Gentrifiziert: Aus der Ausstellungshalle des Rudolfsheimer Dorotheums wurde ein prächtiges Fine-Dining-Restaurant.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Als Vorspeise eine Carbonara aus schmeichelweich gegarter Fregola in Eier-Käse-Creme, dazu Speckschaum, pochiertes Wachtelei, Brot- und Speckknusper.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Rund um die Schanzstraße ist unsere weltweit bewunderte Hauptstadt der Sicherheit noch am ehesten das, was man ein raues Pflaster nennen kann – jedenfalls ein farbenfrohes, vor Internationalität wurlendes Gewirr mit tollen Gemüsegeschäften, dem Underground-Viktualiencenter Meiselmarkt und einer atemberaubenden Lokalvielfalt von Böse-Döner bis Cevapi-Pizza, von somalischen Spezialitäten bis zu polnischen Teigtaschen. Das entdecken auch viele junge Wiener, die sich von Sexshops und Kellerpuffs, den (immer noch) grassierenden Lohnfriedhöfen von Admiral und schwindlig parfümierten Rauchschwaden diverser Shisha-Höhlen nicht abschrecken lassen und die Gegend zu ihrer eigenen machen.

Wem das wie ein idealer Standort für ein kantiges Restaurant mit einem in der hohen Küche geformten, coolen Küchenchef wirkt, hat natürlich recht: Toptalente in ganz Europa suchen nach exakt solchen Gegenden, um gewagte Buden aus dem Boden zu stampfen, in denen man um oft erstaunlich wenig Geld memorabel gute Abende verbringen kann.

Aus der Küche von Amador

Irgendwie will auch Sören Herzigs erstes eigenes Projekt so eines sein: Die Kunst der nebenan gelegenen Galerie wurde als Sgraffito gleich wandfüllend eingebracht, die Architektur der Jungstars von KLK (Mochi, Krypt Bar, ...) ist von dunkel schillernder Kraft, das Fine von Fine Dining hat Herzig auf der Karte effektvoll durchgestrichen. Wobei: Bei 135 Euro für sieben Gänge (und weiteren 85 für die Weinbegleitung) wirkt das vielleicht eine Idee neckisch.

Aber irgendwie kann der gebürtige Cuxhavener seinen Werdegang eben nicht verleugnen. Und der ist klar vom Dreisternekoch Juan Amador bestimmt, mit dem er vor vier Jahren nach Wien kam und bei dem er die Welt der ganz großen Küche und ihrer unvermeidlichen Nebengeräusche zu seiner eigenen machte.

So tragen die Herren vom Service alle eng geschnittene Anzüge und schwarz polierte Schuhe, sie schieben einem beim Hinsetzen gekonnt den Sessel unter den Hintern und sind auch sonst in einem endlosen Ballett von Besteck auflegen, Wasser in volle Gläser nachschenken, Tableaus schleppen und dicht gewirkte Saucen aus zarten Kännchen angießen mit der Inszenierung von Fine Dining beschäftigt.

Schmuck

Die Küche ist auf Linie. Carbonara, offenbar Herzigs Signature-Dish, ist einer von vier reichhaltigen Snacks vor dem Beginn des eigentlichen Menüs: schmeichelweich gegarte Fregola in Eier-Käse-Creme, dazu Speckschaum, pochiertes Wachtelei, Brot- und Speckknusper in Partikelgröße, dargebracht (siehe Bild) in einer Schmuckschatulle aus dunklem Porzellan, mit einem Teelöffelchen zur Degustation: dass Pasta so hochfein ziseliert werden kann!

Pochierte Makrele mit einer göttlichen, ausnahmsweise kaum süßen Zimtsauce hat abermals Speck mit dabei, das Gericht ist dessen ungeachtet der Teller des Abends und gemahnt in der Kombination aus Fettfisch und fernen Gewürzen explizit an manchen Hering aus Herzigs nordischer Heimat – toll. Knusprig paniertes Sandwich aus Seezunge mit Krabbenfülle und Spargel mit fantastischer Estragon-Beurre-blanc ist pure Hochküche, sehr ausgereift, sehr "foin", wie sie da oben sagen.

Beim Fleisch geht Herzig das Wollen manchmal durch, bei einer recht eindimensional wirkenden Interpretation vom Brathähnchen mit sautiertem Hendl etwa, die abermals mit pochiertem Ei, Hendl-Jus-Schaum, Hendlknusper und in Hendlsuppe gegartem Getreide kombiniert wird – uff. Fast wünscht man sich, dass er auch abends hie und da jene handfeste Nonchalance walten lässt, mit der er zum Mittagstisch einen epochal knusprigen Schweinsbraten mit Knödeln auftischt, der in der Stadt seinesgleichen sucht. Hinterher gibt es viel Eis, das mögen sie jetzt in der Hochküche. Nach fünf Eiscreme-Gängen hintereinander braucht man aber zwei Kaffees. Alles in allem ein tolles neues Restaurant von einem, der gern ein bissl wilder wäre, als er sich derweil noch traut. Sollte er aber! (Severin Corti, 3.5.2019)

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