Wien – Der Kontrollverlust im Straßenverkehr ist nicht auf eine bestimmte Mobilitätsform beschränkt. Autofahrer, Radfahrerinnen und Fußgänger pöbeln sich in den unterschiedlichsten Zusammensetzungen an, sei es wegen eines Parkplatzes, einer vermeintlichen Vorrangverletzung oder aus unerfindlichen Gründen. Gelegentlich beschränken sich diese Auseinandersetzungen nicht auf den Austausch von Verbalinjurien oder deren gestischen Pendants, sondern enden vor Gericht. Wie der Fall von Robert W. und Thomas H., die vor Richter Marc Farkas sitzen.

Beide sind offenbar passionierte Radfahrer, auch am 13. Dezember waren sie per pedales unterwegs. Und begegneten einander am frühen Abend auf dem Radweg entlang des Donaukanals, was für H. mit einem Schlüsselbeinbruch endete. Demgemäß ist W. wegen schwerer Körperverletzung angeklagt, H. umgekehrt wegen Sachbeschädigung an W.s Fahrrad.

Blendendes Scheinwerferlicht

W., 42 Jahre alt und IT-Techniker, erzählt die Geschichte so: "Ich bin nach dem Büro heimgefahren. Herr H. ist mir entgegengekommen, sein Licht hat mich geblendet." Er habe seinem Zweiradpartner daher zugerufen: "Stell dein Licht ein, du blend'st!", erinnert er sich.

Die Reaktion H.s war nicht die von W. erwartete. "Er hat umgedreht, ist neben mir gefahren, hat mich beschimpft und mehrmals eine Wasserflasche in meine Richtung bewegt und was von 'Einwassern' gesagt. Irgendwann war ich überzeugt, dass er mich mit der Flasche schlagen will, habe den Kopf eingezogen und die Hand vom Lenker genommen, um den Schlag abzuwehren."

Die beiden Unbescholtenen waren zu diesem Zeitpunkt mit etwa 20 bis 25 Kilometern pro Stunde unterwegs, schätzt der Erstangeklagte. Irgendwie hätten sich die Räder dann touchiert, beide kamen zu Sturz. W., der danach die Polizei rief, sagt, H. sei äußerst aggressiv gewesen und habe nach dem Unfall das Rad seines Kontrahenten noch weggeschleudert.

Angeblich mit "Blede Sau" beschimpft

Dem widerspricht der Zweitangeklagte, ein 44 Jahre alter athletischer Pädagoge, als der Richter ihn nach seiner Version fragt. "Ich bin von Klosterneuburg heimgefahren, er hat 'Blede Sau' zu mir gesagt!", echauffiert H. sich. Dann wendet er sich direkt an den Zweitangeklagten: "Wir kennen uns von einem Monat zuvor, da ist ziemlich Ähnliches passiert", behauptet er, ehe Farkas ihn auffordert, das ihm und nicht dem Mitangeklagten zu erzählen.

"Ich habe zu ihm gesagt: 'Wir kennen uns ja!', da hat er mich während der Fahrt kommentarlos an der Schulter gepackt und umgestoßen." – "Warum haben Sie überhaupt umgedreht?", interessiert den Richter. "Weil ich wissen wollte, warum ich beschimpft werde."

Nach dem Sturz habe er sofort Schmerzen in der Schulter gespürt. Darüber hinaus soll W. auch noch mehrmals versucht haben, ihn mit der Faust im Gesicht zu treffen, was wiederum der Erstangeklagte bestreitet. "Haben Sie eine Trinkflasche in der Hand gehabt?", fragt der Richter H. noch. "Ja, ich war vier Stunden unterwegs, kann sein, dass ich sie in der Hand hatte."

Handyvideo als überraschendes Beweisstück

W.s Verteidigerin Kerstin König präsentiert am Ende noch ein Beweisstück. Ein Handyvideo, das ihr Mandant nach dem Vorfall aufgenommen hat. Möglicherweise kennt die Anwältin die erbarmenswerte computertechnische Infrastruktur des Straflandesgerichts, sie hat den Dialog der Kontrahenten nämlich auch verschriftlicht.

Da die Lautstärke auf dem PC des Schriftführers tatsächlich nicht ausreicht, verliest Farkas also das Transkript. Demnach sagte H. nach dem Crash sehr wohl: "I hob umagspritzt, kloar, weust imma näher kumman bist!" Für W.s Verteidigerin ein Beweis für die Glaubwürdigkeit ihres Mandanten. Standeskollegin Katharina Hantig-Gröbel, die H. vertritt, sieht das anders: "Wenn nur eine Seite weiß, dass gefilmt wird, kann man auch erreichen, dass das Gewünschte gesagt wird. Herr W. hat mit der Aggression begonnen."

Wer angefangen hat, interessiert Farkas mäßig. Er spricht beide rechtskräftig frei, da sich schlicht nicht eruieren lasse, wie es schlussendlich zu dem Sturz gekommen sei, bei dem H. sich verletzte. Die 1.000 Euro Schmerzensgeld, die der Pädagoge will, muss er daher auf dem Zivilrechtsweg einklagen. (Michael Möseneder, 1.5.2019)