Fredy Bickel war schon vor dem 3:4 gegen Hartberg Kummer gewohnt.

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Am 10. Dezember 2016 wurde Fredy Bickel als Geschäftsführer Sport von Rapid präsentiert. Am 5. April 2019 gab er seinen Abschied mit Saisonende bekannt. Vor dem Cupfinale am 1. Mai in Klagenfurt gegen Red Bull Salzburg zieht der Schweizer eine durchwachsene Bilanz.

STANDARD: Es heißt, man soll aufhören, wenn es am schönsten ist. Da hätten Sie noch Jahre bei Rapid bleiben müssen, oder?

Bickel: Ohne überheblich zu sein, habe ich das Gefühl, es müssten vielleicht nicht ein paar Jahre sein. Ich glaube, wir sind gar nicht so viele Schritte von einer guten Zeit entfernt. Es fehlen gewisse Dinge, ganz klar, aber es ist trotzdem Land in Sicht.

STANDARD: Österreich ist nicht gerade für seine Rücktrittskultur berühmt. War Ihre Entscheidung alternativlos? Sie hätten das Cupfinale gegen Salzburg abwarten können.

Bickel: Du fängst einmal bei dir selbst an. Wenn ich reflektiere, dann ist es schon so, dass ich es nicht fertiggebracht habe, in dieser Zeit eine gewisse Konstanz in die Mannschaft zu bringen. Es gab seit Monaten Gerüchte meine Person betreffend, ich spürte, dass ein neues Präsidium, wie immer es auch aussehen mag, und ich nicht wirklich zusammenpassen.

STANDARD: Michael Krammer hatte bereits im November bekanntgegeben, als Präsident heuer im Herbst aufzuhören. War das auch Ihr Anfang vom Ende? Ihnen wird ein gutes Verhältnis zu Krammer nachgesagt.

Bickel: Das hat mit dem zu tun. Ich wartete nicht auf den möglichen Knall Endes des Jahres, ich kann in Freundschaft und Ruhe gehen, fair und sauber übergeben. Das ist mir wichtig. Ein Cupsieg hätte nichts geändert. Ich will ihn aber unbedingt.

STANDARD: Den Vorwurf, dass viele Transfers keine Heuler waren, müssen Sie sich gefallen lassen.

Bickel: Ja, das Geschäft läuft so, ich nehme es auf mich. Zur Verteidigung muss ich sagen, dass es Transfers waren, die breit akkordiert waren. Das größte Problem waren die Trainerwechsel. Jeder, zunächst Canadi, dann Djuricin und jetzt Kühbauer, hat die Mannschaft naturgemäß anders gesehen. Wir gingen Risiko bei den Transfers ein. Wir wollten Qualität, holten Spieler, die Probleme hatten, Zeit brauchten. Sie waren sofort im Hintertreffen.

STANDARD: Sie bezeichnen sich als Fußballromantiker. Haben die zweieinhalb Jahre Rapid daran etwas geändert?

Bickel: Es hat sich insofern etwas geändert, als ich mich oft hinterfragt habe. Musst du dich ändern? Für mich ist die Teamarbeit wichtig, auf und neben dem Platz. Es ist bisher aufgegangen, hier nur bedingt. Fußball ist ein Teamsport. In der heutigen Welt, wo jeder um seinen Platz kämpft und sich viele selber in den Vordergrund stellen, bleibt das Wir-Gefühl auf der Strecke. Vielleicht muss man die Romantik reduzieren. Auch wenn es persönlich schwerfällt.

STANDARD: Jeder, der mit Ihnen zu tun hat, lobt Ihre soziale Kompetenz, Ihren zwischenmenschlichen Umgang. Muss man ein Schwein sein, um Erfolg zu haben?

Bickel: Man muss kein Schwein sein, aber du musst intern mehr auf dich selbst schauen, dich besser verkaufen. Es ist eine traurige Erkenntnis, eine Absage an die Solidarität. Aber ich wehre mich weiter dagegen, ein Schwein zu sein. Für mich bleibt Fußball Zusammenhalt, Unterhaltung, Freude. Wobei mir klar ist, dass er Kommerz ist.

STANDARD: Was läuft bei Rapid falsch? Man betont immer, etwas Besonderes zu sein, Rapid sei Religion, heißt es. Der Verein pflegt das – und wirkt irritiert, dass die Falltiefe deshalb höher ist. Ist die Erwartungshaltung fast pathologisch?

Bickel: Schmutzwäsche wasche ich keine. Rapid war mit Abstand der bisher schwierigste Verein. Er ist sehr speziell, zieht dich zwangsläufig mit hinein. Die Grenze zwischen Eigene-Linie-Gehen und Sich-beeinflussen-Lassen ist bei Rapid sehr schwierig und nicht immer klar. Das ist gefährlich für den ganzen Klub. Die Erwartungshaltung hat nicht nur mit dem Verein zu tun. Da treffen zwei Große aufeinander: die Weltstadt Wien und Rapid. Der Rekordmeister, der deutscher Meister war, der ein neues Stadion, mehr finanzielle Mittel als andere hat. Jeder denkt, die Erfolge von früher kommen wieder. Der Unterschied ist: Die Fußballwelt hat sich völlig verändert.

STANDARD: Inwiefern?

