Ich fuhr frontal gegen die Wand. Mit 280 Stundenkilometern. In einem Winkel, wie er schlimmer kaum sein konnte. Kurz darauf ging mein Ferrari in der Tamburello-Kurve von Imola in Flammen auf, ich saß zwanzig Sekunden im Feuer. Am nächsten Tag klingelte im Krankenhaus mein Telefon. Ayrton wollte mich sprechen, wissen, wie es mir geht. Meine Hände waren verbrannt, halb so wild. Aber diese Kurve bereitete mir echte Sorgen. Die Tamburello war gefährlich. Ich schlug vor, die Mauer zu versetzen, sonst hätte der Nächste vielleicht weniger Glück. Wir waren später vor Ort, um uns gemeinsam ein Bild zu machen – und sind schulterzuckend wieder gegangen. Die Mauer war nicht zu versetzen, weil dahinter ein Fluss ist. Fünf Jahre später ist Ayrton genau an dieser Stelle gestorben.

"Ich war im siebenten Himmel. Ayrton hat die Welt nicht mehr verstanden."

Ich erinnere mich an unser erstes Rennen als Teamkollegen, im März 1990. Für ihn war es die dritte Saison bei McLaren, für mich nach drei Jahren bei Ferrari eine neue Herausforderung. Das Cockpit war für meinen Vorgänger Alain Prost konzipiert, einen halben Meter zu kurz. Ich quetschte mich hinters Lenkrad und fuhr im Qualifying von Phoenix auf die Pole-Position. Ich nahm ihm acht Zehntel ab, auf einem Stadtkurs. Ich war im siebenten Himmel. Ayrton hat die Welt nicht mehr verstanden.

In Bergers Büro in seiner Spedition in Wörgl erinnert nicht wenig an die Formel 1. Und er erinnert sich nicht selten an Ayrton Senna.
Foto: Philip Bauer

Alle hatten mich vor einem Wechsel zu McLaren gewarnt. Sie sagten, Ayrton Senna sei übermächtig, eine Klasse für sich. Ich habe das nicht ernst genommen. Bis dahin hatte ich alle Teamkollegen im Griff. Ich war respektlos. Obwohl Ayrton bereits Weltmeister war, obwohl er jedes Regenrennen gewonnen hatte. In Phoenix bin ich ausgeschieden, zuvor fuhr ich aber die schnellste Rennrunde. Eine Sekunde schneller als er. Obwohl Ayrton gewann, hatte mich das Wochenende in meinem Selbstvertrauen bestärkt. Ich dachte, ich packe ihn. Ich dachte, das geht sich aus. Ich dachte falsch.

Ayrton ist nach Brasilien geflogen, hat die Situation analysiert und den Spieß umgedreht. Er war stärker als meine bisherigen Teamkollegen, mit Alboreto oder Mansell nicht zu vergleichen. Ein anderes Kaliber. Der Beste, der mir in der Formel 1 begegnet ist. Ich musste kontern, ihm etwas entgegensetzen. Wo kann ich ansetzen, wo sind seine Schwächen? Nur leider war bei dem Kerl kein Schwachpunkt zu finden. Denke ich heute zurück, fällt mir noch immer keiner ein. Er war sympathisch, er hatte Charme, er war fleißig, er war diszipliniert, er war schnell. Und ich war mit meinem Latein bald am Ende.

"Hab ich den Playboy gelesen, ist er mit der Bibel daneben gesessen."

Ob ich mir eingestanden habe, dass Ayrton schneller ist? Nein, das darfst du als Rennfahrer nicht. Sonst baust du ab, sonst bist du verloren. Ich habe jeden Tag an mir gearbeitet. Am Ende war ich immer einen Schritt hintennach. Seine mentale Stärke war überragend. Ob das auch mit seinem Glauben zu tun hatte? Er hat ihn jedenfalls zelebriert. Hab ich den Playboy gelesen, ist er mit der Bibel daneben gesessen. Zehn Minuten später wäre er mir für eine Bestzeit über den Kopf gefahren. Auf der Rennstrecke hatte er diesen Killerinstinkt.

Ayrton Senna da Silva im Gespräch mit seinem Teamkollegen Gerhard Berger.
Foto: : imago sportfotodienst

Nicht, dass wir uns falsch verstehen, Ayrton war nicht unfair. Auch deshalb konnten wir gleichzeitig Rivalen und Freunde sein. Wir waren oft gemeinsam auf dem Boot, ankerten vor Ibiza oder Sardinien. Wir waren junge Burschen, wir haben Blödsinn gemacht. Die Geschichten hört man gerne, sie sind nur eine Randnotiz. Ich erzähle lieber vom Sport. Würde ich Ayrton heute treffen, wär das auch unser Gesprächsthema. Es gab Zeiten, da war der Williams eine Sekunde schneller als der McLaren. Die Lücke war kaum zu schließen. Ayrton saß neben mir, kündigte eine Bestzeit an. Ich hielt es für unmöglich. Wie willst du das anstellen, habe ich ihn gefragt. Er hat gelächelt und das Auto auf Pole gestellt. So war Ayrton, so hat er funktioniert. Irgendwo hat er die Zeit gefunden.

Er wollte immer gewinnen, der Schnellste sein, das hatte er im Blut. 1983 fuhren wir als Youngsters beim Formel-3-GP von Macau gegeneinander. Er gewann, ich fuhr die schnellste Runde. Zumindest auf dem Papier, mir kam das selbst eigenartig vor. Aber wen interessiert das schon? Ihn! Er kam am Abend auf einer Party zu mir und regte sich wahnsinnig auf. Er hat nichts dem Zufall überlassen, er wollte immer die Kontrolle haben. Und das ist ihm auch gelungen. Jeder Mechaniker wäre für ihn durchs Feuer gegangen.

