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Überraschung: Die Zunge besitzt nicht nur Geschmackszellen, sondern auch Rezeptoren für Geruch.

Getty Images / Gerhard Egger

Philadelphia/Wien – Dass unser Geschmackssinn mit dem Geruchssinn in enger Verbindung steht, wissen wir alle aus eigener Erfahrung: Bei Schnupfen (oder auch nur bei zugehaltener Nase) nehmen wir Geschmäcke weitaus weniger intensiv wahr.

Das hängt damit zusammen, dass der Gesamteindruck des Aromas einer Speise oder eines Getränks durch das Zusammenspiel von Zunge und Nase entsteht. Während die Geschmackszellen der Zunge süß, sauer, bitter, salzig, umami und womöglich fett unterscheiden, verarbeiten die Riechsinneszellen die aus der Mundhöhle aufsteigenden Düfte. Die Geruchsstoffe, die von der Nase unterschieden werden können, gehen in die Zehntausende – und erst durch sie wird das Erleben komplexer Aromen beim Essen und Trinken möglich.

Bisher ging man davon aus, dass diese Informationen aus Nase und Zunge bei Säugetieren getrennt ans Gehirn weitergeleitet werden. "Zwar werden die Informationen beider Systeme zum Aroma vereint", wie Bilal Malik (Monell Chemical Senses Center in Philadelphia) erklärt. Man habe bisher aber gedacht, dass der Dialog der beiden Sinne erst im Gehirn geschehe.

Riechsensoren auf der Zunge

Genau diese Annahme wird nun von Malik und seinem Team infrage gestellt. Für ihre Studie im Fachblatt "Chemical Senses" markierten die Forscher in einem ersten Schritt bestimmte Gene für die Riechsensoren so, dass grüne Fluoreszenz die Produktion von Rezeptorproteinen zeigte. Auf diese Weise leuchteten auch Teile der Geschmackszellen in der Zunge anschließend grün.

Sind also auch in der Zunge aktive Riechzellen vorhanden? Dieser Frage gingen Malik und seine Kollegen im zweiten Schritt nach: Sie züchteten speziell markierte Geschmackszellen von Mensch und Maus in einer Zellkultur und überprüften, ob die Riechrezeptoren in diesen Geschmackszellen tatsächlich auf Düfte reagierten. Die Experimente machten klar, dass sowohl die menschlichen Geschmackszellen als auch die der Mäuse auf Geruchsstoffe reagierten.

Weitere Orte für Duftrezeptoren

Für Malik liefert diese überraschende Entdeckung den ersten direkten Beleg dafür, dass es funktionsfähige Geruchsrezeptoren in den menschlichen Geschmackszellen gibt. Doch bedeutet das nun tatsächlich, dass auch die Zunge ein wenig mitriecht? Gewisse Zweifel sind aus zwei Gründen angebracht: Zum einen wurden Duftrezeptoren auch schon auf Spermazellen gefunden, in Haarwurzeln, der Haut und sogar in den Bronchien. Zum anderen ist nicht klar, ob die Duftrezeptoren mit jenen Gehirnarealen in Verbindung stehen, die Gerüche verarbeiten.

Die Forscher halten eine weitere Funktionsweise für wahrscheinlicher: Die Geruchsrezeptoren auf der Zunge könnten mit ihrer Reaktion auf bestimmte Duftstoffe direkt in die Signalwege eingreifen, über die Geschmacksempfindungen bereits in der Zelle verarbeitet werden. Sie würden also quasi vor Ort den Geschmack mitgestalten.

Gesündere Lebensmittel

Sollte sich diese Vermutung bestätigen, würde das neue Möglichkeiten bieten, den Konsum von "ungesunden" Lebensmitteln, die oft viel Salz, Zucker oder Fett enthalten, zu verringern. Denn wenn statt Salz oder Zucker nur ein Duftstoff diese Lebensmittel für die Zunge süßer oder salziger machen könnte, ließe sich dadurch eine Menge Salz und Zucker einsparen. (Klaus Taschwer, 28.4.2019)