzeugen sowie durch die Zuteilung von Wachpersonal geschützt werden sollen.

Gedenken an die Ermordeten in Bogotá, Juli 2018.
Foto: APA/AFP/JOAQUIN SARMIENTO

Dass dem PAO allerdings Ex-General Leonardo Alfonso Barrero Gordillo vorstehen sollte, dem vorgeworfen wird, als Kommandant der 16. Brigade in Casarane an der Ermordung unbeteiligter Zivilisten beteiligt gewesen zu sein, ließ bei NGOs Alarmglocken schrillen.

Ministerin verteidigt umstrittenen General

Innenministerin Nancy Patricia Gutiérrez verteidigte anfangs die Berufung des umstrittenen Ex-Militärs, dessen Lebenslauf ihrer Ansicht nach "keinen einzigen Fleck aufweist", um nur zwei Tage später zu erklären, Barrero sei nie als Vorsitzender, sondern lediglich als Verbindungsmann zum Militär eingeplant gewesen.

Die Mordserie ruft Erinnerungen an dunkle Zeiten in Kolumbien hervor: Anfang 1985 gründete die Farc-Guerilla eine Partei, um statt des bewaffneten Kampfes gegen den Staat die Auseinandersetzung im Parlament zu führen.

Gedenken an die ermordeten Mitglieder der "Unión Patriótica", Bogotá, Oktober 2017.
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Damals wurden innerhalb von fünf Jahren 3.000 Mitglieder dieser Unión Patriótica (UP), darunter 1.000 Führungskader und zwei Präsidentschaftskandidaten, ermordet. "In Kolumbien hat sich politische Partizipation als gefährlicher als der bewaffnete Kampf erwiesen", schrieb die US-Menschenrechtsgruppe Americas Watch damals.

Im Jänner dieses Jahres erklärte Iván Márquez, der seit Monaten untergetauchte ehemalige Chefunterhändler der Farc, in einer Videobotschaft an die Teilnehmer der Rosa-Luxemburg-Konferenz in Berlin, es sei ein Fehler gewesen, "die Waffen niederzulegen, bevor die vereinbarte politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Wiedereingliederung der Guerilleros gesichert war". (Bert Eder, 24.4.2019)