"Und dann kam dieses Wochenende in Imola. Man versteht das bis heute nicht."

Ich habe McLaren 1993 wieder Richtung Ferrari verlassen, Ayrton ging ein Jahr später zu Williams. Er wollte wieder im schnellsten Auto sitzen. Und dann kam dieses Wochenende in Imola. Man versteht das bis heute nicht. Da ist alles zusammengekommen. Am Freitag hob Rubens Barrichello mit Tempo 225 in der Variante Bassa ab und flog in den Reifenstapel. Am Samstag prallte Roland Ratzenberger frontal in eine Betonmauer. Wir sahen die Wiederbelebungsversuche über die Monitore, das waren schockierende Bilder, der erste tödliche Rennunfall seit 1982. Wir hatten uns in der Formel 1 sicher gefühlt, an den Tod hat man nicht mehr gedacht.

Ayrton Senna beim Grand Prix von Imola 1994.
Foto: imago/WEREK

Ayrton war nach den zwei Unfällen nervös. Er wollte, dass sich die Fahrervereinigung so bald wie möglich zusammensetzt, um die Sicherheitsvorkehrungen zu verbessern. Aber wir hatten noch ein Rennen zu fahren. Er stand auf Pole, ich hinter ihm auf Rang drei. Ich bin am Starting-Grid ausgestiegen, die Zuseher haben applaudiert. Ayrton hat unter seinem Helm gelacht, man konnte es an seinen Augen erkennen. Er hat sich für mich gefreut. Das war der letzte Kontakt, den ich mit ihm hatte.

In der siebenten Runde ist er vor mir in der Tamburello gegen die Wand gefahren. Ich war zunächst nicht beunruhigt. Der Winkel war nicht ganz so schlimm, der Aufschlag nicht ganz so wild. Das Rennen wurde abgebrochen, Bernie Ecclestone kam zu mir und sagte: "He's out of the car." Das heißt eigentlich, dass er okay ist. Das Rennen wurde wieder gestartet, ich dachte mir nicht viel. Erst als ich wegen eines Defekts an die Box musste, teilte mir jemand mit, dass es ihm nicht gut ginge. Die einen sagten, er sei verstorben. Die anderen, er sei verletzt. Ich bin mit dem Hubschrauber ins Spital von Bologna geflogen. Ein Arzt hat mich gefragt, ob ich ihn noch sehen will. Ich denke, er war da schon tot.

"Was Ayrton heute machen würde? Wahrscheinlich wäre er Präsident."

Drei Tage später fand das Begräbnis in São Paulo statt. Die Menschen säumten kilometerweit die Straßen. Diese Bilder sind mir geblieben. Ayrton war ein Nationalheld, eine Legende. Und das ist er noch immer. Kürzlich war ich in New York in einer Churrascaria. Der Wirt war Brasilianer, hat mich erkannt und kam schnell zum Thema. Was Ayrton heute machen würde? Wahrscheinlich wäre er Präsident von Brasilien. Er war ein sozial engagierter Kerl. Er hat Wert darauf gelegt, Gutes zu tun. Seine Denkart war überdimensioniert, und er hat nicht nur geredet, sondern die Dinge umgesetzt. Das Ganze kombiniert mit der Mentalität eines brasilianischen Straßenköters, ein Schlitzohr bis zum letzten.

Unvergessen: Lewis Hamilton küsst den Helm von seinem Vorbild Ayrton Senna.
Foto: APA/AP/Tyler Remiorz

Auf der Strecke musste man fast froh sein, ihn loszuwerden. Er war der schnellste Fahrer im schnellsten Auto. Der Pilot Senna mit dem Konstrukteur Adrian Newey wäre eine unschlagbare Paarung gewesen. Er hätte die nächsten fünf Jahre alles gewonnen. Mit der linken Hand. Das wäre eine langweilige Ära geworden. Mit dem Williams sind später Hill und Villeneuve Weltmeister geworden. Und die hatten bei allem Respekt nicht annähernd Ayrtons Speed. Für mich steht er auch über Piquet, Lauda, Prost und Schumacher. Lewis Hamilton ist der erste Fahrer, den ich auf dem Level von Ayrton sehe.

Es schmerzt sehr, einen engen Freund zu verlieren. Ich habe mich im ersten Moment gefragt, ob ich es bleiben lassen soll. Was Ayrton passiert ist, hätte mir genauso passieren können. Sogar eher. Bei ihm war es nicht zu erwarten, er war unantastbar. Deshalb kam es mir so vor, als ob die Sonne vom Himmel gefallen wäre. Ich habe zwei Tage überlegt und mich dann wieder ins Auto gesetzt. Das war gar nicht so schwierig. Rennfahren war meine Leidenschaft. Und Ayrton ist bei dem gestorben, was er am liebsten tat.

So tröstet man sich, so nimmt man sich die eigene Angst. Wenn was passiert, ist es für die Hinterbliebenen schlimm. Ich weiß das. Ein Rennfahrer nimmt dieses Risiko in Kauf. Man kann sagen, das ist falsch. Man kann sagen, das ist egoistisch. Aber so waren wir. Das war unser Leben. (Philip Bauer; Fritz Neumann, 27.4.2019)