Ein Diskurs auf Augenhöhe: das "ZiB 2"-Studiogespräch von Armin Wolf und Sebastian Kurz.

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Für Rubina Möhring, die Österreich-Chefin der NGO Reporter ohne Grenzen, war es um die Pressefreiheit in Österreich schon einmal besser bestellt. Grund zur Sorge gibt das jüngste internationale Ranking, in dem Österreich in die Kategorie demokratiepolitisch kränkelnder Staaten fiel. Im Gastkommentar kritisiert Möhring Einschüchterungsversuche durch die Politik.

Ich habe noch immer einen Traum: Der Internationale Tag der Pressefreiheit, seit vielen Jahren der 3. Mai, wird global ein Feiertag zu Ehren gelebter und damit lebendiger Demokratie. Natürlich als schul- und arbeitsfreier Tag. Ein staatlich verordneter Nachdenktag über Medien- und Informationsfreiheit. Dieser wäre heutzutage notwendiger denn je.

Im Ranking von Reporter ohne Grenzen International ist Österreich bekanntlich um fünf Punkte abgerutscht. Nicht nur das, Österreich fiel damit auch aus dem demokratiepolitisch unbedenklichen Bereich hinunter in die Kategorie demokratiepolitisch kränkelnder Staaten. Ähnliches hatten wir schon einmal unter der schwarz-blauen Regierung. Nach dieser dunklen Regierungsperiode hatte sich Österreich in Sachen Medien- und Demokratiepolitik Schritt für Schritt wieder erholt und nach vorn gearbeitet. Maßgeblich war damals auch die neuerliche Liberalisierung der ORF-Berichterstattung. Nun sind wir wieder dort, wo wir Anfang dieses Jahrhunderts schon einmal waren.

"Unbotmäßige" Fragen

Der vergangene Beobachtungszeitraum für die Analyse seitens Reporter ohne Grenzen International ist zugleich eine Analyse des ersten Regierungsjahres der im Dezember 2017 angelobten neuen rechts-rechten Regierungskoalition. Viel Bedenkliches ist in diesem einen Jahr geschehen. ORF-Journalisten und -Journalistinnen wurden von der Regierung, vor allem vom kleineren Koalitionspartner FPÖ, öffentlich angegriffen, um diese mundtot zu machen.

ZiB 2-Moderator Armin Wolf wurde der Lüge bezichtigt und mit dem Vorwurf konfrontiert, "unbotmäßige" Fragen zu stellen. Die professionell distanzierte Berichterstattung des Ungarn-Korrespondenten Ernst Gelegs erboste den FPÖ-Mann und Vorsitzenden des ORF-Stiftungsrates Norbert Steger. Gelegs sei sofort von seinem Korrespondentenposten abzuziehen, drohte Steger. Dem Redaktionsleiter des wöchentlichen Politmagazins Report, Wolfgang Wagner, wurde die Interviewkultur des einstigen DDR-Fernsehens unterstellt. Die konkreten Inhalte und Ziele solcher Intervention: Einschüchterungspolitik durch Verleumdung sowie Einschüchterungsversuche durch Diffamierung.

Diskurs auf Augenhöhe

Insofern war Wolfs ZiB 2-Studiogespräch mit Bundeskanzler Sebastian Kurz am letzten Apriltag ein Labsal. Das war ein Diskurs auf gegenseitiger Augenhöhe, wobei Moderator Wolf in seiner Körpersprache authentischer wirkte als sein Gegenüber. Die Körpersprache des Bundeskanzlers wirkte mit den zwischendurch vor der Gürtellinie gefalteten Händen nahezu priesterlich. Weniger christlich-demokratisch hingegen wirkten dessen aus heiterem Himmel artikulierte falsche Vorwürfe gegenüber der SPÖ: Diese sei einem sowjetischen Massenmörder namens Lenin hörig. Mehrmals wiederholte er diese Propagandathese in dem ZiB 2-Interview. Quizfrage – auch an den Bundeskanzler: Was bedeutet der Name Lenin? Wie lautet Lenins Vorname? Wann lebte Lenin in Wien?

