Gefoltert, entführt, vergewaltigt, geschlagen, verbrannt, erstochen, vertrieben und beraubt: Lilit Martirosyan, Armeniens erste offiziell registrierte Transgender-Frau, beschrieb Anfang April im Parlament in Jerewan in drastischen Worten die Situation sexueller Minderheiten in der kleinen Kaukasusrepublik. Transgender-Menschen erleben ihren Schilderungen zufolge "Stigma und Diskriminierung in sozialer, medizinischer, rechtlicher und wirtschaftlicher Hinsicht".

Shakeh B.

Seit ihrem Aufschrei hat eine Welle homo- und transphober Gewalt Armenien überzogen. Im Fokus: die Abgeordnete selbst, der nach eigener Auskunft von ihren Kollegen im Parlament der Tod gewünscht wurde. Ein Kollege ging so weit, Martirosyan mit dem Verbrennen bei lebendigem Leibe zu drohen. Vor dem Parlamentsgebäude marschierten Demonstranten auf, die gegen Homosexuelle und Transgender-Personen Stimmung machten, im Inneren schoben einander Premierminister und Opposition die Schuld daran zu, Martirosyan ans Rednerpult gelassen zu haben.

Bild nicht mehr verfügbar.

Lilit Martirosyan, hier mit kurzem Haar, musste wegen der Drohungen ihre Wohnung verlassen.
Foto: AP Photo/Sona Kocharyan

Vorsitzende Naira Zohrabian, selbst Abgeordnete der konservativen Oppositionspartei Blühendes Armenien, warf der Transgender-Aktivistin vor, die Hausordnung verletzt und das Programm des Parlaments missachtet zu haben. Ihr Parteifreund Vartan Ghukasian forderte die Deportation aller "Perversen" in die Niederlande: "Wir wollen, dass Frauen Frauen sind und Männer Männer. Man kann das nicht vermischen, das ist eine Schande."

Enttäuschung über Revolution

Martirosyan, die als erste Armenierin 2015 ihren Namen offiziell in ihrem Reisepass geändert hatte, berichtet der Londoner Tageszeitung "Guardian" von ihrer Enttäuschung über die Lage im "postrevolutionären Armenien": Als vor einem Jahr der Oppositionelle Nikol Pashinyan nach wochenlangen Demonstrationen an die Macht kam, stand Martirosyans Organisation Right Side, die sich um die Rechte von Transgender-Personen kümmert, inmitten der feiernden Menge. Nun sieht nicht nur die kleine NGO die Rechte der sexuellen Minderheiten in Armenien akut bedroht.

Das Uno-Büro in Jerewan gibt sich bestürzt: "Weder Drohungen noch Diskriminierung können jemals gerechtfertigt werden." Und auch die EU äußert Sorge: "Hetze, insbesondere Todesdrohungen gegen Frau Martirosyan, ihre Kollegen und die LGBTI-Gemeinschaft als ganze, sind Diskriminierungen, die von der Europäischen Konvention über Menschenrechte und Grundfreiheiten verboten sind. Armenien ist Teil davon, und seine Verfassung nimmt dazu Stellung." (flon, 2.5.2019)