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Spitzenkandidat der EVP ist der Bayer Manfred Weber, er hat gute Chancen auf den Job des EU-Kommissionspräsidenten.

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Italiens Innenminister Matteo Salvini will eine Fraktion aus rechten Parteien um sich scharen und den Nationalstaaten mehr Macht geben.

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Seit der Einführung der Direktwahlen der Abgeordneten 1979 hat das Plenum des Europaparlaments einige Wellen grundsätzlicher Veränderungen erlebt. Diente es bis dahin als "Anhörungsgremium" für die nationalen Regierungen, die die EU-Gesetzgebung mit der Kommission dominierten, so wuchs das Mitentscheidungsrecht Zug um Zug mit jeder EU-Vertragsänderung.

In den 1980ern zogen erstmals radikale EG-Gegner unter der Führung des extrem rechten Jean-Marie Le Pen und seines Front National aus Frankreich in Straßburg ein. Im bis dahin eher gemächlich-diplomatisch laufenden "Friedensprojekt" wurde es nach den Wahlen 1984 plötzlich laut. Es gab Parteigründungen (die Grünen, die aus einer "Regenbogengruppe" heraus entstanden, etwa als Fraktion 1989) oder auch Abspaltungen (etwa den Austritt der britischen Tories aus der Fraktion der Europäischen Volkspartei 2009).

Aber eine Konstante blieb über all die 40 Jahre: Die Christdemokraten (EVP) und die Sozialdemokraten (S&D), die das gemeinsame Europa nach dem Zweiten Weltkrieg im Konsens aufgebaut hatten, verfügten gemeinsam im Zweifel immer über eine Mehrheit im EU-Parlament. Auch wenn es zwischenzeitlich andere Koalitionen zur Unterstützung der EU-Kommission gab (etwa EVP mit den Liberalen der Alde) – im Notfall konnten sich diese beiden traditionellen europäischen Volksparteien aufeinander verlassen, wenn es darum ging, das "Haus Europa" zu zweit weiterzubauen, die Integration voranzutreiben.

Breite Mehrheit für Juncker

Auch wenn frühere "Supermehrheiten" wegen der Modernisierung und Zersplitterung der Parteienlandschaften in den inzwischen 28 EU-Mitgliedstaaten längst Geschichte sind: EVP und S&D kamen zuletzt bei insgesamt 751 Abgeordneten in Straßburg zusammengerechnet auf 405 Mandate. Selbst wenn einige aus länderspezifischen oder sonstigen Gründen absprangen: Für die Wahl von Jean-Claude Juncker zum EU-Kommissionspräsidenten reichte es 2014 locker.

Diese Zeiten dürften mit der Wahl vom 23. bis 26. Mai aber zu Ende gehen. Nach EU-weiten Umfragen werden Rote und Schwarze weit unter der einfachen Mehrheit (376 Sitze) bleiben, die bei der Wahl des Juncker-Nachfolgers entscheidend ist. Sowohl der EVP (219) wie auch den Sozialdemokraten (186) droht ein Verlust von jeweils rund 40 Sitzen. Die Christdemokraten stürzen in Italien ab, sind in Frankreich schwach, nachdem Emmanuel Macron die Parteienlandschaft mit seiner "Bewegung" aufgemischt hat.

Die Sozialisten sind in Frankreich, in den Niederlanden, auch in Italien nur ein Schatten ihrer selbst. Dabei hat die Gesamtfraktion S&D noch Glück: Eingerechnet sind noch (derzeit) 20 Mandatare der Labourpartei, die bei einem rechtzeitigen EU-Austritt Großbritanniens Ende März automatisch weggefallen wären. Da der Brexit auf maximal Ende Oktober verschoben wurde, wählen die Briten voraussichtlich mit.

Trend nach rechts

Neben der Erosion bei Christdemokraten und Sozialdemokraten zeichnet sich ein zweiter großer Trend ab, der bereits 2014 eindeutig erkennbar war: die Fortsetzung der Zersplitterung der Parteienlandschaften quer über den Kontinent. Dabei gibt es einen eindeutigen Trend nach rechts, ein höchst heterogenes Feld von EU-Skeptikern, Rechtspopulisten und harten EU-Gegnern. Nicht umsonst stilisieren manche in den Traditionsparteien den kommenden EU-Wahlgang bereits zur "Schicksalswahl". Manfred Weber, Favorit für die Juncker-Nachfolge, wenn die EVP deutlich auf Platz eins bleibt, nennt die rechten EU-Skeptiker gar "Feinde des gemeinsamen Europa".

Dennoch könnten sich die noch vor ein paar Monaten von einem Durchmarsch der Rechten in Straßburg sprechenden Erwartungen als übertrieben erweisen. So träumte FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky, der als EU-Abgeordneter und Fraktionsvizepräsident der Gruppe um Marine Le Pen und der Lega von Matteo Salvini angehört, im STANDARD-Gespräch sogar davon, dass es zur Bildung einer großen rechten Fraktion kommen könnte. Sein "Europa der Nationen und der Freiheit" (ENF) würde den Nukleus bilden. Aber den von Vilimsky erwarteten Erfolg wird es so wohl nicht geben.

Da die Grünen und die Linksfraktion zwar da und dort leicht verlieren, aber als Fraktionen ungefährdet sind, könnte das neue Parlament vor allem eines sein: nicht so leicht in "Kastln" zu stecken – weil es tendenziell noch stärker zersplittert sein wird als bisher.(Thomas Mayer aus Brüssel, 25.4.2019)