Joe Biden will noch am Wochenende seine erste Wahlkampfrede halten. Zweimal scheiterte er bereits mit einer Kandidatur.

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Er hat lange mit sich gerungen. Seit Monaten spekulieren amerikanische Medien darüber, ob Joe Biden seinen Hut in den Ring werfen wird. Er wolle den Leuten nicht wertvolle Zeit stehlen, Wahlhelfern nicht aufopferungsvolle Arbeit abverlangen, wenn nicht klar sei, dass er echte Chancen habe, von den Demokraten zum Kandidaten fürs Weiße Haus gekürt zu werden, sagte er noch im März. Nun sind die Würfel gefallen: Am Donnerstag verkündete der Veteran per Video seine Bewerbung. In vier Tagen wird er nach Pittsburgh reisen, wo er in einem Gewerkschaftslokal seine erste Wahlkampfrede hält.

Biden reiht sich ein in ein Kandidatenfeld, das mit über 20 Bewerberinnen und Bewerbern bereits jetzt so groß ist wie selten zuvor. Die Opposition, die sich gute Chance ausrechnet, ist auch deshalb aus der Schockstarre des Jahres 2016 erwacht, weil Jüngere, zumeist links Gesinnte an der Basis für neuen Schwung sorgten. Biden, politisch in der Mitte angesiedelt, ist mit 76 der Zweitälteste nach Bernie Sanders. Mit Amtsantritt wäre er 78. Nur die römisch-katholische Kirche werde von solchen Greisen geleitet, spitzt es der legendäre Wahlstratege James Carville typisch flapsig zu.

Andererseits glaubt Biden, am ehesten jene weiße Arbeiter, die zu Trump überliefen, zurück ins Lager der Demokraten holen zu können. Obwohl er seit fünf Jahrzehnten in Washington Politik macht, hat er sich eine gewisse Bodenständigkeit bewahrt – zumindest in der Rhetorik. Was immer er fürs Leben gebraucht habe, betont er, habe er in Scranton gelernt, der Industriestadt in Pennsylvania, in der er aufwuchs. Mut, Verlässlichkeit, sich um andere kümmern; dazu der Glaube, dass man es auch dann weit bringen könne, wenn man seine Kindheit zwischen rauchenden Schloten verbrachte. Einmal ließ er in saloppem Ton wissen, am liebsten würde er Trump "hinter die Turnhalle" bitten, um Mann gegen Mann die Kräfte zu messen.

Schicksalsschläge

Schon 2016, glauben seine Fans, hätte der kantige Volkstribun im Wettstreit mit dem Milliardär bessere Karten gehabt als Hillary Clinton und Siege im wichtigen Rust Belt erzielt. Dass der damalige Vizepräsident, der Stellvertreter Barack Obamas, auf eine Kandidatur verzichtete, lag an einem Schicksalsschlag: Er trauerte um Beau, seinen 46-jährig an Krebs verstorbenen Sohn. Er hätte die Kampagne kräftemäßig nicht durchgehalten, sagte er später. Damals stand sein Abschied von der Politbühne im Raum.

Biden hat früh davon geträumt, einmal im Weißen Haus zu residieren. Er war Mitte 20, als ihn die Mutter seiner ersten Frau Neilia nach seinen Karrierezielen fragte und zur Antwort bekam: "Präsident. Präsident der Vereinigten Staaten".

Er war 30, gerade zum Senator gewählt, als seine Gattin Neilia und die einjährige Tochter Naomi bei einem Verkehrsunfall ums Leben kamen, während die Söhne Hunter und Beau, zwei und drei, wochenlang im Krankenhaus lagen. Biden trug sich mit Selbstmordgedanken. Seinen Senatssitz wollte er aufgeben. Ältere Kollegen redeten ihm zu, es für ein paar Monate zu versuchen. Um abends bei seinen Söhnen zu sein, pendelte er täglich vier Stunden per Zug zwischen Wilmington in Delaware und Washington.

Erfolglose Kandidaturen

Zweimal bewarb er sich bisher erfolglos fürs Präsidentenamt. 1988 wurde ihm zum Verhängnis, dass er ganze Passagen einer Rede des britischen Labour-Politikers Neil Kinnock übernommen hatte. 2008 stand er chancenlos im Schatten Obamas und Clintons. Schon deshalb wird niemand behaupten, dass Biden nun der klare Favorit wäre. In Umfragen liegt er zwar vorn, doch die Vorwahlen beginnen erst im Jänner. Auch die Unterstützung für den Irakkrieg und sein Plädoyer in den 1990ern für drakonische Strafen gegen überbordende Kriminalität hängen ihm als Altlasten um. Was in der Umsetzung dazu führte, dass die US-Gefängnisse aus allen Nähten platzen. Auch weil der Besitz von Crack-Kokain (hauptsächlich von Afroamerikanern konsumiert) ungleich härter geahndet wurde als Kokainpulver (das Rauschmittel der Weißen), waren überproportional viele schwarze Amerikaner inhaftiert.

Das alles wird Biden den Skeptikern in den eigenen Reihen noch einmal erklären müssen. Oder dass er Frauen anfasste oder an ihrem Haar roch, wenn diese sich, mit ihm im Rampenlicht stehend, nicht zu wehren trauten. Ein aus der Zeit Gefallener, monieren die Kritiker. Ein Mann, der aus Fehlern gelernt hat, halten seine Anhänger dagegen.

Biden aber glaubt, dass eine Mehrheit der Wähler seinen Pragmatismus zu schätzen weiß, sollte er im Finale gegen Trump antreten. "Und darum geht es ja: Wer kann diesen Burschen besiegen? (Frank Herrmann aus Washington, 25.4.2019)