Es ist jetzt wirklich nicht so, dass du hoffst, dass es bald wieder einen birnt. Obwohl genau das eine der wenigen Gelegenheiten ist, wo man ein wenig durchschnaufen kann. Zumindest im ersten Viertel des drei Stunden dauernden Trainings. Danach gewöhnt man sich an das orange Drehlicht, das die ganze Daytona-Karthalle in eine riesige Warnlampe verwandelt, hebt nur kurz den Kopf, um zu sehen, wo sich jemand ausgebreitet hat. Das Messer zwischen den Zähnen spuckt man deswegen dann nicht mehr aus.

Rutschiger Belag, kleines und schwaches Motorrad, hoher Speed: Das sind die Zutaten zum Hallentraining von Roland Resch.
Foto: Wolf-Dieter Grabner

Worum es überhaupt geht? Roland Resch, der früher in der WM die stärksten Eisen gefahren ist, der hat seit ein paar Jahren nicht nur eine Racing-School, sondern mietet sich jeden Winter – inzwischen ob des großen Erfolgs eh schon von September bis Juni, scheint mir – in der Karthalle Daytona in Langenzersdorf ein. Dort macht er ein Motorradtraining, das sich von anderen Trainings in so ziemlich jedem Punkt unterscheidet. Allein, dass man nicht übern Häfn fahren soll, darauf besteht er, wie die Organisatoren aller anderen Trainings auch. Das tun aber doch einige. Sonst wäre es nur mit heftigsten Müdigkeitsanfällen zu erklären, dass ab und an jemand neben seiner Yamaha auf der Strecke liegt.

Die Zutaten

Genau. Yamaha. Resch hat heuer seinen Fuhrpark umgestellt und erneuert. Das heißt, man braucht sich um nix kümmern als um das eigene Gewand und einen Kanister Franzbranntwein – aber dazu später. Die Motorräder stellt der Roland. Zierliche Yamahas. 125er. Und nicht nur der Motor ist noch nicht erwachsen. Die Motorradln selbst wie auch die Reifen sind erst am Anfang der Pubertät, will man meinen, weil sie noch so zierlich sind. Doch geringschätzen darf man das Equipment nicht. Ganz im Gegenteil: Die Kombination aus Radl, Gummis und Halle samt Belag ist perfekt aufeinander abgestimmt. Es geht darum, dass der Grenzbereich möglichst groß ist. Und genau in diesem bewegt man sich die meiste Zeit. Wenn man halt tut, was Roland Resch anschafft. Alles andere bringt eh nichts auf diesem engen und saurutschigen Kurs.

Roland selbst dreht auch immer wieder gern ein paar Runden und zeigt, wie schnell man fahren könnte.
Foto: Wolf-Dieter Grabner

Es geht nicht um vorsichtiges Anbremsen und rasches Ausweichen. Schon bei der ersten Besprechung, die sich vorwiegend um die Sitzposition dreht, ist klar: Hier geht es um Hang-off, um ein Vorderrad, das einem in jeder Kurve wegrutscht, und ein Hinterrad, das dem vorderen diesbezüglich in nix nachsteht. Kurzum, auch wenn man nur die von Roland maximal erlaubten 90 Prozent seines Potenzials ausschöpfen darf, wird man hier jenseits der Haftgrenze unterwegs sein.

Stollenreifen, glatter Belag

Die ersten Runden gehen ja noch. Da ist man damit beschäftigt, sich zu fragen, welcher Teufel einen geritten hat, hier mitzumachen. Noch einmal zum Mitschreiben: Der Belag ist rutschig, statt Slicks sind auf den Motorrädern Stollenreifen montiert, und damit es auch ein bisserl eine Herausforderung gibt, bewegen wir uns alle gleichzeitig auf einer engen Rundstrecke ohne Sturzräume. Aber das respektvolle Herumnudeln hält nicht lang an. Weil: Entweder jemand schließt auf dich auf. Oder du schließt auf jemanden auf. Und dann packt einen der Ehrgeiz.

