Ein Demonstrant wirft nahe einer Militärbasis einen Tränengaskanister gegen Beamte der Sicherheitsbehörden.

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Demonstranten der Opposition wurden in Caracas bei Protesten von einem gepanzerten Fahrzeug überfahren.

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Juan Guaidó mit einem Militär bei der Luftwaffenbasis La Carlota.

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Maduro bei einer Ansprache am Dienstag.

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Demonstranten leisten erste Hilfe, nachdem ein Mann bei den Auseinandersetzungen verletzt wurde.

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Auch in Costa Rica wurde protestiert – und zwar vor der Botschaft Venezuelas.

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Bei den Ausschreitungen wurden mindestens 69 Personen verletzt.

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Caracas – Der Machtkampf erreichte in Venezuela einen neuen Höhepunkt: In der Nacht zum Dienstag hat sich Venezuelas Militär gespalten, und ein Teil ist zu Gegenpräsident Juan Guaidó übergelaufen. Um 5.30 Uhr im Morgengrauen hielt Guaidó zusammen mit dem eigentlich unter Hausarrest stehenden Oppositionspolitiker Leopoldo Lopez vor der Luftwaffenbasis La Carlota eine Ansprache. Wenig später kam es zu Ausschreitungen auf den Straßen Venezuelas.

Der linksnationale Präsident Maduro erklärte den Aufstand später für gescheitert. "Ich danke der Militärführung für den Mut bei der Verteidigung des Friedens", sagte er in einer Ansprache am Dienstagabend (Ortszeit). Nach seiner Darstellung wurden die Soldaten unter einem Vorwand zu einer Autobahn nahe dem Militärstützpunkt La Carlota gelockt worden. Als sie merkten, dass es sich um einen Coup der Opposition handelte, seien die meisten umgekehrt, sagte Maduro. Gegen den harten Kern von etwa 20 abtrünnigen Soldaten ermittle nun die Generalstaatsanwaltschaft. "Diese Verräter werden ihr Schicksal noch kennenlernen", sagte Maduro.

Tatsächlich gelang es der Opposition trotz des spektakulären Coups offenbar zunächst nicht, größere Truppenteile auf ihre Seite zu ziehen. Verteidigungsminister Vladimir Padrino gelobte Maduro die Treue und erklärte, alle Kasernen und Stützpunkte seien unter Kontrolle.

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In Caracas ging ein Bus in Flammen auf, nachdem er von Anhängern der Opposition angezündet wurde.
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"Heute hat das Ende der Usurpation begonnen", sagte Guaidó noch in der Früh und rief die Bevölkerung auf die Straße. Lopez erklärte, die zu seiner Bewachung abgestellten Militärs seien auf seiner Seite, und Guaidó als legitimer Präsident habe seinen Hausarrest aufgehoben. Lopez suchte wenig später mit seiner Familie in der Residenz des chilenischen Botschafters in Caracas Zuflucht. Nach Angaben der Opposition unterstützten zahlreiche Offiziere den angestrebten Sturz von Machthaber Nicolás Maduro, darunter General Manuel Ricardo Cristopher, Direktor der gefürchteten Staatssicherheit Sebin. Zur Erkennung banden sich die Aufständischen ein blaues Band um den Oberarm.

Maduro spricht von Putschversuch

Machthaber Maduro sprach von einem Putschversuch und teilte per Twitter mit, die Kommandanten aller Militärkasernen unterstützten weiterhin seine Regierung, alles sei unter Kontrolle. In Altamira, im traditionell oppositionellen Ostteil von Caracas, versammelten sich Zehntausende, um Guaidó zu feiern, darunter auch Soldaten in Uniform.

Guaidó erklärte, die Streitkräfte seien auf der Seite des Machtwechsels und seiner legitimen Regierung. Der Putschist sei Maduro, der das Volk beschießen lasse und aushungere. Guaidó plante im Rahmen seiner "Operation Freiheit" offenbar, sich in Altamira zu verschanzen und so einer von Maduros Justiz angeordneten Verhaftung zu entgehen.

