Rosales: "Jüngere Frauen haben ein Bewusstsein dafür, dass es auch ihnen gut gehen muss."

Foto: Ullstein Verlag

Caroline Rosales, "Sexuelle verfügbar", 18,50 Euro / 286 Seiten, Ullstein-Verlag, Berlin 2019

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In ihrem neuen Buch "Sexuell verfügbar" schreibt die Journalistin und Autorin Caroline Rosales über die Zusammenhänge zwischen Erziehung, Missbrauch und Feminismus. Als Mädchen müsse man gefallen, lieb und höflich sein. Es fängt damit an, "dem Onkel ein Küsschen geben zu müssen", auch wenn man es nicht will. Diese erlernten Verhaltensweisen prägen das Verhalten bis ins Erwachsenenalter: Aus den Mädchen werden Frauen, die mehr auf ihr Gegenüber achten als auf sich selbst. Rosales beleuchtet in ihrem Buch anhand ihres eigenen Lebens, wie sich die Anforderung der sexuellen Verfügbarkeit vom Teenageralter bis ins Erwachsenenalter bemerkbar macht.

Im STANDARD-Interview sprach sie über sexuelle Verfügbarkeit, darüber, was ihr junge Frauen heute voraushaben und wo sie Solidarität unter Frauen gelernt hat.

STANDARD: Warum wollten Sie ein autobiografisches Buch schreiben, warum sich so exponieren?

Rosales: Ich wollte über das Aufwachsen einer jungen Frau schreiben, über diese ständigen Gängeleien und kleinen Missbräuchlichkeiten im Alltag. Ich wollte reflektieren, wie manche Angewohnheiten, Erziehung, Prägungen, abstruse gesellschaftliche Regeln dazu führen, dass wir uns verhalten, wie wir uns verhalten. Zum Beispiel ist mir schon als junge Frau aufgefallen, wie sehr man dem Freund oder den Jungs aus der Klasse gefallen muss, sonst wird man nicht auf die Party eingeladen und ist nicht beliebt. Als ältere Frau musst du die Jüngere gängeln, erziehen. Das sind ungeschriebene Regeln, wie auch "Du musst einen Mann finden und heiraten" eine ist. Denn auch wenn du studierst und einen guten Job hast, ist das alles nichts wert, wenn du eine alte Jungfer bist. Dann hast du dein Leben als Frau verwirkt. Wir haben so ein strenges gesellschaftliches Korsett, obwohl wir in so liberalen Zeiten leben. Das habe ich versucht aufzuschreiben. Durch #MeToo sind so viele Dinge sagbar geworden, so viele Fragen durften gestellt werden – da ist viel aufgebrochen. Plötzlich konnte ich offen sprechen. Ich dachte mir: Jetzt kann auch ich meine Geschichte erzählen und hoffen, dass sich jemand darin wiederfindet.

STANDARD: In einem Kapitel beschreiben Sie eine Situation während eines Praktikums in Asien: Der Chefredakteur eines Magazins macht sich an Sie heran, und obwohl Sie nicht wirklich wollen, fährt er mit Ihnen nach Hause. Warum kommt es zu solchen Situationen?

Rosales: Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie vielschichtig solche Situationen oft sind, hier gibt es ganz viele Aspekte. Ich habe in dieser Situation sicherlich auch Einvernehmen geäußert. Einerseits hat er Dinge gemacht, die er nicht durfte, klare Grenzen überschritten. Zwischen uns gab es ein klares Machtgefälle. Er machte mir einen Haufen Komplimente und hat mit seinen guten Kontakten vor meiner Nase herumgewedelt. Am zweiten Abend sagte er mir, brutal ehrlich, er sei in mich verliebt. Auf der anderen Seite war ich auch um mein berufliches Fortkommen besorgt, wollte ja von seiner Erfahrung und seinen Kontakten profitieren. An einem Punkt war er dann doch bei mir zu Hause, in meiner kleinen Studentenbude, und ich wusste, jetzt wird gleich etwas passieren. Das war ein Moment, wie ihn viele Frauen kennen: Man hat es verpasst, im richtigen Augenblick Nein zu sagen. Der Typ ist da, und es wäre anstrengender, ihn abzuwimmeln, als einfach Sex mit ihm zu haben. Ich konnte meine Wahrnehmung, dass hier etwas ganz und gar nicht stimmt, nicht gegen ihn durchsetzen und dachte, es wäre kein Missbrauch, solange ich ihn nicht als solchen benennen würde.

