100 der insgesamt 230 Tunnelkilometer sind bereits in den Berg getrieben.

Foto: Günter Wett

Innsbruck – Halbzeit im großen schwarzen Loch unter dem Brennermassiv. Die größte Tunnelbaustelle Europas schreitet zügig voran, vermeldete die italienisch-österreichische Brennnerbasistunnel Gesellschaft (BBT SE) diese Woche. 44 Prozent oder 100 der, mit Zubringerstollen, insgesamt 230 Tunnelkilometer wurden bereits in den Berg getrieben. Im Jahr 2028 sollen die ersten Güter- und Personenzüge die mit 64 Kilometern längste unterirdische Eisenbahnverbindung der Welt passieren können, so der Plan.

Im vom Transit geplagten Tirol zeigt sich die stellvertretende Landeshauptfrau und Verkehrsreferentin Ingrid Felipe (Grüne) mit dem Baufortschritt zufrieden: "Das ist angesichts des enormen vergaberechtlichen Aufwandes bei den einzelnen Baulosen sehr erfreulich."

Probleme bei Zulaufstrecken

Weniger Freude bereite ihr hingegen die Situation auf den Zubringerstrecken nördlich und südlich des Brenners. Denn der rund zehn Milliarden Euro teure Brennerbasistunnel kann ohne entsprechende Kapazitäten auf diesen Zubringerachsen nicht die von den Projektbefürwortern erhoffte Transitverkehrsentlastung bringen.

In Italien betrifft das die Strecke von Verona bis zum Tunneleingang in Franzensfeste. "Das Bewusstsein, dass etwas zu tun ist, ist da. Allein der Drive fehlt", attestiert Felipe den Kollegen im Süden. Zumindest habe sich der neue Landeshauptmann des Trentino, Lega-Nord-Mann Maurizio Fugatti, mittlerweile zum Projekt bekannt. Und auch Südtirols Landeschef Arno Kompatscher (SVP) versicherte im Vorjahr, dass die Bauarbeiten am Abschnitt zwischen Franzensfeste und Waidbruck rechtzeitig zur Eröffnung des Tunnels fertig werden.

Bayern braucht noch 20 Jahre

Im Norden, im bayrischen Unterinntal, ist man davon noch meilenweit entfernt. Wie ein Sprecher der Deutschen Bahn gegenüber dem STANDARD bestätigt, erwarte man zwar eine Fertigstellung bis "Ende der 2030er Jahre". Doch die Bahn sei lediglich "Auftragnehmer" des Bundes und auf dessen Entscheidungen angewiesen. Für etwaige Verzögerungen sei man daher nicht verantwortlich.

Zuständig ist also Berlin, von wo zu vernehmen ist, dass eine Fertigstellung vor 2040 unwahrscheinlich sei – so der Chef des Bundestags-Verkehrsausschusses Cem Özdemir (Grüne) gegenüber der Wochenzeitung Die Zeit. In Bayern formierte sich nämlich massiver Widerstand gegen die geplante zweigleisige Trasse. Daher versucht man nun, die Bevölkerung in die Planungen mit einzubeziehen. Mit dem Ergebnis, dass insgesamt 110 "Grob-Trassenverläufe" vorgeschlagen wurden. Davon habe man 37 näher geprüft, von denen wiederum ein Viertel in die engere Auswahl gekommen sind.

Bis Juli 2019 will man diese Auswahl auf "eine Handvoll" reduzieren, die dann dem Raumordnungsverfahren unterzogen werden. Frühestens in der zweiten Hälfte des Jahres 2020 werde sich daraus ein "favorisierter Grob-Trassenverlauf" ergeben. Dann wird die Deutsche Bahn den Ball zurück an die Politik spielen, die letztendlich über den Baustart entscheiden muss.

Dass die nördliche Zulaufstrecke erst zwei Jahrzehnte nach dem Tunnel fertig wird, sei aber kein Problem, versichert man aufseiten der Deutschen Bahn: "Es wird keinen Engpass geben, weil wir die bestehende Strecke in den nächsten Jahrzehnten technisch dafür ertüchtigen werden, diese Aufgabe zu erfüllen."

Begleitende Maßnahmen nötig

Ob das Megaprojekt überhaupt zur erhofften Verkehrsentlastung führt, ist indes weiter umstritten. Denn solange der Gütertransport auf der Straße billiger als jener auf der Schiene ist, werden die Frächter nicht umdenken. Tirols Verkehrslandesrätin pocht daher darauf, dass "endlich Kostenwahrheit" entstehen müsse. Sie meint damit die aus ihrer Sicht zu günstigen Maut- und Spritpreise auf der Brennerroute. In dem Zusammenhang bedauert sie, dass die aktuelle Steuerreform der österreichischen Bundesregierung "nicht ökologisiert" wurde, was dieser Kostenwahrheit zuträglich gewesen wäre.

In Deutschland müsse wiederum die Wirtschaft endlich mehr Druck auf Berlin machen, um verkehrspolitische Maßnahmen zur Verlagerung auf die Schiene zu forcieren. Konkret hofft Felipe dabei auf Konzerne im Großraum München, wie etwa Siemens.

Insgesamt fühlen sich die Tiroler von den Regierungen in Wien, Berlin und Rom nicht immer ernst genommen. "Es wäre besser, für dieses Projekt von der regionalen statt nationalen Ebene aus direkt mit der EU zu kooperieren", ist Felipe überzeugt. Die Achse zwischen Bayern, Tirol, Südtirol und dem Trentino solle dafür gestärkt werden. Denn die drängende Transitproblematik auf der Brennerroute werde in den jeweiligen Hauptstädten nur bedingt als solche wahrgenommen. (Steffen Arora, 3.5.2019)