Die meiste Zeit ist man schon in einem Modus unterwegs, der die Adrenalinausschüttung ordentlich fordert.
Foto: Wolf-Dieter Grabner

Wer zum Hallentraining vom Roland kommt, der weiß, dass das jetzt keine Kinderjause wird. Dabei ist das Niveau des fahrerischen Könnens komplett powidl. Vom Anfänger bis zum Profi kann sich hier jeder einen Muskelkater holen, der schon ein paar Tage anhält. Da ist er wieder, der Franzbranntwein. Da wäre zum Beispiel auf der einen Seite die einzige Dame beim Training, nennen wir sie die Reißerische, die seit sechs Jahren nimmer am Motorradl gesessen ist. Und dann wäre da zum Beispiel der Spross aus Rolands Racing-Schule, der jede freie Minute nichts anderes macht, als den Gashahn zu würgen. Nach zwei Stunden in der Daytona machen beide genau das Gleiche. Sie fahren schwer am Knie ums Eck. Nicht obwohl es rutschig ist. Sondern weil es rutschig ist. Weil es eben gar nicht anders geht, wenn du nicht von jemandem überholt werden willst, der sein Motorradl über die Strecke schiebt. Wer übrigens im feinen Textil anreist und keine Knierutscher hat, kriegt vom Roland ein paar gut eingefahrene geborgt.

Der junge Mann ist Dauergast in der Racingschule von Roland Resch und nicht nur ambitioniert, sondern auch talentiert.
Foto: Wolf-Dieter Grabner

So dauert es nicht lange, dass man die Zeit, wo keiner hinter oder vor einem ist, sehr genießt. Da kann man sich auf das konzentrieren, was man sich vorgenommen hat: Sitzposition, locker bleiben, immer noch locker bleiben, bleib locker, Alter. Alter! Locker! Oder ein bisserl schön ist eben auch, wenn das orange Licht leuchtet. Dieser Nichtangriffspakt tut ganz gut, auch weil man sich so gut wie sicher sein kann, dass dem Purzel eh nichts passiert ist. In allen anderen Fällen ist man dann doch bemüht, an dem dranzubleiben, der einen gerade überholt hat, oder gar zu dem, der vor einem ist, aufzuschließen. Da pumpt dir dann das Adrenalin durch den Körper, dass du nicht mehr weißt, ob es Schweiß ist, der von deinem Helmpolster in deine Lederkombi tropft, ob es Tränen sind oder schon das Blut, das mit so viel Druck durch deine Adern gepumpt wird, dass du wie eine Frankfurter im heißen Wasser aufplatzen würdest, wenn du kein zu enges Leder anhättest.

Zur Einordnung

Jetzt aber nicht, dass Sie glauben, da wird ein böses Rennen gefahren, da treten sich die Leut gegenseitig vom Bock. Nichts dergleichen. Hier wird fairer als fair gekämpft. Es geht nicht ums Gewinnen. Es rennt weder die Uhr mit, noch werden die Runden gezählt. Man fährt nur gegen sich selbst. Man versucht den Grenzbereich auszukosten, die Schräglage zu maximieren, das Tempo zu erhöhen. Wie stark kann ich die Yamaha rutschen lassen, ohne dass ich mich bis zum Kurvenausgang angewischerlt habe. Was übrigens wurscht wäre. Nach einer halben Stunde ist man patschnass und stinkt wie ein Iltis, dass nur mehr ein medizinisches Labor die Körpersäfte in der Wäsche unterscheiden könnte.

Drei Stunden lang stand Wolf-Dieter Grabner an den unmöglichsten Abschnitten der Strecke, fürchtete um sein Leben und schoss unter wildesten Bedingungen diese genialen Fotos.
Foto: Wolf-Dieter Grabner

Natürlich kann man jederzeit rausfahren und eine Pause machen. Da steht man dann zitternd an der Strecke, schaut den anderen zu und hört mit einem Ohr die Tipps vom Roland, im anderen sein eigenes Blut rauschen. Im Kopf will man aber nur wieder raus auf den Rundkurs. Man weiß, man muss die Zeit nutzen. Man versucht so lange nicht auf seinen Körper zu hören, bis er einen dazu zwingt. Und das geht so: Wenn du nicht mehr kannst, dann hörst du auf, locker am Bock zu sitzen, du verlierst diese Beweglichkeit, die der Roland von der ersten Sekunde an gefordert hat. Und dann dauert es nicht mehr lang, bis ein Rutscher in einem der Müdigkeitsanfälle endet, die die Halle kurz in ein oranges Licht tauchen. Spätestens dann weißt du, dass du rausmusst. Zum Coach. Zum Wasser. Zum Gebüsch vor der Tür, bei dem du aus einer Kombination von Resignation, Kraftlosigkeit und Begeisterung dein Innerstes nach außen kehrst.

