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Elton John bei seinem Abschiedskonzert im New Yorker Madison Square Garden im März.

Foto: APA/AFP/GETTY IMAGES/Jamie McCar

Merke, wenn einer im Popgeschäft viel herumgekommen ist, dann ist er damit natürlich auch in Wien gewesen. Oft und manchmal gern. Elton John hat in den letzten Jahrzehnten die Stadt nicht nur schon vor Schloss Schönbrunn, auf dem Life Ball oder als Eröffnungssänger der Wiener Festwochen auf dem Rathausplatz beehrt. Neben regelmäßiger Betreuung seiner mit ihm in allen Ehren alternden Fans in der ausverkauften Stadthalle konnte man ihn auch schon im Rahmen eines Geburtstagskonzerts für eine Supermarktkette im Ernst-Happel-Stadion erleben.

Ganz abgesehen von Tiroler Skipisten, oberösterreichischen Burgen und einer vom Dogda Haida versenkten Bühne auf dem Kärnter Wörthersee fehlen jetzt eigentlich nur noch die Jedermann-Bühne auf dem Domplatz in Salzburg und diese eine Almwiese, auf der einst Julie Andrews mit den Kids in The Sound of Music herumringelreihte.

Dazu wird es aller Wahrscheinlichkeit nach nicht mehr kommen. Der 71-jährige Poptitan hat seinen Rückzug aus der Öffentlichkeit bekanntgegeben. In Zukunft möchte er nur noch abgeschieden zu Hause oder im Studio musizieren und künstlerisch tätig sein. Bei einem Mann wie ihm, den sie aufgrund seines früheren Lebensstils auch "Captain Fantastic" nennen, geht das natürlich nicht im kleinen Rahmen. Noch bis tief ins Jahr 2021 hinein wird Elton John neben seinem Doppelkonzert am kommenden 1. und 2. Mai in der Wiener Stadthalle auch noch in knapp 300 anderen Hallen weltweit mit seiner Band in zwei-, dreistündigen Konzerten Abschied nehmen.

Mitsingen geht von allein

Die mitunter etwas überdimensioniert geratenen Auftritte eines in der Vergangenheit oft auch nicht sonderlich motivierten Hotelbarmusikers mögen zwar (trotz fahrbaren Klaviers und Bühnendekorationen im Stile Liberaces) nicht immer alle Besucher restlos überzeugt haben. Bei einem Konzert Elton Johns geht es allerdings seit Jahrzehnten nicht mehr um aktuelle Tagesverfassungen oder künstlerische Funkenflüge. Die Musik dient einzig dazu, durch Schallwellen wieder die Ohrwürmer in unseren Köpfen hervorzukitzeln. Mitsingen geht dann ganz von allein.

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Abgesehen vom real existierenden Insekt desselben Namens, das uns aber entgegen aller anderslautenden Gerüchte eh nichts tut, meldet sich ein Ohrwurm vor allem dann unerwartet im Menschen, wenn dessen Gehirnaktivität gerade nicht anderweitig beschäftigt ist, sondern eher auf der niederen Frequenz namens Dienst nach Vorschrift dahinsurft. Wohnung putzen, wir fahr'n, fahr'n, fahr'n auf der Autobahn, aus dem Fenster schauen, Nägelbeißen.

Glam, Glitter, Ausschweifung

Mit einer gut 50-jährigen Karriere, angeblich über 350 Millionen verkauften Tonträgern, einem in der Vergangenheit auch für bildlastige Medien gut vermarktbaren Lebensstil im Zeichen von Glam, Glitter, Ausschweifung, lebensbedrohlicher Mengen wachmachender Drogen, kurz, der haltlosen Verschwendung ökonomischer, kreativer und biologischer Ressourcen, ist Elton John eines ohne Zweifel gelungen:

Der Brite hat Lieder geschaffen, die den Menschen nahe- und dadurch nicht mehr aus dem Kopf gehen. Ausgehend von den Texten seines künstlerischen Lebenspartners Bernie Taupin entwickelte der 1947 als Reginald Kenneth Dwight geborene Elton John vor allem in den 1970er-Jahren bis heute nachhallende Evergreens.

Laut US-Presse befindet sich der Brite live derzeit in der Form seines Lebens. Heuer kommt auch noch das Netflix-Biopic Rocket Man sowie Elton Johns Autobiografie mit dem von Helmut Berger geborgten Titel Ich.

Ein kleines wenig Schnulzenopi

Nach einer Kehlkopfoperation klappt das mit dem Falsettgesang auf der Bühne heute zwar nicht mehr. Das tiefere Timbre bekommt aber Klassikern wie dem (aktuell wieder gespielten) Candle In The Wind, Rocket Man, Crocodile Rock, Goodbye Yellow Brick Road, Daniel, Your Song oder Don't Let The Sun Go Down On Me offenbar ganz prächtig. Nach einer Zeit des verschämten heimlichen Hörens des Schnulzenopis darf man sich heute auch wieder offen zu Elton Johns Musik bekennen. Kalter-Krieg-Schmonzetten wie Nikita sind ihm längst verziehen.

Paramount Pictures

Der wandlungsfähige Paradiesvogel der Siebzigerjahre gilt heute Leuten wie Michael Stipe, Father John Misty oder John Grant (Queen of Denmark!) als Vorbild. Mit seiner souveränen Mischung aus heldischem Bariton und einer übervollen Trickkiste verschiedener Stile zwischen Pop, Disco und Soul sowie ein wenig Schlagerschmalz hat sich Elton John das mehr als verdient. (Christian Schachinger, 30.4.2019)