Bis Fuchsia wirklich auf Smartphones läuft, könnte noch einige Zeit vergehen. Die Richtung scheint aber vorgezeichnet.

Foto: Proschofsky / STANDARD

Als 2016 erste Berichte über Fuchsia die Runde machte, sorgte dies für einige Verblüffung. Von Grund auf neu entwickelte Betriebssysteme gibt es heutzutage nur mehr selten. Wenn das Ganze dann auch noch von einem der größten Softwarehersteller der Welt kommt, wird die ganze Angelegenheit gleich noch eine Spur interessanter. Zumal es sich dabei um Google handelt, und damit um ein Unternehmen, das mit Android und Chrome OS bereits zwei eigene Betriebssysteme im Angebot hat – die beide allerdings Linux als Grundlage verwenden.

Eifriges Treiben

Wer damals dachte, dass es sich bei all dem bloß um ein Experiment handelt, der sollte mittlerweile eines Besseren belehrt worden sein – hat Google in den vergangenen drei Jahren doch die Entwicklung deutlich beschleunigt. Dank der offenen Verfügbarkeit des Quellcodes ist bekannt, dass derzeit mehr als 100 Google-Angestellte an Fuchsia mitarbeiten. Dazu gehören nicht nur angesehene Experten aus diesem Bereich wie Travis Geiselbrecht, der schon an BeOS oder auch Apples iOS mitgearbeitet hat – auch einige ehemalige Android-Entwickler sind mittlerweile zum neuen Betriebssystem gewechselt.

Besonders aussagekräftig ist, dass in diesem Zusammenhang immer wieder der Name Matías Duarte auftaucht: Immerhin würde Google seinen Vizepräsident für Design wohl kaum mit einem Projekt betrauen, für das man keine ernsthaften Pläne hegt. Vor einigen Monaten wurde dann noch bekannt, dass der Softwarehersteller mit Bill Stevenson einen langjährigen Mitarbeiter von Apples Mac-Abteilung abgeworben hat. Dieser verkündete dankenswerterweise auch gleich umgehend auf LinkedIn, dass er dabei helfen soll, Fuchsia marktreif zu machen.

Stillschweigen

Auf Presseanfragen zu dem Thema reagiert Google nur knapp: Man forsche an vielen Projekten, und Fuchsia sei eben eines davon, heißt es immer aufs Neue. Doch der Quellcode spricht eine andere Sprache: Dieser zeichnet nämlich das Bild eines äußerst ambitionierten Betriebssystems, das vom "Internet der Dinge" über den Desktop bis zum Server alle Gerätekategorien abdecken soll. Für viele aber wohl noch wichtiger: Es gibt deutliche Hinweise darauf, dass Fuchsia OS auch Android beerben könnte – zumindest in dessen derzeitiger Form.

Android Next Generation?

Dass Fuchsia Android von einem Tag auf den anderen komplett ersetzen wird, erscheint dabei allerdings unwahrscheinlich, zu groß ist dessen Nutzerbasis. Google hat offenbar etwas anderes im Sinn. Das Unternehmen arbeitet derzeit an der Möglichkeit, Android-Apps unter Fuchsia auszuführen. Dies könnte einen schrittweisen Wechsel von Linux zu Fuchsia ermöglichen: Das Ergebnis wäre eine Art "Android Next Generation" – oder wie auch immer das Ganze dann schlussendlich heißen wird. Ein Betriebssystem, das zumindest anfänglich noch klassische Android-Apps unterstützt, aber gleichzeitig auch mit vielen bekannten Defiziten aufräumt – und einen neuen Weg in die Zukunft vorgibt.

Dass der Übergang auf eine Fuchsia-Basis nach und nach erfolgen soll, darauf verweist auch eine andere Spur: Der offizielle Android Emulator unterstützt mittlerweile die Möglichkeit den Kernel von Fuchsia zu booten. Das Ziel ist also offenbar, dass Softwareentwickler die gewohnten Tools weiternutzen können.