Selbst wenn der Resch seinen Rennspross trainiert, versucht er seine Reifen zu schonen.
Foto: Wolf-Dieter Grabner

Nach drei Stunden ist alles vorbei, und du bist den Tränen nahe. Weil du nicht mehr kannst. Klar. Weil du das Gefühl hast, du stehst, wenn dich der Roland innerhalb von gefühlten drei Minuten zehnmal überholt. Auch. Weil es endlich vorbei ist und sich niemand findet, der dir von der Yamaha hilft. Abermals verfluchst du dich. Diesmal, weil du es zugelassen hast, so alt geworden zu sein. Und es wird ein wenig dauern, bis du verstanden hast, was dieses Training bewirkt hat. Nämlich bis zum nächsten Mal wird es dauern, bei dem du wieder auf ein Motorrad steigst. Und dann ist auf einmal alles ein Kinderspiel. Natürlich für die Reißerische, die nach einer gefühlten Ewigkeit das erste Mal wieder am Eisen sitzt, umso mehr als für den Jungracer. Aber auch dem kommt nicht einmal mehr ein Lächeln aus, wenn ihm auf der Rundstrecke jenseits des Hunderters das Vorderrad einklappt. Weil es genau das ist, was du jetzt mehrere Stunden lang permanent gehabt und trainiert hast.

Und im Vergleich?

Ist dieses Training besser als das Warm-up beim ÖAMTC? Das kann man so nicht sagen. Machen Sie das Warm-up, bevor Sie in die Saison starten. Dort lernen Sie zu bremsen, zu schauen, auszuweichen. Das ist extrem wichtig, um zu verhindern, dass Sie ein anderer Verkehrsteilnehmer vom Radl führt. Wenn Sie aber auch Angst haben, dass Sie sich selbst irgendwann in die Knie zwingen könnten, weil Sie in Extremsituationen falsch reagieren – und das tun wir alle –, dann kommen Sie um das Hallentraining beim Roland Resch nicht herum. Oder wenn Sie Angst vor einer nassen Fahrbahn haben, vor einer Ölspur oder Schotter auf Ihrer Fahrlinie. Nach dem Training hoffen Sie auf so was.

Noch einmal der Meister beim Einschenken.
Foto: Wolf-Dieter Grabner

Und sollten Sie nach diesem Text fürchten, dass Sie bei diesem Hallentraining stürzen könnten: Ich darf Sie erinnern, dass dort alle auf besseren Kinderradln sitzen und der Kurs eng ist. Über den dritten Gang kommt man nicht hinaus. Es sind also überschaubare Geschwindigkeiten, bei denen man stürzen kann. Und das aus der Höhe von einem Schammerl. Und das auch nur, wenn man es selbst und ganz allein übertreibt. Jedes Mal Semmeln holen fahren ist gefährlicher. Das wissen auch die Freunde des Rundstreckensports. Denen braucht man dieses Training aber ohnedies nicht mehr ans Herz zu legen. Die lösen dort über den Winter schon mehrere Dreierblöcke, um im Frühjahr die Nase vorn zu haben.

Vor dem Hintergrund darf man sich auch selber gerne ausrechnen, ob das Training die 300 Euro wert ist, die es kostet. Ja, das klingt nach viel Geld. Manch einer hat vor dem Kurs damit gehadert. Zu Mittag war aber für fast alle klar, dass sie wiederkommen. Nicht erst nächstes Jahr. Sondern sobald das nächste Mal ein Platz frei ist. Und dann bringen sie auch ihre Freunde mit. Und Franzbranntwein. (Guido Gluschitsch, 2.5.2019)

Einer der Teilnehmer in der Steilkurve.
Foto: Wolf-Dieter Grabner

Johann Baumgartner hat ebenfalls an der Morgengymnastik in der Halle teilgenommen meinte danach: "Es war ein forderndes und intensives Training, das vieles, das zum Motorradlfahren gehört, komprimiert aufgezeigt hat: Sitzposition und aktive Fahrerhaltung, Blicktechnik für die Linie, richtiges Anbremsen und mit optimalem Gas durch die Kurve für eine möglichst harmonische Fahrt. War ich zu Beginn weit weg von kontrollierten Rutschern, ist es zum Schluss schon ein bisserl gegangen. Roland hat vorgezeigt und auch im Trockentraining vermittelt, wie's geht – das war essenziell. Aber klar gibt es noch jede Menge Luft nach oben. Und obwohl ich schon gehört habe, dass Stürzen Schande ist, habe ich mich nach einem ausgiebigen Rutscher hingelegt. Nix passiert und sogar ein Licht aufgegangen. Diesen Lerneffekt hast du nur hier. Ich bin durch das Training jede Menge Winterrost losgeworden – aber an der Fitness und Beweglichkeit sollte ich auch wieder arbeiten. Roland beim Sliden zuzuschauen war noch einmal ein Spaß für sich – so fährt eben der Profi, ein Gedicht!"