Kanzler Kurz und Vizekanzler Strache einigen sich auf eine Steuerreform, die 6,5 Milliarden Euro Entlastungen bringen soll. Wie die Gegenfinanzierung aussehen soll ist offen.

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Wer hat nicht schon aller die größte Steuerreform aller Zeiten für sich beansprucht? Diesmal ist es die Regierung unter Sebastian Kurz (ÖVP) und Heinz-Christian Strache (FPÖ), die als historische Entlastungskoalition in die Geschichte eingehen möchte. Auf 6,5 Milliarden Euro hat sie das Volumen hinaufgeschraubt, das der Staat den Bürgern und Unternehmen jährlich zurückgeben soll.

Der Großteil soll in die Senkung der Einkommensteuer fließen, aber auch die Körperschaftsteuer (KöSt) für Unternehmen soll nach STANDARD-Informationen in zweite Etappen gesenkt werden. Im Jahr 2022 soll sie von 25 auf 23 Prozent sinken, im Jahr darauf auf 21 Prozent. Andere Varianten wie eine höhere Senkung der KöSt für nicht entnommene Gewinne oder ein nur 15-prozentiger Satz auf die ersten 100.000 Euro Gewinn wurden dem Vernehmen nach wieder verworfen.

Aufstockung

Mit der Aufstockung der Entlastung – bisher waren 4,5 Milliarden vorgesehen – katapultiert sich Türkis-Blau tatsächlich weit nach vorn. Der Regierung den Spitzenplatz bei der Steuersenkung streitig zu machen wird den Gegnern nicht ganz leichtfallen.

Das Rennen um den Titel "Abgabenkiller der Republik" war vor dem Wochenende noch ziemlich offen. Mit den ursprünglich 4,5 Milliarden Euro an Entlastung hätte die Regierung das Volumen der Steuerreform von 2016 knapp verfehlt. Damals wurden 5,4 Milliarden Euro lockergemacht. Eine Betrachtung, bei der die Steuerentlastung in Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt gesetzt wird, hätte daran nichts geändert. Mit 1,13 Prozent des BIP wären Kurz und Strache auch noch hinter die Reformen 2004/05 unter Kanzler Wolfgang Schüssel und Finanzminister Karl-Heinz Grasser sowie 2009/10 unter Bundeskanzler Werner Faymann und Säckelwart Josef Pröll zurückgefallen.

Weshalb schon eifrig Berechnungen angestellt wurden und werden, wie viel von der jeweiligen Entlastung brutto und netto war und ist. Soll heißen: Wie viel davon kam und kommt tatsächlich bei Bürgern und Unternehmen an, und welcher Betrag wird postwendend wieder abgenommen? Linke Tasche, rechte Tasche, könnte man sagen.

Das Volumen der Steuerreformen im Vergleich – brutto, also ohne Maßnahmen zur Gegenfinanzierung.

Rechenspiele

Hier zeigt sich die Regierung nun besonders bestrebt, frühere Entlastungen kleinzurechnen und damit den Rekordanspruch des jetzigen Vorhabens zu untermauern. Das von Hartwig Löger geführte Finanzministerium hat beispielsweise errechnet, dass von der 5,4 Milliarden Euro schweren Steuerreform unter Faymann nur 2,5 Milliarden Euro effektiv als Entlastung zu werten seien. Denn: Mit der Registrierkassenpflicht, höheren Steuern auf Kapital- und Immobilienerträge sowie der bereits wieder rückgängig gemachten Erhöhung der Umsatzsteuer auf Nächtigungen "blieben lediglich 2,5 Milliarden Euro an Nettowirkung", heißt es in dem Papier des Ressorts.

Experten halten diese Rechnung für tendenziös. Sie meinen, dass die Registrierkassenpflicht nicht einmal das ursprünglich geplante Mehraufkommen von 900 Millionen Euro einspielte. Das lässt sich auch daraus ableiten, dass das Wachstum bei der Umsatzsteuer in den ersten beiden Jahren nach der Einführung 2016 um bis zu 50 Prozent unter den Erwartungen des Finanzressorts lag.

Hans Jörg Schelling (links) und Werner Faymann haben für ihre Gegenfinanzierung der Steuerreform 2016 Kritik geerntet.
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Unstrittiger ist die Wirkung der 2009 beschlossenen Steuerreform, die ganz im Zeichen der Wirtschaftskrise nach dem Zusammenbruch der US-Investmentbank Lehman Brothers stand. Nicht einmal ein Zehntel der damaligen Entlastung wurde gegenfinanziert, und dennoch findet die jetzige Regierung ein dickes Haar in der Suppe: Die unter Faymann/Pröll erfolgte Steuersenkung wurde gänzlich auf Pump durchgeführt, während jetzt trotz Segnungen für das Volk ein dauerhaftes Nulldefizit angestrebt wird.

Ähnlich fällt die Beurteilung des Pakets unter Schüssel/ Grasser aus, das ebenfalls einige Belastungen enthielt. Das Wifo kommt zu dem Ergebnis, dass netto die Steuersenkung von 1,3 Prozent des BIP die bisher größte war. Doch auch hier kontert Löger nun mit dem Argument, dass dafür eine hohe Neuverschuldung eingegangen worden sei.

Geringe Wirkung

Die Regierung versucht äußerst intensiv, auf die Reinheit der Entlastung hinzuweisen. Strache spricht davon, dass sie "ohne neue Schulden und mit einem sanierten Haushalt" durchgeführt werde. Kurz: "Wir geben den Menschen zurück, was ihnen der Staat über viele Jahre weggenommen hat."

Das Fokussieren auf die Nettoentlastung dürfte damit zu tun haben, dass Steuerreformen bisher politisch nichts gebracht haben. Schwarz-Blau wurde abgewählt, Rot-Schwarz verlor nach der Steuersenkung die Wahl 2013. 2017 legte die ÖVP – wieder nach einer Steuerreform – zwar deutlich zu. Doch mit Kurz als neuem Parteichef und der Migration als Hauptthema dürfte der Wahlsieg andere Gründe gehabt haben.

Die Lehre von Kurz und Strache daraus: Entlaste ohne Gegenfinanzierung und zusätzliche Schulden. Das gilt zumindest für die Steuerreform. Eine Gesamtbetrachtung unter Einbeziehung der neuen Sozialhilfe anstatt der Mindestsicherung, der noch offenen Reform der Notstandshilfe sowie anderer Maßnahmen der Regierung könnte zu einer anderen Beurteilung führen. (Andreas Schnauder, 29.4.2019)