EPA-Fotograf Christian Bruna, der im April auch bei der Aufmacher-Medienrunde zu Gast war: "Wo es möglich ist, sollten Medien auf Handout-Fotos verzichten."

Foto: Thomas Kronsteiner

Meuchelfotos nein, Schnappschüsse ja: Christian Bruna fotografierte am 17. Oktober 2017, zwei Tage nach der Nationalratswahl. Sebastian Kurz.

Foto: European Pressphoto Agency-EFE/Christian Bruna

"Danke. Einig." Sebastian Kurz und Eckpunkte seiner Rede nach einem Termin am 19. Mai 2019 in der Präsidentschaftskanzlei.

Foto: European Pressphoto Agency-EFE/Christian Bruna

Für die einen war es mutig, für die anderen ein modischer Fauxpas – womöglich war es sogar beides. "Denke ich an Alfred Gusenbauer, habe ich entweder ein Bild mit Anzug im Kopf oder eines mit einer Radlerhose", sagt Christian Bruna, wenn er über die Macht der Bilder spricht. Sie macht eben auch nicht vor einem Ex-Bundeskanzler mit Faible für weiße Radlerhosen Halt: "Diese Fotos bleiben in Erinnerung." In Erinnerung wird Bruna auch Ex-Grünen-Chefin Eva Glawischnig bleiben: "Sie war sehr schwer zu fotografieren, weil sie sehr oft geblinzelt hat."

Christian Bruna ist Österreich-Fotograf der European Pressphoto Agency (EPA), einer internationalen Bildnachrichtenagentur mit Sitz in Frankfurt am Main. Die EPA vertreibt ihre Pressefotos weltweit, was dazu führt, dass politische Berichterstattung interessanter ist als etwa Fotos von der Marillenkönigin aus der Wachau. Eine Königin in Österreich erlangt selten Weltruhm, auch nicht, wenn sie aus der Wachau kommt. Dieser Fokus auf Brisanz mache für Bruna auch den Reiz aus: "Ich kenne keinen Kollegen, der nicht drauf steht, wenn er sein Bild in der 'New York Times' oder im 'Guardian' sieht."

"Geschichte fußfrei"

Spricht man mit dem 32-Jährigen über seinen Job, wird sehr schnell klar, warum er ihn macht: "Für mich ist das Geschichte fußfrei. Ich mache mir mein eigenes Bild, das ist die tägliche Faszination." Diese "tägliche Faszination" erlebt Bruna seit über zehn Jahren, erzählt er im Gespräch mit dem STANDARD, obwohl das für Außenstehende nicht immer leicht nachvollziehbar ist: "90 Prozent bestehen aus Warten, fünf Prozent ist Fotografieren, und fünf Prozent machen die Nachbearbeitung und das Einspielen aus."

Der gebürtige Niederösterreicher musste 2008 neben seinem Politikstudium Geld dazuverdienen – und entschied sich schon bald gegen den Hörsaal und für die Fotografie. Während er seine Anwesenheit an der Uni reduzierte, tauchte er immer öfter bei Presseterminen auf. Nach Stationen als freier Fotograf für Reuters, "Österreich", Agence France-Presse (AFP) oder Associated Press (AP) heuerte er 2015 bei der EPA an.

Schwimmen im Gletscher

Hat Bruna die Wahl – und die hat er wohl oft als Österreich-Chef der Agentur –, dann entscheidet er sich für Feature-Reportagen und gegen Pressekonferenzen: "Eigene Reportagen sind die größte Herausforderung." Seine schönste Geschichte im vergangenen Jahr war eine übers Eisschwimmen im Hintertuxer Gletscher: "Ich war vier Tage dort. Fotografieren war sehr schwierig, weil es dort dunkel ist und die Schwimmer sehr schnell sind." Das Resultat konnte sich sehen lassen. Brunas Fotos landeten im "Guardian", dem "Stern" und der "FAZ".

