Das Geräusch, wenn die Panier vom Kalbsschnitzel im Butterschmalz versinkt. Das hat Alexander Hansen nie gehört. Oder die Klingel, die in jeder Gasthausküche steht, mit der die Köche nach dem Servierpersonal läuten, wenn das Essen fertig ist. Und erst recht nicht das Gebrüll in einer Wirtshausküche. Da schreit der Kellner die Bestellung in die Küche, der Chefkoch dirigiert lautstark die einzelnen Stationen. Dazwischen zischt das Panierte, dröhnt der Heißluftofen, blubbert die Suppe und klirrt das Geschirr. Alexander Hansen ist seit seinem dritten Lebensjahr taub. Ist das nun Fluch oder Segen – in einer Gastroküche?

Heute ist er 27 Jahre alt, eine imposante Erscheinung mit Brandmalen vom Kochen auf den Armen – und gehörlos. Geboren wurde er in Dänemark und machte dort seine Ausbildung. "Ich kam vor fast sieben Monaten nach Österreich", erzählt er nicht, schreibt er – auf Englisch. Der Aufbruch schien ihm gut ins Lebenskonzept zu passen: "Ich zog wegen meiner Freundin nach Wien. Sie wurde schwanger. Und ich war zudem auf der Suche nach neuen Herausforderungen und wollte andere Kulturen kennenlernen."

Alexander Hansen kochte in Dänemark in einer Küche mit zwei Sternen. Jetzt kocht er direkt im Stern.
Wolf-Dieter Grabner

Jetzt mag man meinen, dass es für jemanden, der gehörlos ist, eine ausreichende Herausforderung sein müsste, in der Gastronomie zu arbeiten – im Speziellen in der Küche, wo für gewöhnlich ein ziemlich rauer Ton herrscht. Damit nicht genug, kochte Alexander Hansen in Kopenhagen in einem Restaurant mit zwei Michelin-Sternen. In Wien tauschte er die Sterne erst gegen Hauben und kochte im Fabios. Seit Anfang März hängt er an einem Stern – oder sagen wir dem Stern. Dem gleichnamigen Gasthaus nämlich – in Wien Simmering.

"Ich habe es, ehrlich gestanden, erst beim zweiten Mal Lesen der Bewerbung gesehen, dass Alexander angemerkt hat, dass er gehörlos ist", erinnert sich Stern-Chef Christian Werner. "Mir war das aber egal. Alexander hat mich vor dem Vorstellungsgespräch sogar noch einmal eigens darauf hingewiesen und gefragt, ob ich das wohl nicht übersehen hätte. Für mich ist aber nur die Arbeit entscheidend, und ich fand, er passt gut ins Team", sagt Christian Werner.

Das Vorstellungsgespräch selbst beschreibt er als ein "klassisches". Erst nach kurzem Zögern fällt ihm ein, dass er und Alexander Hansen sich fast ausschließlich schriftlich verständigt haben – erfolgreich, das kann man heute sagen.

Gemeinsame Entscheidung

Kurz darauf fing Alexander Hansen im Stern an. Ein Problem, weil er gehörlos ist, gab es nie, nicht einmal am Anfang, erinnert sich Christian Werner. "Ich habe die Mitarbeiter in meine Entscheidung mit einbezogen. Wir sind ein junges Team, haben einen sehr guten Zusammenhalt und sprechen sehr offen miteinander."

Schnell haben sich eigene Gesten entwickelt, mit denen Alexander Hansen gedeutet wird, was zu tun ist. Das schaut im ersten Augenblick nicht nur ungewohnt aus, es hört sich auch so an. In der Küche im Stern ist es nämlich deutlich leiser, seit der Däne hier die Pfannen schwingt. Die gemeinsame Arbeit läuft friktionsfrei, auch wenn hier alles ein wenig anders funktioniert. "In der ganzen Zeit, in der ich in diversen Küchen gearbeitet habe, gab es nie ein Problem mit der Verständigung. Jeder im Betrieb wusste, dass ich taub bin. Ich zeigte meinen Kollegen, wie man die Zeichensprache benutzt, und versuche von ihren Lippen zu lesen. Rund 85 Prozent der Kommunikation während der Arbeit läuft heute in Zeichensprache ab. Wenn das nicht mehr reicht, kommen die Kollegen mit Zettel und Kugelschreiber zu mir."