Eine Frage der Motivation

Die Gründe für solch eine Modernisierung sind mannigfaltig. Da wäre der Umstand, dass Android einst unter ziemlich großem Zeitdruck entwickelt wurde und sich so manche damals getroffene Entscheidung im Nachhinein als falsch herausgestellt hat. Fuchsia kann hingegen derzeit in aller Ruhe und mit Blick auf aktuelle Anforderungen und Hardware entwickelt werden. Zu den Highlights gehört dabei etwa ein modernes Grafik-Framework, das erheblich effizienter als unter Android arbeiten soll. Auch sind zentrale Sicherheitskonzepte wie Sandboxing bei Fuchsia von Grund auf mitgedacht, und mit Googles eigenem Anwendungs-Framework Flutter, das derzeit bereits für Android und iOS erhältlich ist, will man die App-Entwicklung modernisieren. Das Resultat: ein System, das nicht nur schlanker und sicherer als das jetzige Android sein soll, sondern auch mit einer besseren Performance aufwartet – so zumindest die Idee.

Die Linux-Frage

Doch es gibt noch einen weiteren Faktor, der für Google nicht minder relevant ist: Die Möglichkeit, Linux loszuwerden. Dessen monolithisches Kernel-Design – und die Weigerung stabile Schnittstellen für externe Treiber anzubieten – hat sich in den vergangenen Jahren im Smartphone-Umfeld als ein echtes Problem herausgestellt. Bedeutet dies doch, dass die Treiber bei jeder relevanten Kernel-Änderung wieder neu erstellt oder gar angepasst werden müssen. Da aber viele Treiber in diesem Bereich keine freie Software sind, muss dafür auch der Hersteller der jeweiligen Komponente mitspielen.

Nun könnte man natürlich darauf verweisen, dass es besser wäre, wenn alle Treiber im Quellcode verfügbar wären – und das durchaus mit Recht. Das ändert aber nichts daran, dass die Realität eine andere ist und sich auch keine Änderung abzeichnet. Die Konsequenz: Derzeit sind Gerätehersteller für ihre Updates von der Kooperation sämtlicher Hardwarepartner abhängig. Im schlimmsten Fall kann also ein einzelner Komponentenanbieter den gesamten Prozess blockieren – was einen langfristigen Support für alle zu einem ziemlich schwierigen Unterfangen macht.

Umbauten

Google hat in den vergangenen Jahren einiges unternommen, um um diese Problematik herumzuarbeiten. Das Project Treble, mit dem fixe Schnittstellen zwischen Treiber und Kernel auf der einen Seite sowie dem restlichen Android-System auf der anderen Seite etabliert wurden, war hier sicher der größte. Mit einem eigenen Microkernel namen Zircon sowie dem generell auf Modularität ausgerichteten Design von Fuchsia könnte man all diese Probleme aber wesentlich grundlegender angehen. Immerhin bedeutet dies, dass Fuchsia recht einfach mit Herstelleranpassungen erweitert werden kann, ohne das Basissystem verändern zu müssen. All dies in der Hoffnung, damit auch den Support für Smartphones – jenseits der Apple-Welt – deutlich verlängern zu können.

Lizenzfragen

Eine immer wieder rund um Fuchsia zu hörende Theorie ist, dass es Google dabei primär darum ginge, die mit Linux verbundene Lizenz loszuwerden. Der Hintergrund: Wer ein Gerät mit dem Linux-Kernel vertreibt, muss den eigenen Kunden auch den Quellcode dafür bereitstellen – und zwar samt der eigenen Modifikationen daran. Dies schreibt die GNU General Public License (GPL) vor, die beim Kernel und noch einigen anderen von Android genutzten Komponenten zum Einsatz kommt. Bei Fuchsia wären die Hersteller zu diesem Schritt nicht mehr verpflichtet, da der Code hier komplett unter anderen Lizenzen steht.

