Die Große Magellansche Wolke in rund 170.000 Lichtjahren Entfernung. Einige der hellsten Objekte in dieser Zwerggalaxie sind hier gekennzeichnet.
Foto: Robert Gendler / ESO

Wie sich das Universum über lange Zeiträume hinweg entwickeln wird, war in den vergangenen Jahrzehnten unter Kosmologen Gegenstand von heftigen Diskussionen. Drei mögliche Szenarien standen im Raum: Der Kosmos dehnt sich fortdauernd aus, was in einem offenen Universum resultiert, das irgendwann gleichsam erkaltet. Oder die Ausdehnung des Kosmos verlangsamt sich immer mehr, die Folge wäre ein asymptotischer Grenzzustand. Die dritte Variante geht davon aus, dass die Ausdehnung des Universums irgendwann zu einem Stillstand kommt, es sich dann wieder kontrahiert und womöglich letztlich zu einer Singularität kollabiert.

Mittlerweile weisen zahlreiche Beobachtungen darauf hin, dass wohl das erste Szenario am ehesten den Tatsachen entsprechen dürfte. Mit anderen Worten: Unser Universum dehnt sich offensichtlich ungebremst aus, und zwar anscheinend sogar mit immer größerer Geschwindigkeit. Welche treibende Kraft hinter dieser wahrnehmbaren Beschleunigung steckt, ist immer noch unklar. Wissenschafter bezeichnen sie deshalb in Ermangelung konkreter Quellen als "Dunkle Energie".

Variable Hubble-Konstante

Völlig ahnungslos sind die Wissenschafter freilich nicht. Immerhin zeigen bisherige Berechnungen im Rahmen des aktuell gültigen kosmologischen Standardmodells, dass die Dunkle Energie rund 70 Prozent des Energiegehalts des Universums ausmacht. Wie schnell der Kosmos auseinanderfliegt, wird an der sogenannten Hubble-Konstante festgemacht. Tatsächlich ist diese Bezeichnung allerdings irreführend, denn der entsprechende Wert ist alles andere als konstant.

Berechnet man das steigende Ausdehnungstempo des Universums nämlich auf Basis der kosmischen Hintergrundstrahlung, ergibt sich eine Beschleunigung von 67,15 Kilometern pro Sekunde pro Megaparsec (ein Parsec entspricht 3,26 Lichtjahren). Das zumindest lässt sich aus Beobachtungen des Planck-Satelliten der Esa im Jahr 2013 schließen. Ganz andere Expansionswerte bestimmten Forscher dagegen in der relativ näheren Umgebung der Erde aus der Entfernung und Helligkeit von Supernovae und veränderlichen Sternen. Diese Messungen ergaben Werte zwischen 72 bis 74 Kilometer pro Sekunde pro Megaparsec.

Video: Wie man die Expansionsrate des Universums misst.
HubbleESA

Lücken im kosmischen Modell?

Aus den offensichtlichen Differenzen lassen sich zwei Schlüsse ziehen: Die unterschiedlichen Werte sind entweder das Ergebnis statistischer Abweichung, oder der Beschleunigungsfaktor, mit dem sich der Kosmos ausdehnt, hat sich im Lauf der Zeit geändert. Das würde jedoch wiederum bedeuten, dass die aktuell gültigen kosmologischen Modelle schwerwiegende Lücken aufweisen.

Ein Team um Adam Riess vom Space Telescope Science Institute in Baltimore hat nun die bislang genaueste Messung der Hubble-Konstante aufgrund erdnaher Objekte präsentiert. Dafür untersuchten die Forscher mithilfe des Hubble-Weltraumteleskops in der Großen Magellanschen Wolke, einer benachbarten Zwerggalaxie, rund 70 veränderliche Sterne, sogenannte Cepheiden. Die variierende Helligkeit dieser Sterne ergab eine besonders exakte Entfernungsbestimmung, woraus sich letztlich auf den kosmischen Expansionswert schließen lässt. Das im "Astrophysical Journal" vorgestellte Ergebnis: Das nahe Universum dehnt sich mit einer Rate von 74,03 Kilometern pro Sekunde pro Megaparsec aus.

"Kein bloßer Messfehler"

Aus diesen Messungen ergibt sich, dass der Kosmos sich heute möglicherweise um rund neun Prozent schneller ausdehnt als in der Frühzeit des Universums. Die Messunsicherheit liegt dabei nunmehr bei allenfalls 1,9 Prozent. "Die Diskrepanz in der Hubble-Konstante zwischen dem frühen und dem heutigen Universum könnte die interessanteste Entwicklung in der Kosmologie seit Jahrzehnten sein", meint Riess. "Die Differenz ist gewachsen und hat nun einen Wert erreicht, an dem es unmöglich ist, sie als bloßen Messfehler abzutun. Eine solche Abweichung kann kein einfacher Zufall sein."

Für die Wissenschafter ist es daher naheliegend, dass es eine physikalische Ursache für diese Messunterschiede geben muss. Wie diese aussehen könnte, bleibt allerdings vorerst rätselhaft. Möglicherweise sind unbekannte hypothetische Teilchen dafür verantwortlich, oder die Dunkle Materie hat eine stärkere Auswirkung auf die Materie als bisher gedacht, mutmaßen die Wissenschafter. "Wenn die Werte nicht übereinstimmen, dann ist es jedenfalls sehr wahrscheinlich, dass in dem kosmologischen Modell, das beide Zeitalter des Universums miteinander verbindet, etwas übersehen wurde", so Riess. (tberg, 6.5.2019)