Am Anfang stehen Glück im Unglück und ein Tabubruch. Die 17-jährige Sasha hat nach einem plötzlichen Herzstillstand das Organ einer Gleichaltrigen erhalten. Nur in Ausnahmefällen erfahren Menschen, von wem sie die Herzspende bekommen haben. Der Vater der toten Spenderin sucht indessen ebenso wie seine Frau ganz bewusst die Nähe von Sasha: "Ich weiß, es gibt dazu Regeln, aber manchmal verhindern Regeln, das zu fühlen, was wir fühlen sollen."

Teenager-Freuden, die auf dem Operationstisch enden: TJ (Griffin Powell Arcand) sucht in der ersten Folge der zehnteiligen Netflix-Serie "Chambers" Hilfe für seine Freundin Sasha (Sivan Alyra Rose).
Foto: Netflix / Ursula Coyote

Reich und arm

Dass in der Folge zwei sehr unterschiedliche Milieus aufeinandertreffen, hebt die Mystery-Serie Chambers, die ab Freitag auf Netflix zu sehen ist, zumindest anfangs über das spätere Anhäufen konventioneller Horrorversatzstücke hinaus. Die dunkelhäutige Sasha, gewinnend verkörpert von der Newcomerin Sivan Alyra Rose, ist ein Mädchen wie viele andere. Zwar mag sie mit ihrem Onkel "Big" Frank (Marcus LaVoi), einem Aquariumhändler, im pittoresken Crystal Valley in Arizona am Rande der Wohlstandsgesellschaft leben. In ihrer High School, im Leben mit ihrer besten Freundin und ihrem Freund ist sie aber voll integriert, witzig und schlagfertig.

Die Bekanntschaft mit den Eltern der toten Becky bringt auch eine andere Art von Transplantation mit sich: Mit einem Stipendium bedacht, wechselt Sasha an die High School der Verstorbenen, einem Tummelplatz verwöhnter "rich kids". Chambers findet für das Aufeinanderprallen sozialer Klassen aussagekräftige Bilder: unprätentiöse, an den Sozialrealismus des jüngeren US-Kinos erinnernde Sequenzen für die Welt Sashas auf der einen Seite. In strengem Kontrast dazu die Villa der reichen Eltern Beckys, ein Luxusbau mit riesigen Glasfronten, in dem sich selbst ein nahender Sandsturm noch als schmucke Fototapete wahrnehmen lässt.

Trailer zu "Chambers".
Netflix

Zu diesem Zeitpunkt ist den Zuschauern natürlich längst klar, was Sasha erst allmählich dräut: In ihrer Brust wohnt seit der Organtransplantation ein finsteres Herz, das zunehmend seinen Tribut fordert. Sasha fühlt sich fremd in der Welt und Fremdes in sich. Beim elitären Fechtsport an ihrer neuen Schule unterliegt sie zunächst haushoch, bevor die unvermutete Linkshänderin in ihr den Degen in die Hand nimmt. Es ist einer von wenigen tatsächlich unheimlichen Momenten in Chambers.

Mit der unvermeidlichen Suche nach der dunklen Vergangenheit des ungeliebten Gasts im eigenen Körper flacht die auf insgesamt zehn Folgen aufgewalzte Handlung immer mehr ab. Vom anfänglichen Gespür für soziale Verwerfungen bleibt nicht mehr viel übrig. Das ist besonders schade, weil Chambers mit einer formidablen Besetzung aufwartet.

Uma Thurman, die auch als Produzentin fungiert, nimmt man die dauernervöse trauernde Mutter ebenso ab wie Tony Goldwyn den undurchsichtigen Vater. Allerdings wirken die beiden in ihren Rollen bald ebenso gefangen wie ihre Figuren in einem New-Age-Kult. Eine interessante Konstellation, die sich für eine Coming-of-Age-Erzählung und Body-Horror ebenso anbietet wie Übernatürliches, dient zum schulbuchartigen Abspulen von Mystery-Klischees. Nach vielen Flashbacks und Visionen, die nur tröpferlweise Suspense aufkommen lassen, ist klar: Der eine oder andere Regelbruch, hätte auch Chambers gutgetan. (Karl Gedlicka, 25.4.2019)