Trotzdem scheint es unwahrscheinlich, dass dies wirklich ein entscheidender Faktor in den Überlegungen des Softwareherstellers ist. Zwar könnte Google damit das Betriebssystem rein theoretisch sogar von einem Tag auf den anderen zu proprietärer Software machen, also die Freigabe des Quellcodes komplett einstellen. Doch bis auf den Kernel und ein paar weitere Komponenten hätte man das schon jetzt bei Android machen können. Weite Teile von Android verwenden nämlich ähnliche Open-Source-Lizenzen wie Fuchsia. Vor allem aber hat Google an einem solchen Schritt gar kein strategisches Interesse. Das Unternehmen hat die Freigabe des Quellcodes über die Jahre recht geschickt eingesetzt, um seine Marktmacht auszubauen. Dieses Erfolgsrezept aufzugeben würde wenig Sinn ergeben.

Kooperation ist alles

All das wirft natürlich eine Frage auf: Wie werden die bisherigen Android-Partner auf einen Wechsel in Richtung Fuchsia reagieren? Generell ist es derzeit noch etwas früh, um diese Frage zu beantworten. Aber ganz allgemein gibt es eigentlich keinen Grund, warum sie Googles Weg nicht folgen sollten. Entscheidend für Samsung, Huawei und Co sind das App-Ökosystem sowie all die Dienste rundherum, die Google zur Verfügung stellt. Ob darunter dann Linux oder Fuchsia OS laufen, ist für sie hingegen bestenfalls nebensächlich. Wenn sie sich durch den modularen Aufbau des Betriebssystems Arbeit ersparen: umso besser. Natürlich wäre es möglich, dass dann irgendein Hersteller das klassische Android weiterentwickelt, die Frage wäre bloß: Wozu? Wer so etwas vorhätte, könnte schon jetzt eine eigene Android-Abspaltung entwickeln und hätte dabei noch den Vorteil, von einer aktiven Entwicklung Googles zu profitieren – was bei einem Wechsel auf Fuchsia wohl bald schon nicht mehr der Fall wäre.

Wann ist es so weit?

Der Weg in Richtung Fuchsia scheint also vorgezeichnet. Wann es so weit sein wird, ist hingegen eine wesentlich schwieriger zu beantwortende Frage – gibt doch der öffentlich verfügbare Quellcode hier nur einen teilweisen Einblick, da Google recht offensichtlich Teile der Entwicklung intern vornimmt. So hat Google vor einigen Monaten den Code für alle User-Interface-Bestandteile aus den öffentlichen Code Repositories entfernt, um die grafische Oberfläche jenseits der öffentlichen Aufmerksamkeit weiterentwickeln zu können.

Darin könnte man natürlich einen Hinweis erkennen, dass es langsam ernst wird. Doch das ist nicht die einzige Spur, die das nahelegt. So testet Google Fuchsia derzeit bereits mit zahlreicher unterschiedlicher Hardware. Besonders interessant sind in diesem Zusammenhang Spuren in Richtung eines bisher noch unveröffentlichtes smartes Display namens Nest Hub Max. Denn wenn Fuchsia einmal sein Debüt geben sollte, wären solche smarten Geräte mit ihrem minimalen Interface ein logischer erster Schritt.

Doch bevor hier die Erwartungen allzu groß werden: Die Chance, dass Fuchsia bereits in naher Zukunft in Google-Geräten zum Einsatz kommt, erscheint derzeit noch recht gering. Dafür gibt es schlicht zu wenige Hinweise darauf, dass die jetzigen Hardwaretests viel mehr als eben das sind – nämlich Tests, um Erfahrungen für weitere Verfeinerungen des Betriebssystems zu sammeln. Bis das Ganze dann wirklich als vollständiger Ersatz für Android in seiner derzeitigen Form genutzt werden kann, dürften ohnehin noch einige Jahre vergehen. Und wie immer gilt natürlich: Solange kein Plan in diese Richtung offiziell angekündigt wurde, könnte Google die entsprechenden Vorhaben auch wieder abdrehen. Es wäre nicht das erste ambitionierte Google-Projekt, das wieder in der Versenkung verschwindet. (Andreas Proschofsky, 28.4.2019)