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Am 24. April schrieb Hannah Konzett im Kommentar der anderen, wie schwer es ist und gleichzeitig wie nötig, sich selbst Regeln aufzuerlegen, die uns Menschen aus der Abhängigkeit von Smartphones – digitaler Universaltalente, wie sie sie nennt – zu befreien. Das mag schwer genug sein, verglichen mit der Aufgabe, die digitale Transformation unserer Gesellschaft zu regeln, ist es eine Kleinigkeit. Die digitale Transformation wird die größte Herausforderung der nächsten Jahre und war der Schwerpunkt der diesjährigen Jahrestagung der Nationalökonomischen Gesellschaft, die letzte Woche in Graz stattfand.

Mehr Budget notwendig

Der Prozess, in dem wir schon eine Weile stecken, wird unser Zusammenleben etwa so drastisch ändern, wie es die Industrielle Revolution getan hat. Aus einer landwirtschaftlich dominierten Gesellschaft ist in historisch kurzer Zeit eine Industriegesellschaft geworden – mit ganz anderen Zeiterfordernissen, Familienverbünden, Arbeitsstrukturen und -weisen, kulturellen Identitäten und regionalen Bezügen, veränderter Mobilität und und und. Das Victoria and Albert Museum in London vermittelt einen Teil der Änderung sehr eindrücklich. Die daraus resultierende Gesellschaft kannte während des Prozesses niemand. Entscheidungen wurden getroffen, wie sie anstanden, und formten unsere Gesellschaft mit all ihren Unvollkommenheiten. In diesem Strukturwandel wird das sicher nicht anders.

Die Regierungen Europas nehmen sich dieser Herausforderung unterschiedlich intensiv an, berichtete David Gierten von der OECD in seinem Beitrag. Estland ist Vorreiter: Zwanzig Jahre Vorsprung gegenüber Deutschland, schätzte Präsidentin Kersti Kaljulaid in einem "Spiegel"-Interview. Auch Österreich ist nicht überall vorn mit dabei. Die OECD sieht Österreich bei mobiler Breitbandnutzung beispielsweise zwar vor Deutschland, aber auf einer Höhe mit Litauen und Italien unter dem OECD- und EU-Durchschnitt. Vom Breitbandausbau hörte man in der Vorstellung des Budgets in der letzten Woche nichts. Der Stolz auf das ausgeglichene Budget war so groß, dass Aufgaben des Staates in den Hintergrund traten. Es ist aber nicht nur ein ausgeglichener Haushalt, der den zukünftigen Generationen Gerechtigkeit widerfahren lässt. Staatliche Infrastruktur ist ein entscheidender Faktor für die Produktivitätsentwicklung der Unternehmen einer Region. Mit der Einrichtung eines Ministeriums für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort wuchsen Erwartungen in Richtung einer Beschleunigung der Anstrengungen in diesem Bereich. Bisher aber ringt die Bundesregierung noch um eine Digitalisierungsstrategie.

Jetzt schon hat sich unser Leben durch die Digitalisierung rasant verändert – doch das war wohl erst der Anfang.
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Dabei sind die Voraussetzungen nicht so schlecht. Die Forschung-und-Entwicklung-Quote der Unternehmen ist vergleichsweise hoch, auch wenn ein nur geringer Anteil dabei auf IT-Investitionen entfällt, die Qualifikation der Beschäftigten ist gut, worauf auch der Volkswirtschafter Gunther Tichy in einem Kommentar im STANDARD im Februar hingewiesen hat. Das Vertrauen in oder die Vertrautheit mit Informationstechnologien wächst. Die bisher gute sozialpartnerschaftliche Zusammenarbeit erlaubt die Einführung einiger Änderungen in den Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehungen. Für Österreich sieht Gierten Schweden als beste Benchmark. Dabei wird besonders der Aufholbedarf beim Datenzugang für die Wissenschaft deutlich.

Probleme digitaler Transformation

Wie sehr sich auch die Arbeitsbeziehungen ändern werden, dafür gab uns Ökonom Willem Pieter De Groen ein Beispiel. Seine Vorstellung verschieden ausgestalteter Plattformen, auf denen sich Auftraggeber und Auftragnehmer personalisierter Dienstleistungen treffen, wies auf drei Dinge hin: den veränderten Wettbewerb auf diesen Teilmärkten des Arbeitsmarktes, den Regulierungsbedarf der Plattformen und die Unterschiedlichkeit ihrer Ausgestaltung in Abhängigkeit der zu erbringenden Dienstleistung. Mit fortschreitender Digitalisierung werden Plattformen als Mittler auf dem Arbeitsmarkt wahrscheinlich bedeutender werden. Deren Marktmacht und Vermittlungsausgestaltung gilt es im Blick zu behalten. Auch in diesem Bereich sind die Regulierungen in Europa unterschiedlich weit. Österreichs sozialpartnerschaftliche Struktur ist zwar bisher noch nicht aktiv geworden, wird wahrscheinlich aber eine institutionelle Lösung schneller finden können als institutionelle Settings in anderen Ländern, da Arbeitnehmer auf Plattformen kaum gewerkschaftlich organisiert sind. Die meisten sind eher mit Freiberuflern vergleichbar.

In verschiedenen Beiträgen wurden sehr unterschiedliche Problemstellungen der digitalen Transformation diskutiert: von Kryptowährungen über die Veränderungen des Banksektors durch Fintechs, die IT-bedingten Unterschiede im Produktivitätswachstum in Unternehmen seit einem Jahrzehnt bis zum Arbeitsplatzrationalisierungspotenzial durch die Automatisierung. Aber es ging nicht nur um die Digitalisierung. Andere drängende Fragen wurden ebenfalls besprochen. Die ganze Breite an Themen und Methoden war in den über 100 Vorträgen vertreten. Natürlich war auch der Brexit Thema auf unserer Jahrestagung, aber das ist ein Thema für einen anderen Blogeintrag. (Jörn Kleinert, 30.4.2019)