Der gestürzte Papst, der kniende Hitler: Maurizio Cattelan sorgte mit seinem schwarzen Humor immer wieder für Kunsttumulte.

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Cattelans Tauben im Theseustempel im Wiener Volksgarten.

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Fünfzehn ausgestopfte Tauben. Die Sippe fliegender Ratten sitzt hoch oben unter dem Gewölbe des Theseustempels im Wiener Volksgarten. Das ist also die Intervention des für seine Provokationen berühmten – seine in Museumswänden steckenden Pferdeleiber, den betenden Mini-Hitler und den von einem Meteoriten zu Boden gestoßenen Papst – Maurizio Cattelan. Tauben also. Hätte man das nicht einfacher haben können? Schließlich herrscht in der Stadt kein Mangel.

Allerdings kommt mit den Tauben auch ihr Dreck. Womit wir beim eigentlichen Grund für das allgemeine Missfallen angesichts der Vögel wären – und bei der Idee zu Cattelans Arbeit. 1997 war das. Der Künstler war vom damaligen Kurator der Biennale Venedig, Germano Celant, mit einem Werk beauftragt worden. Als er sich den Raum anschaute, war er schockiert: "Drinnen herrschte das völlige Chaos, und alles, wirklich alles, war voller Tauben. Für mich als Italiener war es, wie wenn man etwas sieht, das man nicht sehen soll, so wie beispielsweise das Ankleidezimmer des Papstes." Cattelan entschied, den Raum genauso zu präsentieren. Ungeschönt und mit Vogeldreck.

Turisti (Touristen) heißt das Werk – wie die Horden von Besuchern, die in die Lagune einfallen, ihren Mist in der Stadt lassen. Scharen von Touristen, die sich in jedem Winkel eingenistet haben – wie die Tauben. In Zahlen den Einwohnern überlegen.

Werke als Trophäen

2011 gab es in Venedig ein Wiedersehen mit den tausenden Tauben von Cattelan, die wie der Heilige Geist auf die Kunstwerke unter ihnen hinunterspähten. In Wien ist jedoch nur eine kleine Familie zu Gast, der Raum unter ihren Krallen leer. Cattelans Tauben sind über die ganze Welt verstreut. Kein Wunder, seine Werke sind Trophäen. Die rivalisierenden Sammler François Pinault und Bernard Arnault haben Unsummen für die taxidermierten Gäule des Künstlers bezahlt.

Die in Wien gelandeten Tauben gehören der Fondazione Prada in Mailand, die mit dem Kunsthistorischen Museum für die von Starregisseur Wes Anderson kuratierte Ausstellung Spitzmaus Mummy in a Coffin kooperierte.

Freilich, mit einer Sensation war in Wien nicht zu rechnen. Schließlich hatte Cattelan schon 2011, nach seiner großen Retro spektive im Guggenheim-Museum, angekündigt, sich – damals 51-jährig – vom Kunstbetrieb zurückzuziehen. Und tatsächlich hielt er die Füße ziemlich still. Mit einer Ausnahme: das Wasserklosett aus 18-Karat-Gold für das Guggenheim namens America. Das sorgte zweimal für Aufregung: 2016, als man es für die typischen Geschäfte auf dem stillen Örtchen freigab. Und 2018, als man es dem Weißen Haus als Dauerleihgabe anbot. Ist das gute Dutzend Tauben nicht trotzdem ein wenig mau? Oder ist es gerade gut, weil Cattelan im ehemaligen Habsburgerreich den Hofnarren gibt? Den Erwartungen widerspricht?

Cattelan liefert nicht, was erwartet wird

Im Grunde ist das die Rolle, die dem 1960 in Padua geborenen und in schlichten Verhältnissen auf gewachsenen Cattelan am ehesten entspricht: nicht das abzuliefern, was man von ihm erwartet. Und irgendwie hat er dabei meist alle glücklich gemacht. In den 1990ern seilte sich Cattelan, der nie Kunst studiert hat, mit aneinandergeknoteten Bettlaken von einer Vernissage ab, entzog sich dem an Künstler gestellten Erwartungsdruck. Er platzierte Schilder mit der Aufschrift "Ritorno subito" oder vermauerte gleich den Eingang der Galerie. Oder er klaute in einer Galerie die Werke eines anderen, um sie tags darauf als seine zu präsentieren. Er präsentierte aber auch schon eine Diebstahlsanzeige für eine Arbeit namens Invisible. Dazu passt, dass eine ihm nachempfundene Puppe bisweilen wie ein Dieb aus Löchern im Museumsboden lugte.

Stärker haften geblieben ist aber das, was näher am Spektakel ist, was wegen seines schwarzen Humors für Tumulte sorgte. Als Cattelans gestürzter Papst Johannes Paul II. in Wojtylas Heimat Polen präsentiert wurde, versuchten Parlamentarier, dessen Figur aufzurichten, die Museumsdirektorin verlor ihren Posten. Raunen auch, als vor drei Jahren seine kniende Hitler-Figur, seine Verniedlichung des "Bösen", für 17,2 Millionen Dollar verkauft wurde.

Cattelans Tauben in Wien werden eher nicht im Gedächtnis bleiben. Vielleicht ist es ein Wien-Spezifikum. Oder können Sie sich daran erinnern, dass Cattelan 1997 in der Secession zwei Aufsichtspersonen in die Pedale von Fahrrädern treten ließ, die damit die Energie für eine 15-Watt-Glühbirne erzeugten? Eben. (Anne Katrin Feßler, 27.4.2019)