Die Risikoabschätzung durch Gentests ist nur sinnvoll, wenn man durch Verhaltensänderung und medizinische Maßnahmen die Gefahr der Erkrankung verringern kann.

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Wer sein Alzheimerrisiko kennen will, kann sein Erbgut untersuchen lassen. Ein Testkit des US-Anbieters 23andMe kostet 199 Dollar (umgerechnet etwa 178 Euro). Per Post schickt man eine Speichelprobe ins Labor nach North Carolina und erhält wenige Wochen später eine genetische Analyse des Risikos in Bezug auf zehn Krankheiten. Einige sind sehr selten, aber der Test macht auch Angaben zu Alzheimer und Parkinson. Vor rund zwei Jahren gab die FDA, die amerikanische Gesundheitsbehörde, den Test frei. Er darf an Kunden verkauft werden, ohne dass ein Arzt ihn verordnet – auch nach Europa.

In den USA liegen solche Direct-to-Consumer-Tests (DCT) im Trend. Mehr als zehn Millionen Menschen haben ihr Erbgut schon analysieren lassen. Experten rechnen damit, dass sich die Zahl bis 2022 verzehnfachen könnte. Bisher stand die Ahnenforschung im Vordergrund, zusätzlich erhält man allerlei Spaßinformationen: wie man Kaffee verträgt oder ob Männer früh ihre Haare verlieren. Die Fortschritte in der DNA-Diagnostik sind enorm, und so ist damit zu rechnen, dass die Bemühungen der Unternehmen, medizinisch relevante Risiken zu überprüfen, weiter zunehmen werden.

Auf dünnen Beinen

"Wissenschaftlich stehen solche Tests auf sehr dünnen Beinen", kritisiert Anita Rauch, Direktorin des Instituts für Medizinische Genetik der Universität Zürich, den Trend. 23andMe entschlüsselt nämlich nicht das vollständige Erbgut eines Patienten, sondern konzentriert sich auf ein paar wenige winzige Veränderungen, sogenannte SNPs (Single Nucelotid Polymorphisms), bei denen nur ein Buchstabe im DNA-Text verändert ist. Durch die Untersuchung zehntausender Patienten kennt man heute mehrere Millionen solcher Varianten. Taucht ein einzelnes SNP auffällig oft bei Diabetikern auf, verknüpfen Forscher es mit der Krankheit Diabetes.

"In den meisten Fällen setzt sich das genetische Risiko einer Person aus kleinen Effekten von hunderten oder tausenden genetischen Varianten zusammen. Bis vor kurzem war es daher kaum möglich, für einzelne Personen mehr als eine grobe Schätzung des genetischen Risikos abzugeben", erklärt Christoph Bock vom Forschungszentrum für Molekulare Medizin (CeMM) der Akademie der Wissenschaften in Wien. Auch der Test von 23andMe prüft, ob man Träger solcher Varianten ist. Allerdings werden nur die häufigsten SNPs kontrolliert. Um das Risiko für Alzheimer abzuschätzen, sucht der Test nach der Genvariante APOE4, einem genetischen Risikofaktor für die Erkrankung. Aus dem Ergebnis errechnet man die Wahrscheinlichkeit, dass die Krankheit ausbricht.

Mit den Ergebnissen allein gelassen

Das Unternehmen klärt seine Kunden darüber auf, dass es sich beim Ergebnis nicht um eine in Stein gemeißelte Wahrheit handelt. Aber wie gehen Patienten mit den Ergebnissen um? "Wir bekommen immer wieder Anrufe von aufgelösten Patienten, die ihr Testergebnis nicht einordnen können", so Rauch. In der Schweiz und Deutschland sind DCT-Tests für medizinische Zwecke zwar nicht erlaubt – ein Patient muss zuvor von einem Arzt beraten werden, der den Test anweist -, aber sie lassen sich problemlos online bestellen. Auch in Österreich darf das Anbieten genetischer Analysen nur von zugelassenen Einrichtungen und nur auf Veranlassung eines entsprechend ausgebildeten Arztes erfolgen. Das schließt aber nicht aus, dass in Österreich ansässige Menschen DTC-Gentests machen, die im Ausland angeboten werden", sagt die Bioethikerin Barbara Prainsack von der Uni Wien.

Die Risikoabschätzung von Krankheiten spielt auch in der Forschung eine Rolle: "Derzeit werden Studien durchgeführt, die die Bedeutung des polygenen Risiko-Score (PRS), also der Erkrankungswahrscheinlichkeit in Bezug auf eine bestimmte Krankheit, für den Patienten untersuchen. Es ist wichtig, zu erforschen, welchen Einfluss das Wissen um einen hohen oder niedrigen PRS auf den Lebensstil hat", erklärt Jeanette Erdmann, Direktorin des Instituts für Kardiogenetik an der Uni Lübeck. Dahinter steckt die Frage, ob es Patienten leichter fällt, mehr Sport zu treiben, wenn ihnen ihr Erbgutbefund eine Wahrscheinlichkeit für Herzinfarkt vorhersagt.

In Zukunft könnte die Aussagekraft solcher Tests für polygene Krankheiten, also solche, an denen zahlreiche Gene und SNPs beteiligt sind, besser werden. Zu ihnen zählen die meisten Volkskrankheiten wie Herzinfarkt, Diabetes oder Demenzerkrankungen. "Riesengroße Genom-Datenbanken zusammen mit modernen Bioinformatikmethoden ermöglichen teilweise ganz akzeptable Genauigkeiten", sagt Bock, der sich DCT-Tests unter bestimmten Voraussetzungen auch im medizinischen Bereich vorstellen kann: "Die Bevölkerung müsste eine gewisse Grundbildung mitbringen. Außerdem dürften Personen, die solche Tests verwenden, vom Gesundheitssystem mit ihren Fragen nicht allein gelassen werden. "Aber vor allem muss sich das identifizierte genetisch bedingte Risiko durch Verhaltensänderungen oder medizinische Maßnahmen verringern lassen."

Keine Vorbeugung möglich

Genau das ist bei den Gesundheitstest von 23undMe nicht der Fall: Weder Alzheimer noch Parkinson lässt sich gezielt vorbeugen. "Wer keine konkreten Symptome hat, sollte sich das gut überlegen", rät Rauch, betont aber, dass Erbguttests, je nach Fragestellung, sinnvoll sein können. So sind sie aus manchen Bereichen der Medizin nicht wegzudenken: in der Krebsmedizin etwa, wo die Wahl der Therapie im Vordergrund steht, und bei der Diagnose monogener Krankheiten, also Erkrankungen, die auf einen einzelnen Gendefekt zurückgehen.

Mit Parkinson und Alzheimer hat 23andMe gefürchtete Altersleiden im Testrepertoire. Wer sich testen lässt, sollte wissen: Man kann trotz eines hohen genetischen Risikos in Zusammenhang mit einer Krankheit gesund bleiben. (Juliette Irmer, 30.4.2019)