Der Wunsch, toter Materie Leben einzuhauchen, ist eine unstillbare Sehnsucht menschlichen Forschens. Das bezeugen durch die Geistesgeschichte hindurch künstliche Kreaturen aller Couleur, vom antiken Pygmalion, dessen selbstgeschaffene Elfenbeinstatue lebendig wird, über den mittelalterlichen Golem aus Lehm bis hin zu Automatenmenschen des Barock und Humanoid-Ideen wie der des Homunculus bei Goethe.
Eine der berühmtesten und unheilvollsten Erweckungen erlebt der Forscher Viktor Frankenstein in Mary Shelleys Roman aus dem Jahr 1818. Sein an den mittelalterlichen Alchemisten geschultes Wissen verbindet der Laborant mit den Errungenschaften seiner Zeit und kreiert ein Retortengeschöpf, das ihm – so die Tragik des Romans – weit über den Kopf wächst. Das künstlich geschaffene Wesen entspricht keineswegs den Erwartungen des Erzeugers und ist seinerseits von Bedürfnissen getrieben, auf die der Wissenschafter beileibe nicht vorbereitet ist. Es beginnt eine Verfolgungsjagd durch traumdüstere europäische Landschaften.
Totale Überwachung
Dem Stoff widmen sich nun zwei Neubearbeitungen: Im Wiener Theater der Jugend (ab 30. 4.) münzen Clemens Pötsch (Text) und Felix Metzner (Regie) Frankenstein in die Dystopie einer hyperdigitalisierten Überwachungsgesellschaft um, in der Gentechnologie und künstliche Intelligenz den Ton angeben. Inspiration waren Filme wie Blade Runner oder 1984.
Dominic Oley legt es für seine Inszenierung am Landestheater Niederösterreich (ab 27. 4.) komödiantischer an. Er stellt eine Parodie des Romans in Aussicht, die die Entstehungsbedingungen des Romans mit einbaut: die erst 19-jährige Autorin Mary Shelley bei gespenstisch schlechtem Wetter in einer fantasiebegabten Dichterrunde am Genfer See. (Margarete Affenzeller, 25.4.2019)