Erst jüngst hatte Kurz nationalistische Exzesse von FPÖ-Politikern explizit widerlich genannt und sich von diesen distanziert. Er hasse Rassismus und liebe die Pressefreiheit. So weit, so gut. Nicht klar distanziert hat er sich hingegen von der FPÖ-Warnung vor einem "Bevölkerungsaustausch", der ein von den rechtsextremen Identitären geschaffener Begriff ist. Hierzu befragt, weicht Kurz in allgemeingültige Phrasen aus, ohne seinen Koalitionspartner zur Rechenschaft zu ziehen, warum dieser sich justament dieses rechtsextremen Vokabulars bediene.

Manche Parallelen zwischen dem Vokabular aus der Zeit des Hitler'schen "Dritten Reiches" und diverser FPÖ-Politiker scheinen ihn nicht zu stören, vielleicht sogar einfach nicht aufzufallen. "Lernen Sie Geschichte", maßregelte einst Bundeskanzler Bruno Kreisky einen Journalisten. Dieser Zuruf könnte heute auch Kurz gelten, der es sich als erster ÖVPler nicht nehmen ließ, in Kreiskys einstiges Büro einzuziehen. Kreisky selbst konnte den Raum nicht leiden.

Lob der Pressefreiheit – nicht ohne Medienschelte

"Die Pressefreiheit ist ein hohes Gut, darüber brauchen wir nicht lange (zu) diskutieren." Das hätten alle Politiker zu akzeptieren, war Kurzens Sager am Tag der Arbeit. Doch auch die Medien, und hierbei vor allem die öffentlich-rechtlichen. Drohungen gegenüber Journalisten hätten absolut keinen Platz, das sei selbstverständlich, so der Bundeskanzler am 1. Mai. Der Konflikt zwischen ORF und FPÖ mache ihn "unglücklich". Sein eigener Konflikt mit dem ORF-Radio blieb unerwähnt.

Kurz wäre nicht Kurz, holte er bei dieser Gelegenheit nicht auch zu einer allgemeinen Medienschelte aus. Selbst unter den Journalisten ginge es immer härter zu. Wer die Regierungsarbeit lobe, werde von Kollegen in Social Media sofort attackiert. Flugs kommentierte der zuständige ORF-Chefredakteur in der Hauptnachrichtensendung ZiB 1 emphatisch die vormittags vorgestellte Steuerreform. Gut gemacht, oder?

So weit zu Österreich, das unter der jetzigen Regierung zunehmend ein autokratisches Politsystem droht. Warum auch nicht, könnte man meinen. Schließlich ist eine solche antidemokratische Rechtsrutsch-Entwicklung in ganz Europa wahrnehmbar. In den meisten Ländern verschlechterte sich die Situation der Medien. Das besagt ja auch die jährliche internationale Rangliste von Reporter ohne Grenzen. Ein illiberaler Freibrief sind diese Resultate jedoch nicht. Im Gegenteil: Sie sind ernsthafte Warnrufe.

Zeiten der Desinformation

Der Welttag der Pressefreiheit wurde übrigens 1993 aus der Taufe gehoben. Seit 22 Jahren verleiht außerdem die Unesco jährlich am 3. Mai einen internationalen Medien-Award. Heuer unter dem Motto "Medien für Demokratie: Journalismus und Wahlen in Zeiten der Desinformation". Preisträger sind die zwei Reuters-Journalisten Kyaw Soe Oo und Wa Lone aus Myanmar, die beide 2017 zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt worden sind.

Die beiden hatten Hintergründe eines Mordes an Rohingya-Männern durch die myanmarische Armee recherchiert. Der Mord an den Rohingyas ist in Myanmar ein Tabuthema. (Rubina Möhring, 3.5.2019)