Ein erhöhter LDL-Cholesterinwert ist nur ein Risikofaktor von mehreren. "Wenn man sich ausschließlich am Cholesterinwert orientiert, werden viele Menschen umsonst behandelt und medikalisiert", warnt der Salzburger Internist und Kardiologe Jochen Schuler.

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Cholesterinsenker zählen zu den meistverkauften Medikamenten. Sie sollen dafür sorgen, dass sich in den Blutgefäßen weniger "schlechtes" LDL-Cholesterin ablagert, das Risiko einer Arterienverkalkung sinkt. Damit reduziert sich auch die Wahrscheinlichkeit für Herzinfarkt und Schlaganfall. Üblicherweise werden Cholesterinsenker in Form von Statinen eingenommen.

Ein Teil der Ärzte befürwortet die Therapie, immer mehr kritische Stimmen zweifeln aber an der Notwendigkeit einer solchen Behandlung. Das sorgt auch für Verunsicherung unter Patienten, viel fragen sich: Brauche ich nun Cholesterinsenker oder nicht?

Fakt ist: Leidet jemand erblich bedingt an zu hohem Cholesterin, ist eine medikamentöse Therapie unumgänglich. Das ist aber vergleichsweise selten. "Familiäre Fettstoffwechselstörungen kommen rund ein Mal unter 200 oder 300 Personen vor", sagt der Salzburger Internist und Kardiologe Jochen Schuler, der auch Mitherausgeber der medizinischen Fachzeitschrift "Der Arzneimittelbrief" ist.

Erbliche Vorbelastung abklären

In Österreich sind rund 40.000 Menschen von Familiärer Hypercholesterinämie betroffen. Ob man erblich vorbelastet ist, lässt sich relativ einfach eruieren. Gab es in der Familie auffällig früh Herzinfarkte oder Schlaganfälle, sollte man sich frühzeitig einem Screening unterziehen. "Anzeichen können auch Fettablagerungen an den Augen oder den Achillessehnen sein", erklärt Schuler.

Bei weitaus mehr Menschen ist der Lebensstil die Ursache für erhöhte Cholesterinwerte. Sprich: unausgewogene Ernährung, zu viel Sitzen, zu wenig Bewegung. Medikamente sollten in diesen Fällen nicht die primäre Behandlungsmethode sein, sondern eine Änderung des Lebensstils. Die Regeln dafür sind bekannt: Ausreichend Sport, mehr Obst, Gemüse, Nüsse, fetthaltiger Fisch, weniger gesättigte Fettsäuren und Zucker, Alkohol in geringen Mengen. "Wer sein Risiko wirklich reduzieren will, muss mit dem Rauchen aufhören, sonst macht es überhaupt keinen Sinn, über Cholesterinwerte zu reden", betont Kardiologe Schuler.

Grundrisiko entscheidender als Einzelwert

Nicht alle Patienten halten sich an die Empfehlungen ihres Arztes. Dann sinkt auch der Cholesterinwert nicht. Um ihn trotzdem herunterzudrücken, wirkt die Verschreibung eines Medikaments als nächster logischer Schritt. Salopp formuliert: Der Betroffene war zu bequem, sein Leben zu ändern und muss deshalb Pillen schlucken. In der Praxis kommt das durchaus vor. Genau dass ist das Problem: Es ist zu kurz gegriffen, die Verabreichung eines Arzneimittels von einem einzigen Faktor abhängig zu machen. "Wenn man sich ausschließlich am Cholesterinwert orientiert, werden viele Menschen umsonst behandelt und medikalisiert", warnt Schuler. Viel zielführender sei es, das individuelle Grundrisiko einer Herz-Kreislauf-Erkrankung zu berechnen. Dieses setzt sich aus mehreren Faktoren wie Alter, Blutfettwerten, Blutzucker, Übergewicht oder Tabakkonsum zusammen, und wird über einen sogenannten Risikorechner ermittelt.

Risiko und Nutzen abwägen

Das jeweilige Grundrisiko dient als Entscheidungsbasis dafür, ob und in welcher Dosis die Einnahme von Medikamenten überhaupt Sinn hat. Zur Veranschaulichung: Wird ein ohnehin niedriges Grundrisiko von zum Beispiel zehn Prozent durch Statine um ein Drittel reduziert, hält sich die absolute Risikoreduktion in Grenzen. Die Gefahr einer Nebenwirkung könnte also deutlich höher sein als der Nutzen. "Cholesterinsenker werden aber leider viel zu unkritisch und viel zu oft verordnet", kritisiert Schuler.

Bei einem hohen Ausgangsrisiko von zum Beispiel 50 Prozent macht die Reduzierung des Risikos um ein Drittel verhältnismäßig mehr aus. "In diesem Fall sind die Cholesterinsenker wirklich segensreich", so der Experte. Neben der Berechnung des Grundrisikos können Verkalkungen an Herzschlagader oder Herzkranzgefäßen ein Hinweis darauf sein, ob eine medikamentöse Behandlung angebracht ist. (Maria Kapeller, 26.4.2019)