Hammer und Sichel, Hakenkreuz und der Name Hitler sind in den Arbeiten August Wallas nicht politisch zu verstehen. Sie sind Teil einer Privatmythologie, gespeist aus der Kindheit des Künstlers.

Foto: Art Brut KG

Sprechen war August Wallas Sache nicht. Zeitlebens in enger Bindung mit seiner Mutter lebend, richtete der Künstler kaum je ein Wort an jemand anderen. Aber sein Mitteilungsbedürfnis war enorm. Also schrieb August Walla – und zwar exzessiv.

Unter anderem Briefe und Postkarten sonder Zahl. Ihre Inhalte reichen von Wünschen über Beschwerden bis hin zu Farbbestellungen. Wenn er Nachschub in Sachen "Rosar" oder "Oraunsch" brauchte, richtete er dies den dafür zuständigen Stellen im Museum Gugging postalisch aus, statt einfach an deren Türen zu klopfen, obwohl er seit 1983 auf dem Gelände im Haus der Künstler lebte. Auch wenn er oftmals keine Adressen auf die Kuverts und Karten schrieb, kamen sie immer an.

"Idiotenanstalt"

Walla kannte die Zuständigkeitsbereiche genau. Briefe ergingen auch an den Abt des Stifts Klosterneuburg, und Protestschreiben sandte er sogar an diverse Zeitungen und Politiker. Oft wählte August Walla aber auch einen kürzeren Weg. Einmal ärgerte er sich so sehr über ein Krankenhaus, dass er dessen Eingang flugs mit der Einschätzung "Idiotenanstalt" verzierte. Er beschriftete auch Steine, Holzbretter und Stücke von der Mülldeponie.

Diesen und weiteren Texten des 2001 verstorbenen Künstlers widmet das Museum Gugging aktuell eine Ausstellung. Sie ist eine Fortsetzung der Retrospektive Weltallende, die sich 2012 auf die Bildproduktion Wallas konzentrierte. Der sperrige Titel foto. text. =ilien.! ist nicht nur kuratorische Fingerübung, er orientiert sich an Wallas eigenwilliger Orthografie.

Diese und seine Wortschöpfungen verdanken sich 30 Wörterbüchern, die Walla sein Eigen nannte und in zwei Bücherregalen in seinem Zimmer aufbewahrte. Mit ihrer Hilfe angelte er sich Vokabeln sogar aus dem Russischen und Aramäischen.

Man sollte also genug Zeit mitbringen, es gibt viel zu entziffern. Zum Beispiel "BRUNZ=HONIG". Ob Walla diese Kombination wegen farblicher Ähnlichkeit schlüssig erschien? Die Annahme liegt angesichts der in einer anderen Arbeit geäußerten Assoziationskette "KPÖ", "rotweissrot", "SPÖ" und "Ribiselrot" jedenfalls nahe.

Goldene Hakenkreuze

Mit politischen Aussagen darf man das ebenso wenig verwechseln wie die häufig mit Goldfäden gestickten Hakenkreuze. Sie führen in ganz andere Richtungen. Walla arbeitete zeitlebens mit einer persönlichen Mythologie. Geprägt ist sie auch von Erfahrung aus dem Nationalsozialismus.

Weil seine Mutter den 1936 geborenen Bub in der Kindheit als Mädchen anzog, um ihn vor einem späteren Kriegsdienst zu schützen, benutzte Walla etwa das Nazizeichen als Symbol für alles Weibliche. Hammer und Sichel stehen im Gegenzug für das Männliche – als Jugendlicher während der russischen Besatzung erkannte Walla sein wahres Geschlecht.

Der Kunstbetrieb interessierte Walla nicht. Trotzdem wurde er einer der prominentesten Vertreter Guggings.

Eigenständig ist ein gutes Stichwort für Wallas gesamtes Schaffen. So kann man in der Ausstellung ein Erdäpfelpüreerezept mit Ei und Faschiertem lesen. Oder eng mit der Schreibmaschine gefüllte Seiten. Walla benutzte dazu bunte Farbbänder und buntes Papier. Oft machte es die ganze Nacht lang "tick, tick, tick", wenn er per Ein-Finger-System seine verworrenen Texte tippte.

Auch auf Tischtüchern schrieb Walla, wenn ihm etwas einfiel. Dazu leerte er den betreffenden Teil des Tisches. War die Stelle voll, drehte er das Tuch und schrieb auf der anderen Seite weiter. "Der Tod wer nur brav, wenn er die Menschen nicht holen würd", liest man in der Schau etwa, und dass er sich für seine Mutter ein langes Leben wünscht.

Viel rätselhafter Lesestoff also. Er wird dem Publikum nicht die schnöde Welt erklären, öffnet ihm aber eine betörend energische und oft rührende Denksphäre. (Michael Wurmitzer, 30.4.2019)