Neues entwickeln

Wie in der Vergangenheit auch stellte sich das Team im Stern schnell auf die neue Kommunikation um, wie Alexander Hansen sich auf die ganz eigene Küche im Stern. Hier wird alles frisch gemacht, und Christian Werner konzentriert sich mit seiner Speisekarte vor allem auf typische Wiener Spezialitäten, auf Innereien und Wildgerichte. "Mein Vorwissen", sagt Alexander Hansen, "stammt aus der französischen, italienischen, dänischen und spanischen Küche. Ich finde es sehr spannend, jetzt die österreichische Küche kennenlernen zu können und mich dadurch noch einmal weiterzuentwickeln. Ich finde, das funktioniert auch ganz gut, und ich lerne schnell. Ich mag die Herausforderung."

Das ist kein leerer Stehsatz, erläutert Christian Werner, denn seit Alexander Hansen bei ihm kocht, hat sich in der Küche viel verändert – nicht nur, was die Kommunikation angeht. Abseits der Stoßzeiten, wenn es in der Küche noch ein wenig ruhiger wird, legt Alexander Hansen nämlich keine Pause ein, sondern erst so richtig los. "Ich nutze dann die Zeit, um mit Ideen zu experimentieren, neue Gerichte für Christian zu testen.

Mir ist wichtig, immer etwas Neues zu entwickeln und Meinungen auszutauschen. Als Koch kannst du nicht alles wissen, es gibt immer etwas zu lernen und kein Limit." Das Spargelrisotto mit flambierten Pfirsichen, das gerade auf der Karte ist, ist ein Ergebnis dieses Prozesses. Ein weißes Schokomousse mit geeisten Zitronengras-Pannacotta wird ein weiteres.

Alexander Hansen flambiert Pfirsiche für ein Spargelrisotto, eine Kreation, zu der er Stern-Chef Christian Werner (links) inspiriert hat.
Wolf-Dieter Grabner

Mit seinem Elan und seiner Neugier hat der Däne auch seine Kollegen angesteckt. Die ruhigen Phasen werden zu kreativen Momenten, verschiedene Einflüsse finden in dieser Wiener Küche zusammen – und auch auf die Karte. Im Sommer wird es ein Gericht geben, das von einem Kollegen aus Syrien stammt und an dem die Crew gerade den letzten Feinschliff vornimmt. "Es ist eine spannende Entwicklung", freut sich Christan Werner, "die da gerade ihren Anlauf nimmt" und auch ihn anspornt, Neues zu versuchen. Selbst wenn die Gäste gar nicht mitbekommen, was hinter den Kulissen passiert, scheint es ihnen zu gefallen. Denn Christian Werner bemerkt bereits, dass er mehr Geschäft hat als in den vergangenen Jahren, im Vergleichszeitraum.

Wo Schreien nicht hilft

"Für gewöhnlich sind die Leute verstört", erzählt Alexander Hansen, "wenn sie merken, dass ein Gehörloser in der Küche steht. Und taube Menschen sind in der Gastronomie auch sehr, sehr selten zu sehen." Lediglich in der Systemgastronomie gibt es – selten, aber doch – im Service Menschen, die schlecht hören oder taub sind. Am ehesten werden sie zum Abservieren eingesetzt. Bei ihnen ist es also nicht Ignoranz, wenn sie oft auf Zurufe nicht reagieren – wie man es dem typischen Wiener Kellner nachsagt.

"Ich kann diese Menschen sogar verstehen, die da reserviert reagieren", sagt Alexander Hansen und gibt gleichzeitig zu bedenken: "Aber es geht beim Kochen gar nicht ums Hören. Es geht um das Herz, das Hirn, darum, wie du tickst und wie du arbeitest. Ich begann mit 15 Jahren zu kochen. Entscheidend ist, sich das ganze Basiswissen zu erarbeiten. Wenn du dann von einem Tag auf den anderen taub wirst, kannst du trotzdem gut kochen. Ich kann das", sagt er, "weil ich es liebe."(Guido Gluschitsch, 27.4.2019)

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