Wer reformiert die Mindestsicherung? Es war Beate Hartinger-Klein, freilich mit tatkräftiger Hilfe der ÖVP

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Beate Hartinger-Klein ist sprunghaft. Jedenfalls im wörtlichen Sinn, hat doch die Sozial- und Gesundheitsministerin ein Trampolin zu Hause stehen, auf dem sie gerne auf und ab springt, um sich fit zu halten. Einen großen Sprung in Richtung blaues Gesellschaftsmodell machte die 59-jährige gebürtige Steirerin in der vergangenen Woche mit einem Großvorhaben ihres Ressorts. Der Nationalrat beschloss die Reform der Mindestsicherung, die künftig wieder Sozialhilfe heißen wird.

Die SPÖ und diverse Sozialexperten lehnen die Reform, die vor allem für Mehrkindfamilien zu Kürzungen führen wird, entschieden ab. Sie befürchten eine Verfestigung von Armut und werfen der Ministerin vor, hartherzig und kalt zu sein. Was sozial ist, ist aber natürlich eine politische Wertungsfrage. In der freiheitlichen Logik gilt Hartinger-Klein als Vertreterin des "sozialen Flügels". Sie macht Politik im Sinne einer "sozialen Heimatpartei", wie Parteichef Heinz-Christian Strache die FPÖ gerne definiert. Das heißt: Wer nicht ausreichend Deutsch kann, bekommt eine um 300 Euro reduzierte Leistung. Die Einbußen für Großfamilien hält die Ministerin für gerechtfertigt, weil "hart arbeitende Menschen" nicht schlechter aussteigen dürften als jene, die "nicht arbeiten wollen". Dass Arbeitswilligkeit schon jetzt Voraussetzung für den Bezug von Mindestsicherung ist, wird dabei gerne unerwähnt gelassen.

Schwieriges Terrain

Für die FPÖ sind Sozialthemen heikel. Das weiß auch die aus einer Eisenbahnerfamilie stammende zweifache Mutter. Gestritten wurde bei der Sozialhilfe mit der ÖVP daher auch weniger um den Sprachmalus oder den Alleinerzieherbonus, sondern um die Frage, wann auf das Vermögen der Bezieher zugegriffen werden kann. Letztlich einigte man sich auf einen Vermögensfreibetrag von 5300 Euro.

Der gleiche Streit ist bei der Reform der Notstandshilfe zu erwarten, die laut Regierungsprogramm in ein "Arbeitslosengeld neu" umgewandelt werden soll. Mit diesem Thema hatte Hartinger-Klein bereits kurz nach der Angelobung für Irritationen beim Koalitionspartner ÖVP gesorgt. Sie verkündete, dass Menschen, die unverschuldet über längere Zeit keinen Job finden, auch in Zukunft unbefristet Hilfe bekommen sollen. Bei diesen werde man keinesfalls auf das Vermögen zugreifen. Abgesprochen war das mit den Türkisen nicht. Sie wurde zurückgepfiffen, mangels Konsens wurde die Causa schließlich auf Jahresende vertagt.

Auch bei anderen Themen missachtete Hartinger-Klein die koalitionäre Message-Control. Sie preschte beim Papamonat vor, obwohl es bis heute keine Einigung mit der Volkspartei gibt. Sie stellte einen Feiertag für alle am Karfreitag in Aussicht, obwohl der dann nicht kam. Und sie verkündete, wieder ohne Absprache und Not, die Auflösung der Allgemeinen Unfallversicherung (AUVA), obwohl diese gerade erst aufgefordert worden war, Sparvorschläge auszuarbeiten. Dazu kommen flapsige Sager, die aufgelegte Elfmeter für die politischen Gegner sind. So ließ sie wissen, man könne, sofern ein Wohnplatz vorhanden ist, "sicher" von 150 Euro im Monat leben. Ein viraler Hit wurde ihre Belehrung der Opposition im Parlament: "Wer schafft die Arbeit? Die Wirtschaft schafft die Arbeit. Bitte merkt's euch das endlich einmal."

