Das Abschalten nach der Arbeit ist wesentlich für die psychische Gesundheit.

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Christian Korunka ist Professor für Arbeits- und Organisationspsychologie.

Universität Wien

Viele Menschen haben heute die Gelegenheit, weitgehend orts- und zeitungebunden zu arbeiten: Susanne stellt nach dem Büro daheim noch die eine oder andere Arbeit fertig. Niko hat zwei formal eingerichtete Home-Office-Tage, Monika erledigt die Arbeit unterwegs in der Bahn, Wolfgang im Kaffeehaus. "Entgrenzte Arbeit" bietet neue und flexible Möglichkeiten. Wir können Arbeitsorte nach unseren Bedürfnissen wählen und gestalten und im Idealfall Arbeit und Freizeit besser verbinden. Diese Form der Arbeit stellt uns aber auch vor neue Anforderungen. Aus der Arbeits- und Organisationspsychologie wissen wir, wie Arbeitsplätze aussehen, die hohe Qualität des Arbeitslebens mit guten Leistungen und hoher Produktivität verbinden. Unklar ist, was das für örtlich flexible Arbeit bedeutet.

Work-Life-Balance

Ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Arbeit und Privatleben ist wesentlich für eine hohe Lebenszufriedenheit. "Entgrenzte" Arbeit an mehreren Orten bietet neue Möglichkeiten zur Gestaltung dieser Balance. Im Unterschied zu klassischen "Nine to five"-Arbeitsverhältnissen sind die Menschen bei entgrenzter Arbeit gefordert, sich selbst zu organisieren und ihre persönlichen Grenzen zu definieren. Die Bedürfnisse nach einer klaren Abgrenzung zwischen Beruf und Privatleben sind sehr unterschiedlich. Monika und Wolfgang möchten vielleicht daheim auch noch zwischendurch und am Wochenende etwas fürs Büro machen, während Niko auf eine klare Trennung von Beruf und Privatleben Wert legt.

Soziale Einbindung versus Einsamkeit

Bei klassischen Arbeitsverhältnissen bestehen viele Möglichkeiten zu unkomplizierten sozialen Kontakten mit den Kolleginnen und Kollegen. Die Arbeit findet oft in Teams statt, und Pausen werden gemeinsam verbracht. Ein gemeinsamer Arbeitsplatz ist für viele eine Grundlage für Freundschaften. Unser Grundbedürfnis nach sozialer Einbindung wird so auch in der Arbeitswelt befriedigt. Es bestehen Möglichkeiten für Unterstützung und gegenseitige Hilfe, wenn es zum Beispiel ein Problem mit einem Computerprogramm gibt.

Bei ortsungebundener Arbeit ist das anders. Es gibt es keine selbstverständlichen Gelegenheiten für Kontakte am Arbeitsplatz, denn die Kolleginnen arbeiten im Büro, daheim oder unterwegs, und Kontakte müssen aktiv gesucht werden. Ortsungebundene Arbeit kann dann zu einer Zunahme von Einsamkeitserleben führen. Auch die eigene Leistung muss gezielt für andere sichtbar gemacht werden. Dies gelingt meist einigen Personen besser als anderen, berufliche Chancen wahrzunehmen wird schwieriger.

Ständige Erreichbarkeit

Ortsungebundene Arbeit ist meist nur möglich, wenn die ständige Erreichbarkeit über verschiedene Medien gewährleistet ist. Diese permanente Erreichbarkeit führt dazu, dass Menschen ihre beruflichen E-Mails ständig abrufen, sei es im Büro, daheim oder unterwegs. Pausen werden nicht mehr für kurze Erholung genützt, sondern sie sind nur eine weitere praktische Möglichkeit zur Kommunikation. Auch in der Mittagspause – oft während des Essens – tauscht man sich mit anderen aus. Vorgesetzte können ihre Mitarbeiterinnen jederzeit kontaktieren, auch am Abend oder in der "Freizeit". Diese permanente Erreichbarkeit ist für viele eine neue Normalität, sie bringt aber auch neue Probleme mit sich. Abschalten nach der Arbeit ist kaum mehr möglich.

Aktuelle Studien belegen aber gerade, dass Abschalten nach der Arbeit für eine gesunde Erholung sehr wichtig ist. Es zeigt sich, dass es weniger die Belastungen während der Arbeit sind, die zu möglichen gesundheitsrelevanten Stressfolgen führen, sondern die reduzierte Fähigkeit des Abschaltens nach der Arbeit: Personen, die in der Lage sind, sich nach der Arbeit gedanklich zu lösen und gut zu entspannen, haben ein erhöhtes Wohlbefinden.

Erschwert wird Abschalten nach der Arbeit einerseits durch die Anforderungen im Unternehmen, dringende Anfragen und Ähnliches, aber auch durch eigenes Verhalten. Neue empirische Studien zeigen, dass eine vollständige Verhinderung der Kommunikation, etwa das Abschalten der Server im Unternehmen, nicht zu den gewünschten positiven Effekten führt, da die Verbindung mit dem Unternehmen für viele notwendig und positiv ist. Hier helfen hingegen klare Regeln, die gemeinsam mit den Betroffenen erarbeitet werden und die sowohl für das Unternehmen als auch für die Mitarbeiterinnen vorteilhaft sind. Solche Regeln müssen allerdings meist erst von Grund auf entwickelt werden.

Die Bedürfnisse der Generationen

Die Nachfrage nach ortsungebundener Arbeit ist in verschiedenen Lebensphasen unterschiedlich hoch. Jüngere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind vertraut mit den neuesten Kommunikationsmöglichkeiten und legen oft besonderen Wert auf hohe Flexibilität in ihrer Arbeit. In der Phase der Familiengründung ändert sich das. Hier stehen eher die Abgrenzung von den beruflichen Anforderungen und Zeit für die Familie im Vordergrund. Ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer kommunizieren gerne so, wie sie dies aus früheren Lebensphasen gewohnt sind.

Wie sehen Ihre Erfahrungen aus?

Wie sind Ihre Erfahrungen mit ortsungebundener Arbeit, und sehen Sie mehr Vor- oder Nachteile? Sind Sie nach Feierabend oder am Wochenende auch erreichbar? Wie gehen Sie mit Ihrem Firmenhandy um, schalten Sie es pünktlich bei Dienstschluss aus? Und wie geht es Ihnen im Home-Office, fehlt Ihnen der Austausch mit Kollegen? Diskutieren Sie zu diesen Fragen im Forum! (Christian Korunka, 7.5.2019)