Ein Bronzekopf des "Führers" im Parlament: NS-Propagandamaterial an einem nur auf den ersten Blick ungewöhnlichen Fundort.

Parlamentsdirektion/Johannes Zin

2017 wurden im Keller des Parlaments Objekte aus der Zeit des Nationalsozialismus gefunden. Wie soll man mit diesen "unbequemen Hinterlassenschaften" umgehen? Historikerin Verena Pawlowsky setzt die Fundstücke im Gastkommentar in historischen Kontext und warnt vor der "Gefahr, dass sie als vermeintliche 'Sensationsfunde' den Blick auf das NS-System in seiner Komplexität" verstellen.

Im Wiener Parlamentsgebäude wurden 2017 NS-Relikte gefunden, nun werden sie dem Haus der Geschichte übergeben (siehe DER STANDARD, 18.4.2019). Es ist nicht das erste Mal, dass man von diesem Fund liest, und es sind nicht die ersten Hinterlassenschaften aus der NS-Zeit, die im Hohen Haus auftauchen. Es ist gut, dass sie an ein Museum abgegeben wurden, doch es ist fraglich, ob sie in irgendeiner Weise je als Ausstellungsobjekte benutzt werden sollen. Schon die Einverleibung in eine Sammlung auratisiert sie gewissermaßen, und das will niemand.

Es ist nicht verkehrt, den Kontext dieser Stücke zu kennen. Wie kamen sie ins Parlamentsgebäude, wie konnten sie hier so lange unbemerkt bleiben, und wie wurden sie gefunden? In Museen ist es heute üblich, Stücke in ihrem Kontext zu präsentieren, dieser hebt sozusagen ihren Wert. Er enthebt Kuratoren und Kuratorinnen aber nicht der Frage, was man mit einem Ausstellungsstück eigentlich erzählen will.

Die Autorin dieser Zeilen hat gemeinsam mit Bertrand Perz und Ina Markova eine Studie zum Parlamentsgebäude veröffentlicht und mit Ersterem im Auftrag der Parlamentsdirektion ein Gutachten zu den erwähnten NS-Objekten erstellt. Die Überlieferungsgeschichte ist in diesem Fall schnell erzählt.

Vom Parlament zum Gauhaus

Das Parlamentsgebäude wurde in den Jahren der NS-Herrschaft zuerst von Joseph Bürckel, dem Reichskommissar für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich, genutzt. Schon zwei Tage nach dem Anschluss war er mit seinen Leuten in das seit der Ausschaltung des Nationalrates im Jahr 1933 seines ursprünglichen Zwecks beraubte Haus eingezogen. Von hier aus organisierte er die Volksabstimmung über den "Anschluss" Österreichs.

"Das Volk regiert" prangte bald auf einem riesigen Spruchband über dem Mittelportikus des Theophil-Hansen-Baus: Die Umdeutung des ehemaligen Hauses der Volksvertretung durch die NSDAP, die sich als wahre Vertreterin des "Volkes" verstand, kann man nur als zynisch bezeichnen: "Volk" war plötzlich "Volksgemeinschaft". Und in dieser hatten viele keinen Platz mehr.

Als Bürckel die Stadt im Sommer 1940 wieder verließ und seine Ämter – er war mittlerweile Reichsstatthalter und Gauleiter – an den aus Berlin kommenden Baldur von Schirach abgab, erklärte der das repräsentative Haus am Ring umgehend zum Gauhaus – zum Sitz der Wiener NSDAP.

Sieben Fundstücke

Es ist also weit weniger verwunderlich, als man annehmen möchte, dass in diesem Haus, das über sieben Jahre lang zentrale Einrichtungen des NS-Staates beherbergte, NS-Relikte entdeckt werden. Gleich nach Kriegsende fand man hier – von den Mitarbeitern der Gauämter nur unzureichend verbrannt – Papiere des früheren Gaupersonalamts: 300.000 Aktenbündel, die heute, im Österreichischen Staatsarchiv aufbewahrt, eine zentrale Quelle für die zeithistorische Forschung sind.

Im Parlamentsgebäude war insbesondere mit dem sogenannten Gauarchiv auch eine Dienststelle untergebracht, deren expliziter Auftrag darin bestand, Objekte und Dokumente aus jenen Jahren zu sammeln, in denen die NSDAP in Österreich verboten war (1933-1938). So fand damals vieles an älterem Material seinen Weg in das Parlamentsgebäude.

Es wurde in den letzten Jahrzehnten sukzessive abgetreten: Die Österreichische Nationalbibliothek erhielt in den 1970er-Jahren Fotos, das Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien kurz darauf ein Zeitungsausschnittearchiv. In den 2000er-Jahren gingen NS-Plakate und Akten in die Wienbibliothek und das Wiener Stadt- und Landesarchiv. Die Geschichte dieser Unterlagen hat Franz Gangelmayer 2010 in seiner Dissertation erforscht. Dann unterzog die Parlamentsbibliothek ihre Bestände einer Provenienzforschung. Der Historiker Harald Wendelin identifizierte nicht nur entzogene Bücher, die in der Folge restituiert wurden, sondern auch wieder: NS-Material.

Die nun dem Haus der Geschichte übergebenen sieben Stücke sind die jüngsten Funde und wahrscheinlich die letzten Objekte, die in diesem Zusammenhang auftauchen. Von den früheren Funden unterscheiden sie sich dadurch, dass es sich bei ihnen nicht um Akten oder andere Flachware, sondern um Kunstobjekte handelt – übrigens solche von äußerst minderer Qualität. Sieht man vom Bronzekopf des "Führers", den es gleich in doppelter Ausführung gibt, ab, wirken das Relief und die vier Gemälde wie Arbeiten mäßig talentierter Künstler. Der Großteil der Werke ist nachweislich vor dem "Anschluss" entstanden: auch das ein eindeutiges Indiz dafür, dass sie über das Gauarchiv in das Parlament kamen und nicht etwa der Ausschmückung des Gebäudes dienten.

Was nun also tun mit solchen unbequemen Hinterlassenschaften? Dämonisieren muss man sie nicht. Die Fundstücke mit einer Aura aufzuladen ist aber auch nicht angebracht. In welchem Zusammenhang sie eventuell Platz in einer historischen Schau bekommen könnten, wäre zu klären. Groß ist die Gefahr, dass sie als vermeintliche "Sensationsfunde" den Blick auf das NS-System in seiner Komplexität eigentlich verstellen.

Überschaubare Bedeutung

Die Bedeutung der Objekte an sich ist überschaubar: Es handelt sich um NS-Propagandamaterial, dessen Auffindungsort auf den ersten Blick ungewöhnlich erscheinen mag, es in Kenntnis der Geschichte des Parlamentsgebäudes aber gar nicht ist. Einzig ungeklärt ist, warum sich die Objekte in einem Stahlschrank im Müllraum des Hohen Hauses bis heute erhalten haben. Aber diese Frage – sie wird unbeantwortet bleiben müssen – stellt sich für jede auf einem Dachboden gefundene Ausgabe von Hitlers Mein Kampf genauso. (Verena Pawlowsky, 29.4.2019)