Bickel: Man muss sich ehrlich eingestehen, mit den großen Ländern nicht mithalten zu können, bereits Top 50 ist eine riesige Herausforderung. Die Selbsteinschätzung muss realistischer werden. Wenn ein Spieler wie Galvao in der zweiten deutschen Liga weit mehr als das Doppelte verdient, da muss man sich bewusst werden, wo wir auf der Weltkarte des Fußballs stehen. Und in Österreich hast du Red Bull Salzburg, die sind Fluch und Segen. Ein Segen, weil sie viel für den österreichischen Fußball tun, das wird zu wenig geschätzt. Der Fluch ist, es kommt immer nur der Vergleich mit Salzburg. Salzburg ist eine andere Liga.

STANDARD: Ein Dauerthema bei Rapid ist die Macht der Fans. Dem Klub fällt es offenbar schwer, sie in Zaum zu halten. Ihnen wurden die Autoreifen aufgeschlitzt, man hat zugeschaut, wie Trainer Djuricin weggemobbt wurde. Sie versuchten entgegenzuwirken. Fühlten Sie sich im Stich gelassen?

Bickel: Ja, ich habe mich ab und zu allein gefühlt. Ich sehe die Rapid-Seite, du willst ein offener Mitgliederverein sein. Das ist der schwierigste Weg. Es ist gut, ihn gehen zu wollen, aber dann musst man stark sein – und sagen, dass man sich bei gewissen Dingen nicht dreinreden lässt und Regeln aufstellt. Ja, mir wurden die Reifen aufgeschlitzt, aber das kann irgendjemand gewesen sein. Ich muss klar betonen, von den Ultras selbst bin ich immer anständig angegangen worden – eine gute Dialogbasis. Viel schlimmer sind die Leute rund um den Verein, die alles mit früher vergleichen. Was man da für Schandmails und Hasspostings kriegt, ist tief. Rapid muss sich selber finden. In zweieinhalb Jahren habe ich den dritten Trainer, wie kann da eine Kontinuität entstehen? Das ist auf der ganzen Welt nicht möglich. Da braucht es ein Zeichen, einen Drei- oder Vierjahresplan. Man darf nicht bei der kleinsten Unruhe sofort wieder alles ändern.

STANDARD: Was hat Sie an Rapid fasziniert?

Bickel: Die Emotionen, die Rapid schüren kann, sind Wahnsinn. Der Verein hat großes Potenzial. Den Vergleich mit Basel oder Young Boys Bern, um nur die Schweiz zu nehmen, müsste man absolut nicht scheuen, sie holten Titel, waren in der Champions League. Das wäre hier auch möglich.

STANDARD: Wie war das Alltagsleben für einen Schweizer in Wien?

Bickel: Es bedurfte einer Eingewöhnungsphase. Zum Beispiel esse ich in Wien nur einmal am Tag, weil die Portionen so massig sind. Sonst wirst du kugelrund. Auch die Trinkkultur ist interessant. Ich bin ein Weingenießer, trinke, seit ich denken kann, jeden Mittag ein Glas Weißwein. Manche halten dich hier dafür beinahe für einen Alkoholiker, manche verstehen nicht, dass du nicht gleich eine Flasche bestellt hast. Ich liebe die Stadt, die Konzerte. Die Wiener Musikszene finde ich überwältigend, Ostbahn-Kurti, Ambros, Fendrich, Nino, Voodoo Jürgens, Marianne Mendt.

STANDARD: Die politische Situation?

Bickel: Ich verfolge das mit, aber ich halte mich da zurück. Generell besorgt mich der Rechtsruck. Österreich macht sich so viele Probleme selber. Eigentlich hat man alles, was man braucht. So viel Schönes. Manchmal ist es hier zum Kopfschütteln.

STANDARD: Wehmut gehört zu Wien. Sind Sie wehmütig? Oder haken Sie das ab?

Bickel: Ich habe den Hang zu Wehmut. Der Prozess, zu erkennen, dass es vorbei ist, tat weh und tut es noch. Ich scheide ungern. Am vorletzten Sonntag war ich als Beispiel zum ersten Mal am Zentralfriedhof. Es gäbe in Wien noch viel zu sehen.

STANDARD: Bleiben Sie in dieser Branche?

Bickel: Klar, ich mache das seit 30 Jahren, ich kann nichts anderes. Ich bin ein vorsichtiger, bodenständiger, strukturierter Mensch. Das Nichtwissen, was im Juli passiert, hätte bei mir unter normalen Umständen Panikattacken ausgelöst. Es ist nun das erste Mal, dass ich es völlig ruhig angehe. Nach meiner Rücktrittserklärung sind umgehend fünf oder sechs Anfragen gekommen. Ich war gar nicht bereit, mit ihnen zu sprechen. Ich sehe mich im deutschsprachigen Raum, sicher nicht in Österreich. Nach Rapid gibt es hier nichts für mich. Vermutlich bin ich in der Schweiz am besten aufgehoben.

STANDARD: Wir sprachen übers Scheitern. Andererseits gab es in Ihrer Ära ein Transferplus von mehr als zehn Millionen Euro.

Bickel: Ich hatte einen klaren Auftrag: Nachwuchsarbeit, medizinische Abteilung und Scouting verbessern, die Professionalität vorantreiben. Zudem sind wir angewiesen auf Transfergewinne. Sorry, das alles waren keine Selbstverständlichkeiten. Wir stehen vor dem Trainingszentrum, sechs Jugendnationalspieler sind im Sommer wieder zu Rapid gekommen, wirtschaftlich stehen wir auch dank des Sports gut da. Die Aufzählung könnte weitergehen, aber es sind Dinge, die die Öffentlichkeit verständlicherweise nicht interessieren.

STANDARD: Hat Rapid im Cup Chancen?

Bickel: In einem Spiel hast du immer Chancen – obwohl Fußball gemein sein kann. (Christian Hackl, 29.4.2019)