Das Wetter war der SPÖ am 1. Mai gnädig: Bei strahlendem Sonnenschein und guter Stimmung nahmen Parteichefin Pamela Rendi-Wagner und ihr Team auf dem Rathausplatz die Parade der Genossen ab. Die längerfristigen Aussichten der Sozialdemokratie auf eine Rückkehr an die Macht aber hatten sich am Vortag eher eingetrübt. Zwar gibt ihr der Unwille der FPÖ-Spitze, sich von rechtsextremem Gedankengut abzugrenzen, neue Munition für scharfe Angriffe. Aber mit der Steuerreform hat die Bundesregierung der größten Oppositionspartei viel Wind aus ihren Segeln genommen.

Zwei Ziele verfolgen ÖVP und FPÖ ganz offensichtlich mit ihren Steuerplänen: Sie wollen den Geruch von sozialer Härte, den die schwarz-blaue Regierung von Wolfgang Schüssel einst verbreitete, nicht aufkommen lassen und gleichzeitig verhindern, dass die Freude über die Steuerersparnis bei den Wählern zu früh verfliegt.

Wahltaktisch klug

Deshalb kommen die Senkungen in Häppchenform, sodass jedes Jahr die Last ein wenig sinkt. Und die größten Nutznießer der frühen Etappen sind Kleinverdiener; die Mittelschicht und die Unternehmen müssen mehrere Jahre auf ihre Segnungen warten. Dass durch die Verzögerungen außerdem das Einhalten des Nulldefizitziels erleichtert wird, ist ein angenehmer Nebeneffekt. Das ist alles sehr sozial und wahltaktisch sicherlich klug. Dem Wirtschaftsstandort bringen die Reformen vorerst wenig – und dem Klimaschutz gar nichts.

Wie sehr gerade Kanzler Sebastian Kurz sich einer sozialdemokratischen Steuerpolitik annähert, zeigt sich bei seiner Haltung zur kalten Progression, der schleichenden Steuererhöhung durch die Nichtanpassung des Tarifs an die Inflation. Jahrelang hat die ÖVP ihre Abschaffung gefordert, während die SPÖ nur Niedrigverdiener schonen wollte. Nun hält es auch Kurz für ungerecht, Besser- und Spitzenverdiener zu entlasten – als ob eine konstante Besteuerung ein Zugeständnis wäre. Für eine Partei, die traditionell Leistungsträger gefeiert hat, ist dies eine ungewöhnliche Ansage. Hier folgt die türkise ÖVP genauso wie in der Migrations- und Sicherheitspolitik viel mehr dem Kurs des blauen Koalitionspartners.

Finanzierung von Zukunftsbereichen gefährdet

Genauso wenig greift diese Regierung trotz erschreckender Langfristprognosen in das Pensionssystem ein oder fordert bei der Reform der Pflegefinanzierung die Eigenverantwortung der Familien ein. All das böte Angriffsflächen für eine linke Opposition. Wenn nicht gerade Sozialministerin Beate Hartinger-Klein im Parlament "Die Wirtschaft schafft die Arbeit" kreischt, sind es vor allem die Neos, die diese Regierung der kleinen Leute glaubwürdig kritisieren können.

Was ist denn falsch daran, könnte man fragen, die Vermeidung sozialer Härten zur Maxime zu machen? Die Antwort: Wenn die Regierung ihr Versprechen halten will, keine neue Schulden zu machen, muss sie für all diese Segnungen an anderen Orten sparen. Und da auch keine durchgreifende Verwaltungsreform in Sicht ist – denn das würde den Ländern wehtun -, sind es Zukunftsbereiche wie Bildung und Infrastruktur, deren Finanzierung am stärksten gefährdet ist, wenn die Konjunktur wieder schwächelt und die Steuereinnahmen weniger sprudeln.

Für die Zeit bis zum Wahljahr 2022 haben Kurz und sein Team eine blendende Strategie entwickelt. Wie es Österreich danach geht, scheint den jungen Kanzler nicht zu berühren. (Eric Frey, 1.5.2019)