Fahrzeug überfuhr Demonstranten

Demonstranten schleuderten am Dienstag Steine und Brandsätze auf die Beamten. Angehörige der Nationalgarde feuerten mit Tränengas und Schrotmunition in die Menge. Im Fernsehen war zu sehen, wie ein Panzerwagen in eine Menschengruppe raste. Nach Angaben der Opposition wurden bei den Kämpfen mindestens 69 Menschen verletzt. Die meisten seien durch Schrotkugeln verwundet worden, schrieb der Bürgermeister der Oppositionshochburg Chacao, Gustavo Duque, am Dienstag auf Twitter. Nach Angaben der Nichtregierungsorganisation Foro Penal wurden im ganzen Land mindestens 83 Menschen bei Demonstrationen festgenommen.

Auf Twitter wurden zahlreiche Videos von den Geschehnissen geteilt.

Der US-Fernsehsender CNN zeigte am Dienstag Bilder eines brennenden Busses in der Hauptstadt. Die Austrahlung von CNN selbst wurde indes unterbunden.

Quest Means Business

Regierungstreue Gangs kündigten an, den sozialistischen Staatschef mit Waffengewalt verteidigen zu wollen. "Es ist der Moment gekommen, in dem wir die Revolution mit Waffen verteidigen", sagte der Chef der Gruppe La Piedrita, Valentín Santana, in einem am Dienstag veröffentlichten Video und streckte ein Schnellfeuergewehr in die Kamera. "Wir werden unseren Präsidenten Nicolás Maduro verteidigen." Santanas Gang kontrolliert in der Hauptstadt Caracas die Hügel nahe dem venezolanischen Präsidentenpalast Miraflores und ist der Regierung treu ergeben.

Schusswechsel

Vor dem Präsidentenpalast Miraflores im Westen, der einstigen Hochburg der Regierung, sprach derweil der Einpeitscher Maduros, Diosdado Cabello. Niemals wieder würden die Oligarchen in den Präsidentenpalast einziehen, rief er vor ein paar hundert Getreuen. Rund um die Luftwaffenbasis Carlota im Osten von Caracas kam es zu Schusswechseln – offenbar zwischen Militärs, die zu Guaidó übergelaufen waren, und paramilitärischen Schlägertruppen der Regierung. TV Venezuela sprach von drei Verletzten.

Aus dem Landesinneren trafen nur zögerlich Nachrichten ein. In vielen Städten versammelten sich offenbar ebenfalls Demonstranten, um Guaidó zu unterstützen. Aus dem Bundesstaat Lara wurden per Twitter Zusammenstöße gemeldet. In der zweitgrößten Stadt Maracaibo zogen oppositionelle Demonstranten vor die Kaserne und sangen die Nationalhymne. Der Informationsfluss war zäh, am Morgen intervenierte die Regierung bei Radio Caracas, einem der letzten unabhängigen Informationssender. Unklar war, ob sich auch im Landesinneren Uniformierte erhoben.

"Operation Freiheit"

Der Oberkommandierende der Streitkräfte, Vladimir Padrino Lopez, verkündete per Twitter seine Loyalität zur Verfassung. Ihm zufolge herrschte in den acht Militärzentren des Landes Normalität. US-Vizepräsident Mike Pence sprach Guaidó und seiner "Operation Freiheit" per Twitter die volle Unterstützung aus. "Wir sind mit euch", schrieb er auf Spanisch und Englisch. "Bis Freiheit und Demokratie wiederhergestellt sind." Guaidó fordert ein Ende der Usurpation und vorgezogene Neuwahlen mit internationaler Überwachung.

Analyst Vladimir Gessen sprach im Sender CNN von einem Wendepunkt und einem möglicherweise improvisierten Schritt, um einer geplanten Verhaftung Guaidós durch das Regime zuvorzukommen. "Das ist ein Wendepunkt, entweder zieht Guaidó nun in den Präsidentenpalast ein, oder Maduro errichtet eine Militärdiktatur." Bislang sei keine der Seiten stark genug gewesen, die andere zu besiegen.