STANDARD: Sie sagen, die jungen Frauen heute wissen besser Bescheid. Was wissen sie besser?

Rosales: Sie würden sich zum Beispiel im Bett gewisse Dinge einfach nicht bieten lassen. Es gibt ein Bewusstsein dafür, dass es auch ihnen gut gehen muss. Was mich sehr stolz gemacht hat, war, dass zu meinen Lesungen auch ganz junge Frauen kamen. Die kennen all diese Erika-Lust-Pornos zum Beispiel, die können auch viel leichter Dinge aussprechen. Ich sehe das auch selbst bei meiner fünfjährigen Tochter: Die kann ihre Scheide benennen, hat fünf Wörter dafür. Ich hatte kein einziges. Auch Sexismus im Job, heruntergemacht zu werden, das lassen sich heute viel weniger junge Frauen bieten als damals.

STANDARD: Und woran liegt das?

Rosales: Weil viele Dinge jetzt sagbarer und expliziter sind. Es gibt inzwischen Serien wie "Girls" oder Comedians wie Amy Schumer: Die redet krass offen, sogar über die Größe ihrer Vagina. Vor zehn, fünfzehn Jahren hätte es das nicht gegeben. Jetzt ist es lustig, es ist ein befreiendes Lachen, es tut so gut. In einem Kapitel schreibe ich über meine erste Beziehung, die war mit einer Frau. Ich konnte damals nicht mal offen lesbisch sein, das gab es nicht, es war keine Option. Mit diesem Mädchen hatte ich Sex, habe Händchen unter der Bank gehalten. Natürlich ist das aufgefallen. In unserer Mädchenschule hieß es dann: Die benehmen sich nicht. Was heißt das eigentlich? Was haben wir falsch gemacht? Auch unsere katholisch geprägten Eltern waren not amused. Es gehörte sich einfach nicht. Meine Eltern hatten Angst, dass ich anecke oder nicht so bin wie die anderen. Ich kann mich noch erinnern, als ich acht Jahre alt war, habe ich das erste Mal meine Tanten und Onkel sagen hören, dass Homosexualität eine Krankheit ist.

STANDARD: Welches Kapitel war für Sie am schwersten zu schreiben?

Rosales: Auf jeden Fall "Die andere Frau". Anfang 20 hatte ich einen festen Freund, der mich betrogen hat, als ich ein paar Tage weg war. Sie stand plötzlich in der Wohnung, als ich wiederkam. Er hat natürlich alles bestritten, und wir haben uns wieder vertragen. Ich war in einer Art Schockstarre, wollte nur unbedingt diesen Typen wiederkriegen und konnte einfach nicht schlussmachen. Ich dachte, man müsse in einer Beziehung oder Ehe einfach den Mann halten. Das wurde mir damals von Verwandten, meinem Umfeld, so beigebracht. Diese Frau habe ich irgendwann auf einer Party getroffen und angesprochen. Sie hat es mir dann alles gestanden. Daraus hat sich sogar eine Freundschaft entwickelt, und ich habe diesen Typen in den Wind geschossen. Sie hat meine Weltsicht wieder geraderückt, und ich habe gemerkt, dass man viel weiterkommt, wenn Frauen zusammenhalten. Das war für mich eine sehr frühe Lektion in Solidarität unter Frauen. Wir denken, wir müssten rivalisieren, es ist nicht genug Platz, eine andere kann mir den Mann wegnehmen. Wenn sie da ist, kann ich nicht da sein. Aber das ist Quatsch! Wir müssen gegen die Leute sein, die diesen Sexismus, das patriarchale System aufrechterhalten, aber nicht gegeneinander. (Diana Köhler, 2.5.2019)