Blaue Aufpasser

Ihrer impulsiven, mitunter chaotischen und sprunghaften Art hat sie auch zu verdanken, dass ihr die Partei einige "Aufpasser", wie böse Zungen formulieren, ins recht üppig ausgefallene Kabinett gesetzt hat. An erster Stelle zu nennen ist dabei ihr Kabinettschef Volker Knestel.

Der Vorarlberger ist, wie so viele in den blauen Ministerbüros, Burschenschafter (Nibelungen Bregenz). Ihm wird beschieden, auch inhaltlich großen Einfluss auf die Politik der Ministerin nehmen zu können. Knestel kommt aus dem Ring Freiheitlicher Wirtschaftstreibender, dessen Chef Matthias Krenn nun zum ersten Obmann der neuen Gesundheitskasse gewählt wurde. Knestel ist auch stellvertretender Obmann des Österreichischen Pennälerrings. Vorsitzender ist dort Udo Guggenbichler. Dessen Frau Helena wurde von Hartinger-Klein im Vorjahr zur Generalseketärin des Hauses bestellt. Auf der Ebene darüber liegt es vor allem am blauen Regierungskoordinator Norbert Hofer, ungeplante Sprünge Hartinger-Kleins möglichst einzudämmen. Hofer wird nachgesagt, nicht gerade begeistert von der Sozialministerin zu sein.

In der Partei gilt Hartinger-Klein allerdings als gut vernetzt. Sie lässt keine Zweifel an ihrer Loyalität aufkommen. Schließlich ist sie auch schon seit mehr als 20 Jahren politisch aktiv. Nach ersten beruflichen Erfahrungen beim Textilversandhaus Kastner & Öhler sowie in der internen Revisionsabteilung der Steiermärkischen Gebietskrankenkasse saß sie zwischen 1996 und 1999 im steirischen Landtag. Zur Blütezeit Jörg Haiders folgte 1999 der Wechsel in den Nationalrat. Bereits damals plädierte sie für die Zusammenlegung der neun Gebietskrankenkassen, die jetzt tatsächlich erfolgt.

Vom zuvor oft kritisierten Parteienproporz profitierte sie schließlich selbst während der Regierung Schwarz-Blau II. 2003 wurde sie zur Geschäftsführerin des Hauptverbands der Sozialversicherungsträger bestellt, zwei Jahre später zur Generaldirektorstellvertreterin. Unter Rot-Schwarz wurde sie dann nicht mehr verlängert, ging 2009 zur Beratungsgesellschaft Deloitte und machte sich zwei Jahre später selbstständig. Der Kontakt zur Sozialversicherung riss nicht ab. 2015 bewarb sie sich um die Stelle der AUVA-Generaldirektorin. Zum Zug kam sie nicht. Gegner unterstellen ihr seither, ihre AUVA-Auflösungsgelüste hätten auch damit zu tun.

In Kontakt blieb sie auch mit der FPÖ. Strache holte sie nach der Nationalratswahl 2017 in sein Team für die Koalitionsverhandlungen. Dort, so wird es von Teilnehmern berichtet, trat sie fachkundig und ruhig auf. Erst mit dem Wechsel auf die Regierungsbank wandelte sich auch das Auftreten. Den – meist roten – Spitzenbeamten des Ressorts soll sie klar zu verstehen gegeben haben, dass diese nur mit einem kleinen Vertrauensvorschuss rechnen dürften. Mit ihren Gesprächspartnern kommuniziert sie gerne im Befehlston, das Verhältnis zur Belegschaft ist unterkühlt.

FPÖ-Chef Strache hat sich mittlerweile damit abgefunden, eine Ministerin zu haben, deren nächste Schritte niemand zu 100 Prozent voraussagen kann. In Parteisitzungen findet der Vizekanzler, so berichten es Blaue, auch gerne lobende Worte für die studierte Sozial- und Wirtschaftswissenschafterin. In der FPÖ gilt es daher als äußerst unwahrscheinlich, dass Strache sie nach der EU-Wahl austauschen könnte. Womit sich eine Parallele zu Vorgänger Alois Stöger auftut: Auch der wurde von Anfang an als Ablösekandidat gehandelt, blieb dann aber stolze neun Jahre Minister. (Günther Oswald, 27.4.2019)