Inhaftierter Oppositionsführer befreit

Abtrünnige Soldaten befreiten zudem den seit Jahren inhaftierten Oppositionsführer Leopoldo Lopez aus dem Hausarrest. Der Gründer der Partei Voluntad Popular suchte mit seiner Frau und seiner Tochter zunächst in der chilenischen Botschaft Schutz und zog später in die diplomatische Vertretung Spaniens weiter.

Auch die regierungstreuen Banden – sogenannte Colectivos – versprachen Maduro ihre Unterstützung. "Es ist der Moment gekommen, in dem wir die Revolution mit Waffen verteidigen", sagte der Chef der Gruppe La Piedrita, Valentín Santana, in einem am Dienstag veröffentlichten Video und streckte ein Schnellfeuergewehr in die Kamera. "Wir werden unseren Präsidenten Nicolas Maduro verteidigen."

Internationale Verbündete

Während auf den Straßen von Caracas mit harten Bandagen um die Macht gerungen wurde, brachten sich auf dem internationalen Parkett die Verbündeten in Stellung. Aus den USA, Europa und vielen lateinamerikanischen Staaten erhielt Guaido Unterstützung. Russland, die Türkei, Kuba und Bolivien hingegen stellten sich hinter Maduro.

Die US-Regierung will über Informationen verfügen, wonach Maduro zur Ausreise bereit gewesen sein soll. Russland habe ihn aber überzeugt, zu bleiben, sagte US-Außenminister Mike Pompeo am Dienstag dem Sender CNN. "Es ist lange her, dass jemand Maduro gesehen hat. Er hatte ein Flugzeug auf dem Rollfeld. So wie wir es verstehen, war er bereit, heute in der Früh zu gehen. Die Russen haben ihm aber zu verstehen gegeben, dass er bleiben sollte", erklärte Pompeo. Maduro wies diese Angaben als "unseriös, unsinnig, verrückt, verlogen" zurück.

Drohungen aus den USA

US-Präsident Donald Trump drohte der kommunistischen Regierung in Kuba, sollten kubanische Truppen und Milizen in Venezuela nicht sofort ihre militärischen und andere Operationen in Unterstützung für Maduro einstellen, würden die USA ein komplettes Embargo und Sanktionen gegen Kuba verhängen. Zahlreiche Länder der Region, die Staaten der Lima-Gruppe, riefen die venezolanischen Streitkräfte auf, Guiado als Oberbefehlshaber zu akzeptieren und aufzuhören, "ein Instrument des illegitimen Regimes zur Unterdrückung des venezolanischen Volkes zu sein."

Die Europäische Union forderte durch ihre Außenbeauftragte Federica Mogherini zu "größte Zurückhaltung" im Machtkampf. Es könne nur einen "politischen, friedlichen und demokratischen Weg" aus der Krisensituation des Landes geben, erklärte Mogherini.

Brasiliens rechtsextremen Präsidenten Jair Bolsonaro verlieh auf Twitter seiner Unterstützung für die "demokratische Wende" in Venezuela Ausdruck. Aus seinem Büro verlautete, "mehrere" venezolanische Soldaten hätten am Dienstag in der brasilianischen Botschaft in Caracas Asyl beantragt. Brasilianische Medien berichteten von 25 Militärs.

Fluggesellschaften verlassen Venezuela

Die US-Luftfahrtbehörde FAA forderte die Fluggesellschaften des Landes auf, Venezuela wegen der unsicheren Lage binnen 48 Stunden zu verlassen. Dies umfasse auch Privatjets. Zudem wies die FAA amerikanische Flugzeugbetreiber an, bis auf weiteres eine Mindestflughöhe von 26.000 Fuß (knapp acht Kilometer) über Venezuela einzuhalten.

Oppositionsführer Guaido will unterdessen den Druck auf Maduro weiter erhöhen und rief seine Anhänger zu neuen Protesten am Mittwoch auf. "Wir führen die "Operation Freiheit" fort. Wir bleiben auf den Straße, bis wir das Ende der unrechtmäßigen Machtübernahme erreicht haben", sagte er am Abend. "Morgen geht ganz Venezuela auf die Straße." (Sandra Weiss, APA, 30.4.2019)