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Die Geschäftsbasis der Ölmultis beginnt zu erodieren. Experten sehen massiven Handlungsbedarf, will die Branche nicht von Gesetzgebern und Investoren abgestraft werden.

Foto: Reuters

Es war die Hochzeit der Ölkonzerne. Im 20. Jahrhundert gewannen die Exxons, Shells und BPs dieser Welt parallel mit der Expansion des Individualverkehrs an Macht und Einfluss. Nichts schien ihre Expansion begrenzen zu können, außer die Begrenztheit des Rohstoffs Öl selbst.

Doch Peak Oil – das Fördermaximum, ab dem es mit der Förderrate zwangsläufig nur noch bergab geht – ist durch neue Produktionstechniken wie Fracking auf später verschoben. Die größte Bedrohung für die Ölmultis ist anno 2019 der Klimawandel.

Die Öl- und in etwas geringerem Ausmaß auch die Gasunternehmen sehen sich steigendem Druck von Umweltaktivisten, Regulatoren und neuerdings auch Investoren ausgesetzt. Nicht nur, aber insbesondere in Europa ist von Energiewende die Rede. Gemeint ist damit die Abkehr von fossilen Brennstoffen, die als Hauptverursacher der hohen CO2-Konzentration in der Atmosphäre identifiziert wurden, und die Hinwendung zu erneuerbaren Energien.

Denn das Übermaß an freigesetztem Kohlendioxid gilt als maßgeblicher Treiber der Erderwärmung. Diese Erkenntnis und die sich in immer kürzeren Abständen manifestierenden Folgen des Klimawandels beginnen die Geschäftsbasis der Ölmultis zu erodieren.

Akuter Handlungsbedarf

Für Konzerne der Öl- und Gasbranche bestehe "akuter Handlungsbedarf", heißt es in einer Studie der Unternehmensberatung Boston Consulting Group, die dem STANDARD vorliegt. Für die betroffenen Unternehmen sei aber nicht alles verloren, die Zukunft nicht zwangsläufig verbaut.

Durch rechtzeitige Anpassungsmaßnahmen hätten sie es in der Hand, zumindest die gefährlichsten Klippen, sprich eine drohende Abstrafung durch Gesetzgeber und Investoren, zu umschiffen.

Essenziell sei es, den Investoren zu jedem Zeitpunkt reinen Wein über das eigene Tun einzuschenken. Es gelte zu kommunizieren, welche Strategie zur Wertsteigerung des Unternehmens es selbst im Fall eines Totalverzichts auf fossile Brennstoffe gibt.

Öl- und Gasunternehmen sind direkt (über die Produktion fossiler Brennstoffe) oder indirekt (durch verbraucherseitige Verbrennung von Öl und Gas) für gut 40 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich. Wo die Industrie zur Eindämmung klimaschädlicher Emissionen selbst etwas beitragen kann, sollte sie dies tun, raten die Autoren.

Zumindest diese Erkenntnis ist in der Industrie angekommen. Laut der Studie, in der mit Royal Dutch Shell, BP, Total, Exxon Mobil, Chevron, Eni und Equinor sieben weltweit agierende, private Mineralölriesen genauer unter die Lupe genommen wurden, ist einiges geglückt. Zwischen 2014 und 2017 sei es sechs der sieben untersuchten Unternehmen gelungen, die Intensität der Emissionen in der Produktionsphase (Upstream) um durchschnittlich zehn Prozent zu senken. Bei der Verarbeitung von Rohöl sowie dem Produktverbrauch (Downstream) hingegen gab es so gut wie keine Fortschritte, die Emissionsintensität blieb fast unverändert.

Erst der Anfang

Von 2014 bis 2017 haben die in der Studie beleuchteten Konzerne mehr als hundert Projekte zur Reduktion des CO2-Ausstoßes gestartet. Darin inkludiert sind Investitionen in CO2-Abscheidung, Energieeffizienz, die Vermeidung des Abfackelns von Gas sowie die Reduktion schleichender Methangasemissionen durch schadhafte technische Ausrüstung. Dies könne nur ein Anfang sein, "sie werden mehr tun müssen", heißt es in der Studie.

Die Unternehmen seien zudem angehalten, genau Buch zu führen, wo, wann und wieso welche Emissionen entlang der Wertschöpfungskette anfallen, mit dem Ziel, diese zu minimieren und gegenüber der Öffentlichkeit und den Investoren mit offenen Karten zu spielen. Schließlich werden Kohlenwasserstoffe weiter eine wichtige Rolle im Energiemix spielen.

Angesichts der nebulösen Zukunftsaussichten seien Unternehmen im Vorteil, die mit geringsten Kosten arbeiten, relativ wenig zu investieren haben und das Geld in kurzer Zeit zurückverdienen können. Durch den absehbaren Siegeszug der Elektroautos wird nicht nur die Nachfrage nach Mineralölprodukten sinken; absehbare Verbote bestimmter Plastikprodukte werden auch das Petrochemiegeschäft und somit einen weiteren wichtigen Absatzmarkt der Branche einschränken.

Ein möglicher Ausweg für die Öl- und Gasunternehmen in Zeiten der Energiewende sei die Erweiterung ihres Portfolios um erneuerbare Energien, schreiben die Studienautoren. Das sei derzeit kaum der Fall. 2018 machten erneuerbare Energien nur 0,1 Prozent der von den untersuchten Multis bereitgestellten Energie aus. (Günther Strobl, 29.4.2019)