Eisschwimmen im Hintertuxer Gletscher.
Foto: European Pressphoto Agency-EFE/Christian Bruna

Neben Veröffentlichungen in Medien polieren auch Preise die eigene Vita auf. So hat Bruna 2016 für die Serie "Auf der Flucht" den "Objektiv", Österreichs wichtigsten Fotopreis, in der Kategorie Fotoserien erhalten: "Ich habe für die AP fotografiert und versucht, nicht einzelne Gesichter von Flüchtlingen zu zeigen, sondern der Krise ein Gesicht zu geben", sagt er.

Serie "Auf der Flucht".
Foto: APA/CHRISTIAN BRUNA

Die immer wieder formulierte Kritik, dass Medien damals primär Frauen und Kinder gezeigt hätten, kann er heute bis zu einem gewissen Grad nachvollziehen. Er subsumiert das unter "boulevardeske Geilheit". Die Medien – darunter auch DER STANDARD – hätten manchmal Bilder gebracht, die nicht zur eigentlichen Flüchtlingskrise gepasst hätten.

Problematische Kinderfotos

Vielen Fotografen seien ethische Grundsätze plötzlich egal gewesen: "Das Recht auf das eigene Bild war plötzlich wurscht. Es wurde fotografiert, was geht." Würde man in Österreich wahllos auf einen Spielplatz gehen und Kinder fotografieren, wäre was los, so Bruna: "Niemand hat nachgedacht, dass man ohne Erlaubnis ein Kind zeigt. Egal woher es kommt, es hat wie jeder Mensch Rechte." Das seien zwar leicht verständliche Bilder, die große Emotionen auslösten, aber: "Effekthascherei ist der größte Feind des Fotografen."

Ein berühmtes, tieftrauriges Bild war jenes des zweijährigen syrischen Jungen, Aylan Kurdi, dessen Leichnam an der türkischen Mittelmeerküste angeschwemmt wurde. Bruna plädiert auch heute noch dafür, es zu zeigen. Nicht trotz, sondern gerade wegen der Brutalität: "Man muss auch Fotos bringen, die beim Leser etwas Verstörendes auslösen. Das ist die Realität." Entscheidend sei das Wie: "Man muss nicht das Gesicht sehen. Es reicht, wenn man sieht, wie das Kind leblos am Boden liegt." Die Würde eines Menschen sterbe nicht mit seinem Tod.

Annäherung an Neutralität

"Du darfst mit deinen Fotos nicht werten", sagt Bruna über seine Arbeit. Und dennoch: Berichterstattung könne nicht objektiv sein: "Ich werde dafür bezahlt, dass ich das Erlebte mit meinen Augen, meiner Kamera fotografiere, das ist eine subjektive Wahrnehmung." Was er nicht machen würde, seien Meuchelfotos: "Ich kann Parteichef A nicht schlechter fotografieren, nur weil ich nicht seiner Meinung bin, und Parteichef B nicht nur im positiven Licht darstellen." Das könnte man alles durch die Belichtung oder den Winkel inszenieren, aber: "So verliert man seine Glaubwürdigkeit als Fotograf."

Politik als Inszenierung

Ein großes Thema ist Inszenierung. Was bei Ex-Kanzler Christian Kern (SPÖ) so richtig begonnen hat, setzte sich bei Sebastian Kurz (ÖVP) fort: "Die Wertigkeit von Fotos ist im Kanzleramt gestiegen." Eigene Fotografen setzen Politiker in Szene – natürlich nicht zu ihrem Nachteil. Vor Instagram-, Facebook- und Twitter-Zeiten hätten Medien das Image von Menschen geprägt, jetzt könnten sie das selbst machen: "Jeder, der eine Kamera sieht, versucht sich mit Gestik und Mimik selber zu präsentieren, das ist für mich eine Inszenierung. Politik ist immer eine Inszenierung, sonst machst du keine Veranstaltungen."

Im Gegensatz zu PR-Fotografen, die ihre Auftraggeber gut aussehen lassen müssen, sei es sein Job, zu fotografieren, was gerade passiert: "Schaut jemand immer negativ drein, ist das nicht mein Problem und nicht meine Aufgabe, ihn darauf hinzuweisen." Einer, der meist gut dreingeschaut habe, sei Ex-Bundespräsident Heinz Fischer: "Er konnte großartig mit Fotos spielen und ist nie einfach so dagestanden, sondern war lustig, locker und entspannt."

