Johann Adam Oest als "Wagner" im Stück "Ludwig II." im Akademietheater.

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In einer seiner letzten markanten Rollen verlieh Johann Adam Oest wiederum seinem bevorzugten Charakter Umriss und Statur. Der Burgtheaterschauspieler war 2016, im Wiener Akademietheater, in "der herzerlfresser" unter die Meuchelmörder gefallen. Jemand erstach in Ferdinand Schmalz‘ Lokalposse wahllos Damen, um ihre noch warmen Herzen einem genüsslichen Verzehr zuzuführen.

Oest verkörperte in diesem verqueren Stück Heimatliteratur den Bürgermeister der betroffenen Landgemeinde. Als Spießbürger ein Monument des guten Willens, schien er unablässig bemüht, alle Übel von sich und den Seinen abzuwehren.

Jede Fiber dieses famosen Schauspielers vibrierte vor Rechtschaffenheit. Und dennoch beschwor Oest mit der Verlässlichkeit eines Haupt- und Staatsclowns, allein durch die bezwingende Kraft seines Ungeschicks, nur neues Unglück herab.

Vollendetes Kunsthandwerk

So ging es ihm immer: Johann Adam Oest, ein gebürtiger Hesse, war der Chaot, der aus der Seitenkulisse gemächlich auftauchte und dann wie ein kugeliger Meteor in die laufende Szene einschlug. Sein größtes Geschick war sein Ungeschick. Dieses beherrschte Oest, ein wahrhaft ingeniöser Funny-Bones-Komiker, als vollendetes Kunsthandwerk.

Um Verhältnisse, die ohnehin schon schwierig waren, noch nachhaltiger zu dramatisieren und damit genussreich in den Kollaps zu treiben, schien Oest buchstäblich jedes Mittel recht. Seine Reaktion war zumeist die des beim Unterschleif ertappten Kleinbürgers. Dann blies er die Backen auf und rollte, wie zur Entlassung des eigenen Gewissens, seine ausdrucksstarken Augen. Vom Weiten hätte man ihn für einen entfernten Verwandten des gemütvollen Wirtschaftswunder-Spießers Heinz Erhardt halten können. Seine Suada war oft honigsüß.

Hintersinniger Glanz

Von Oest ging jedoch verlässlich ein Odeur der Gefahr aus, des spätromantischen Dunkels und der Doppeldeutigkeit. Als vielseitig verwendbare Charakterkraft war er im Gefolge von Claus Peymann an die Wiener Burg gekommen. Dem Haus am Ring hielt er über 33 Jahre die Treue, und er versah Aufführungen von Andrea Breth, Luc Bondy, Peter Palitzsch, Michael Thalheimer und unzähligen anderen mit einem teuflischen, hintersinnigen Glanz.

Eine Ausnahme machte er als Geheimrat, bewandert in der Lösung des Rätsels Mensch: Für Peter Steins kolossale "Faust"-Unternehmung auf der EXPO 2000 ging er als Mephisto fremd. Der abgründigste aller Schauspieler war zugleich auch einer der stillsten und bescheidensten. Als Bürgermeister in Schmalz‘ "herzerlfresser" drang der auch in Film und Fernsehen viel Gefragte noch einmal zum Wesenskern seiner Kunst vor: Einer, der alles Unheil der Welt von sich abzuwimmeln versucht, fällt vor lauter (blindem) Eifer in den Schlaf.

Jetzt ist Oest, 72-jährig, nach langer Krankheit für immer entschlafen. Sein gemütvoller Wahnwitz ist weder für die alte noch für die neue Burg adäquat zu ersetzen. (Ronald Pohl, 30.4.2019)