Zwischen 1943 und 1945 wurden über Österreich etwa 120.000 Tonnen Sprengstoff abgeworfen. Dass darunter auch immer wieder "Blindgänger" waren, also verschossene Geschoße, deren Sprengladung nicht zur Detonation kam, ist allgemein bekannt. Erst Ende März wurde bei Bauarbeiten auf den Reininghausgründen in Graz eine circa 100 Kilogramm schwere russische Fliegerbombe entdeckt. Da diese Funde auch 74 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs noch explosiv sein können, kommt es bei solchen Auffindungen immer wieder zu aufsehenerregenden Evakuierungen. Dass neben geschätzten 15.000 nichtexplodierten Fliegerbomben aus dem Zweiten Weltkrieg auch noch eine Vielzahl anderer Kampfmittel – so der Terminus technicus für sämtliche zur Kriegsführung bestimmten Gegenstände und Stoffe militärischer Herkunft – in Österreichs Böden und Gewässern liegt, ist jedoch nur begrenzt im öffentlichen Bewusstsein.

Dabei handelt es sich vor allem um Munition, die nach Ende der Kriege von den zurückziehenden Armeen entlang von Straßen, in Gewässern und Waldstücken entsorgt wurde. Aber auch bewusst gelegte Minen befinden sich in manchen Bereichen Österreichs immer noch im Boden. Ein gewisses Risikopotenzial haben alle diese Kampfmittel, wobei es in den meisten Fällen einer gröberen Manipulation bedarf, um sie auszulösen. Es gibt jedoch Ausnahmen wie Sprenggranaten und Fliegerbomben mit Zeit- oder Zerlegezündern, Panzergranaten oder Splitterhandgranaten, bei denen bis heute geringste Erschütterungen ausreichen, um sie zur Explosion zu bringen. Insbesondere bei entsorgter Munition kommt oft erschwerend hinzu, dass die Auslösemechanismen verrostet und damit instabil geworden sind, sodass schon geringe Bewegung ausreicht, um sie in Gang zu setzen.

Russische Splittergranate vom Typ F1 (Zweiter Weltkrieg) aus der Nähe des Flugfelds Strasshof.
Foto: novetus
Werfergranate aus dem Zweiten Weltkrieg (vermutlich eine sowjetische 82-Millimeter-Sprenggranate) in einem Feld nordöstlich von Wien.
Foto: novetus

Wo häufen sich solche Funde?

In weiten Teilen Österreichs sind solche Relikte häufig unliebsame Begleiter eines jeden Bauvorhabens – und damit auch der Rettungsarchäologie, da diese oftmals noch vor Beginn der Bauarbeiten erste Eingriffe in den Boden vornimmt. Gefunden werden sie in erster Linie in der Nähe von Bahnhöfen und Verkehrsknotenpunkten. Bei Bauvorhaben in gefährdeten Zonen ist eine Voruntersuchung durch Kampfmittelentsorgungsfirmen, bei der geophysikalische Methoden zum Einsatz kommen, in Österreich daher auch gesetzlich vorgeschrieben. Trotzdem kommt es immer wieder zu Überraschungen, da die Kriegsrelikte an sich nicht direkt gesucht werden, sondern nur charakteristische Anomalien und Störungen detektiert werden können. Doch auch außerhalb der Städte arbeiten wir immer wieder in Bereichen, die teils heftig umkämpft waren.

Beispielsweise werden derzeit bei Prospektionsarbeiten entlang der Trasse der Marchfeldschnellstraße (S8) im Umfeld des ehemaligen Flugfelds Strasshof, das in den letzten Kriegstagen stark bombardiert wurde, laufend größere Mengen an Granaten und anderer Munition gefunden. Bei einem anderen Projekt im näheren Umfeld des Schwechater Flughafens wurden gerade ebenfalls wieder größere Mengen an verschossenen Patronen und Flakmunition zutage gefördert. Etwas ungewöhnlicher waren dagegen mehrere Maschinengewehre aus dem Zweiten Weltkrieg, die meine Kollegen bei einem Einsatz im nördlichen Niederösterreich aus einem Teich fischen konnten.

Aufsammlung verschiedener Geschoße aus dem Gebiet um Maria Ellend (Niederösterreich), linke Seite (von oben): Hülsen einer deutschen Zwei-Zentimeter-Maschinenkanonenpatrone (Kaliber 20 x 138G) sowie zwei sowjetischer Patronen 23 x 152 mm für die Maschinenkanonen VYa und ZSU; rechte Seite: Oberes nicht näher identifizierbar, unten ein Zwei-Zentimeter-Panzergeschoß.
Foto: novetus
Erhaltene Reste eines Patronengurts mit Maschinengewehrmunition aus dem Zweiten Weltkrieg.
Foto: novetus

Schulungen durch das Bundesheer

Da der Umgang mit solchen Kriegsrelikten nicht zur standardmäßigen akademischen Ausbildung in der Archäologie gehört und ein Großteil der Archäologinnen und Archäologen auch nicht unbedingt zum traditionellen Zielpublikum militärischer Ausbildung zählt, wurde der gesamte Mitarbeiterstab der Firma Novetus vor wenigen Wochen einer Schulung zum Thema "Einweisung in die Identifizierung von Munitions- und Waffenfunden im Rahmen von archäologischen Tätigkeiten" unterzogen. Durchgeführt werden diese Schulungen von einem Spezialisten für Kampfmittelbeseitigung der Abteilung für Munitionstechnik des Amtes für Rüstung und Wehrtechnik des Bundesheers (diesem sei an dieser Stelle auch für die Identifikation der Kampfmittel auf den verwendeten Fotos gedankt).

Auswahl an Kampfmitteln aus dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg bei der Schulung in Kaisersteinbruch.
Foto: novetus

Neben seinen Tätigkeiten beim Bundesheer ist der Vizeleutnant auch der Archäologie kein Fremder, da er sich seit Jahren in Kooperation mit dem Bundesdenkmalamt dem Aufspüren und der Dokumentation historischer Schlachtfelder widmet. Im Zuge der Schulung, die in der Ausbildungsanlage der Lehrgruppe für Kampfmittelabwehr der Heerestruppenschule in Kaisersteinbruch stattfand, wurden uns die vielen Arten von Munition, die als Relikte der beiden Weltkriege heute noch zu finden sind, in Theorie und Praxis nähergebracht. Wichtigste Lektion des Kurses, der ein doch eher mulmiges Gefühl hinterließ in Anbetracht der vielen potenziell tödlichen Dinge, die da noch herumliegen können: nicht angreifen, Polizei rufen – das gilt im Übrigen nicht nur für Archäologinnen und Archäologen. Professionelle Kampfmittelentsorgungsdienste sind dann für die weitere Behandlung der Funde zuständig. (Michaela Binder, 2.5.2019)