EU-Außenbeauftragte Mogherini, flankiert von Kanzlerin Merkel und Präsident Macron, unterstützte die Debatte um einen Gebietstausch im Nord-kosovo und in Süd-serbien. Ein Gipfel am Montag in Berlin sollte den Plan beerdigen.

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Europäische Politiker sollten die tragische Historie am Balkan immer in Gedächtnis haben, so die Philosophin und Publizistin Dunja Melčić. Schon die Erwähnung möglicher Grenzänderungen als angebliche Lösung politischer Probleme bringe Unheil, warnt sie im Gastkommentar.

Als hätten alle den Krieg der 90er-Jahre in Europa vergessen! Politisches Handeln jedenfalls zeigt sich unbekümmert von solchen Erinnerungen. Auf merkwürdige Weise wurde dieser Krieg tatsächlich auch, während er tobte, ignoriert, während sich gleichzeitig seine Folgen bis in die Klassenzimmer der Schulen quer durch Europa offenbarten. So zeugen auch heute manche weltbekannte Fußballer durch ihre Herkunft von den Vertreibungen, die sie im Kindesalter nach Schweden, Schweiz, Deutschland oder Österreich brachten.

Dieser Krieg war und ist die ganze Zeit präsent und unsichtbar zugleich. Das Unsichtbare war, dass es sich um einen Krieg für neue Grenzen handelte, was eo ipso das Ausradieren der bestehenden bedeutete, von denen niemand in Europa und der Welt etwas wusste. Eine andere Bezeichnung dafür lautet Eroberungskrieg. Doch jenen Krieg, der aus mehreren bestand, aber immer von dem gleichen Hauptakteur entfacht wurde, hat man so gut wie nie richtig benannt. Wenn man etwas falsch benennt, dann bleibt das Verständnis des politischen Sachverhalts, aus dem die Ansätze des politischen Handelns abgeleitet werden sollten, unklar – mit fatalen Folgen.

Falsche Prämissen

Der Westen, die politisch handelnden Personen an der Spitze und diverse Unterhändler komponierten ihre Szenarien unter falschen Prämissen, sodass sich ihre Entscheidungen und Interventionen auf die Konfliktlage in der realen Welt nicht wie erwartet auswirkten und manchmal sogar das Gegenteil bewirkten. Es wäre eine lange Liste, nur die schwersten Fehler aufzuzählen.

Bereits am Anfang des Krieges in Bosnien 1992 konnten sich die Hauptkriegstreiber durch Worte des französischen Präsidenten François Mitterrand in ihren Bestrebungen nach territorialer Ausdehnung ermuntert fühlen, weil dieser sich nämlich gegen die Anerkennung der früheren Republiken und zugunsten einer nationalen (sprich serbischen) Lösung aussprach. Das konnte Slobodan Milosevic als einen Wink verstehen, dass Großserbien doch eine für die Weltgemeinschaft annehmbare Option sein könnte, und die großserbischen Fanatiker am Schreibtisch und besonders sichtbar an der Front als Bestätigung, dass sie im Recht sind.

Milosevics finstere Tricks

Zum Glück stellte die 1991 gegründete Europäische Kommission, die sogenannte Badinter-Kommission, die Prinzipien der Rechtsnachfolge und damit der Anerkennungspolitik der unabhängig gewordenen Neustaaten fest. So wurden die Verbindlichkeit der innerjugoslawischen Republikgrenzen und die rechtliche Staatsauflösung festgelegt. Staatsrecht gegen kriegerische Gewalt! Leider ignorierte die Kommission die Tatsache, dass die jugoslawische Verfassung von 1974 außer Republiken auch Kosovo auf der Bundesebene den gleichen Status gewährt hatte, bis Milosevic ihn mit Gewalt und durch finstere Tricks 1989 außer Kraft setzte.

Diesem skandalösen Verfassungsbruch schenkten die westlichen Diplomaten keine Beachtung, aber die Kosovo-Albaner wollten diese widerrechtliche Annullierung ihres verfassungsmäßigen Status nicht hinnehmen; da dieser auch ein Recht auf Verselbstständigung implizierte, riefen sie die Republik Kosovo aus und kämpften jahrelang friedlich für ihre Verwirklichung.

Jetzt ist Kosovo ein selbstständiger Staat. 20 Jahre nach dem grausamen Krieg und der aus Belgrad staatlich organisierten Vertreibung gigantischer Ausmaße bildete sich der Staat Schritt für Schritt gemäß der rechtlichen Grundlage, die der UN-Vermittler und frühere finnische Präsident Martti Ahtisaari 2007 entworfen hatte, aus. Darin ist glasklar die Unabänderlichkeit der bestehenden Provinzgrenzen festgeschrieben, ein Postulat, das auch Bestandteil der Verfassung des jungen Staates ist. Übrigens, das kriminelle Vorgehen der Belgrader Führung ist vom Haager Strafgerichtshof bis ins Detail im Prozess und Verdikt über engste Mitarbeiter Milosevics (Sainovic et al. 2014) einwandfrei nachgewiesen worden. Die Täter bekommen in verschwommenem Diskurs keine angemessenen Namen, dafür lügen die Fakten hier nicht.

Damit folgt die Verfassung des Kosovo eng den gleichen Prinzipien, die für die Anerkennungspolitik bei der Loslösung der Republiken aus dem föderalen Verbund 1991 leitend waren. Die staatspolitische Herkunft der kosovarischen Unabhängigkeit aus dem einstigen gemeinsamen Staat ist – wie bei allen anderen einstigen föderalen Republiken – ihre ursprüngliche historische Legitimation. Daraus folgt, dass die Grenzen der Staaten, die aus dem Zerfall des föderalen Staates entstanden sind, als sakrosankt zu gelten haben.

Belgrads fixe Idee

Die europäischen Politiker sollen diese tragische Historie immer im Gedächtnis haben und wissen, dass schon ein Erwähnen von möglichen Grenzänderungen als angeblicher Lösung von politischen Problemen Unheil bringt.

Das neuerliche Gerede über eine Grenzänderung als Lösung angeblicher "ethnischer" Probleme hat schon zur Unterbrechung der Gespräche zwischen Belgrad und Prishtina und zur Verschärfung der Spannungen geführt. Die Idée fixe Belgrads, der großserbische Traum, ist wiederbelebt worden, wenn auch in geschrumpfter Variante. Belgrad will die Realität nicht wahrhaben; es braucht einen Weckruf aus Brüssel. (Dunja Melčić, 1.5.2019)