Same procedure als every time

Generell rät er Politikern zu mehr Ortswechseln, um den Fotografen einen anderen Rahmen zu bieten. Sie sollten "mehr rausgehen", statt ihre Pressekonferenz ständig in einem Café wie dem Landtmann, einem sehr beliebten Ort für Presseevents, abzuhalten. Auch wenn Staatsbesuche einer protokollarischen Usance folgen, könnten sie mehr Varianten vertragen: "Das Auto fährt vor, Van der Bellen steht zuerst rechts, dann links, und dann schreiten sie die Ehrengarde ab." Hier könnte man einfach die Gesichter austauschen. "Niemand würde es merken."

Gegen Handout-Fotos

In Sachen Message-Control bei Fotos habe Schwarz-Blau nicht viel anders agiert als Vorgängerregierungen, resümiert Bruna. Ob aus finanziellen Gründen oder weil die Vorstellungskraft fehle: "Medien lassen viel zu wenig fotografieren und greifen viel zu oft auf Handout-Fotos zurück, die zur Verfügung gestellt werden. Gleichzeitig jammern sie über Inszenierung, das ist für mich ein Widerspruch." Ein Handout-Foto habe nicht den Rang eines Nachrichtenfotos. In vielen Medien fehle noch dazu der Hinweis, wer der Urheber sei: "Wo es möglich ist, sollten Medien auf Handout-Fotos verzichten, das wird aber immer mehr."

Im Gegensatz zu PR-Fotografen habe eine Nachrichtenagentur sehr strenge Kriterien, was nachbearbeitet werden dürfe und was nicht: "Wegretuschieren oder hinzufügen, das geht gar nicht." Sehr kritisch sieht Bruna beispielsweise das "Newsweek"-Cover mit Sebastian Kurz: "Das ist ein Agenturfoto aus einem öffentlichen Termin, das so bearbeitet wurde, dass es einen heroischen, kalten Stil hat."

Das "Newsweek"-Cover mit Kurz.
Foto: APA/HERBERT NEUBAUER

Leben aus dem Koffer

Neben Politik bestimmt der Sport Brunas aktuelles Portfolio. Ob Asian Games in Indonesien, Olympische Winterspiele in Südkorea, Ski-WM in Åre oder Eishockey-WM in Dänemark und erst kürzlich in Bratislava: Bruna war dabei. "2018 habe ich knapp die Hälfte des Jahres in Hotelzimmern verbracht." Das nächste große Highlight wartet im Herbst 2019 mit der Leichtathletik-WM in Katars Hauptstadt Doha: "Ich darf innerhalb der Laufbahn fotografieren." Aus Sicherheitsgründen dürfen das nur ein paar Kollegen: "Darauf freue ich mich schon sehr."

In den allgemeinen Tenor, dass der Stellenwert von Pressefotografie immer mehr sinke und die goldenen Zeiten längst vorbei seien, möchte Bruna nicht so recht einstimmen: "Natürlich ist es schwierig – das heißt aber nicht, dass man nicht davon leben kann. Du musst wahrscheinlich für mehrere Kunden arbeiten, viele mögen das nicht."

Statt zu lamentieren, sollten junge Kolleginnen und Kollegen mehr Eigeninitiative demonstrieren: "Viele sitzen zu Hause und warten, bis ich anrufe." Bruna beauftragt im Namen der EPA immer wieder freie Fotografen. Auf regelmäßiger Basis sind das in Österreich derzeit sieben. Zu einem Tagessatz von 220 Euro.

Störche beim Liebesspiel.
Foto: European Pressphoto Agency-EFE/Christian Bruna

Auf seiner To-do-Liste hat er 86 Reportagen, die er gerne machen würde. Die Arbeit ist Passion, sie ist omnipräsent: "Ich kann nicht wegschauen, das schaffe ich nicht." So ist auch das Foto mit den Störchen beim Liebesspiel entstanden, das er bei Vollmond am Neusiedler See gemacht hat. "Ich habe sie in ihren Nestern sitzen gesehen und mir gedacht: Ich will das Bild." Es hat sich ausgezahlt. (Oliver Mark, 22.6.2019)