Kampfansage an die klassische Architekturfotografie.

Foto: Dirk Härle

Für seine vierteilige Serie wurde der Münchner Architekt Dirk Härle ...

Foto: Dirk Härle

... gestern mit dem ersten Preis ausgezeichnet.

Foto: Dirk Härle
Foto: Dirk Härle

Ein Kletterseil ist empfehlenswert, ein Helm aufgrund des sich mitunter lösenden Gerölls absolute Pflicht, und dann kommt er, der sogenannte Stopselzieher, der kleine, schmale Felstunnel, durch den man durchkraxeln muss und der einem schließlich die letzte Passage auf die steil zulaufende Zugspitze offenbart. "Nach fünf bis sechs Stunden Fußmarsch ist man durchgeschwitzt und ausgepumpt", sagt der Münchner Architekt Dirk Härle, "und dann steht man plötzlich vor dem diesem befremdlich anmutenden Objekt, bei dem man weder weiß, was es ist, noch, wann es errichtet wurde. Am liebsten möchte man anklopfen und sofort eintreten."

Die Höhenstrahlungsstation in 2962 Meter Seehöhe wurde 1966 für das Fraunhofer-Institut errichtet und besteht aus massiven Aluminiumplatten. Dank der ungewöhnlichen Materialwahl können im Inneren der Station präzise, unverfälschte Messwerte gewonnen werden. Die an eine Mondkapsel erinnernde Form wiederum hat mit der Witterung zu tun und sorgt dafür, dass die enormen Schneemassen an den glatten Flächen spurlos abgleiten können. Die dreieckige Gaupe scheint ein schelmisch zwinkerndes Zitat an das Bauen im alpinen Raum zu sein.

Humorvolle Momente

"Ich habe, egal wohin ich gehe, immer eine klein Fuji-Kamera dabei und notiere damit all das, was ich witzig oder in irgendeiner Art und Weise im Kontext spannend finde", so Härle. "Ob das nun ein Heimspiel meines Lieblingsvereins 1860 im Grünwalder Stadion in Giesing ist, eine überdimensionale Kupferkrone über der Garage eines Spenglereibetriebs in der Münchner Innenstadt oder eine alte Plastiksitzschale aus dem alten 1860er-Stadion, die sich plötzlich mitten im winterlichen Wald wiederfindet, und das sogar in Sichtweite zur neuen Allianz-Arena."

Genau diese eigentümlichen, deplatzierten, ganz tief drinnen humorvollen Momente, die nicht unbedingt mit visueller Ästhetik als vielmehr mit der Wahl des Motivs zu tun haben, haben dem 47-jährigen Architekten gestern, Freitag, den Sieg beim Europäischen Architekturfotografie-Preis beschert.

Lustige Schnappschüsse

Der biennal vergebene Preis, der vom deutschen Verein Architekturbild e. V. in Zusammenarbeit mit der Bundesstiftung Baukultur und dem Deutschen Architekturmuseum (DAM) in Frankfurt am Main ausgelobt wird und der heuer unter dem Motto "Joyful Architecture" stand, hat die Aufgabe, das oft sperrige, oft menschenlose, oft schablonenhafte Medium der Architekturfotografie vor den Vorhang zu holen – und zu zeigen, dass es auch anders geht.

Abgefahren. Hinter den verschwommenen "Bewegtbildern" von Rainer Friedl ...
Fotos: Rainer Friedl

"Uns interessiert nicht die klassische Gebäudedokumentation, sondern die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Thema Architektur", erklärt die Vereinsvorsitzende Christina Gräwe. "Architektur wird oft sehr ernst und seriös betrachtet. Daher haben wir uns diesmal ganz bewusst dafür entschieden, uns auf die fröhliche, genussvolle Komponente des Bauens zu konzentrieren." Zwar gebe es unter den insgesamt 105 eingereichten Fotoserien etliche Spielplätze und lustige Schnappschüsse aus der Welt des Bauens, doch die Mehrheit der Arbeiten, so Gräwe, offenbare hinter der oberflächlichen Fröhlichkeit eine durchaus kritische Tiefenschärfe.

... verbirgt sich eine Kritik an der österreichischen Raumordnung und Zersiedelungspolitik.
Fotos: Rainer Friedl

Hässlichkeiten Österreichs

So auch die mit einer Auszeichnung prämierte Serie Bewegtbilder des Tullner Fotografen Rainer Friedl. Hinter den vier bunten, angenehm kolorierten und hübsch anzuschauenden Tableaus verbirgt sich eine der größten Hässlichkeiten Österreichs. "Die Lärmschutzwände entlang der Autobahnen sind eine ziemliche optische Herausforderung. Und je schöner man sie zu tarnen, kaschieren und behübschen versucht, umso schlimmer stemmen sich die hunderte Kilometer langen Trennwände gegen die Landschaft."

Fotos: Rainer Friedl

Vor allem aber machen die Lärmschutzwände, die Friedl in den letzten Monaten auf der A1, A2 und A21 aus dem fahrenden Auto heraus fotografiert hat, anschaulich, wie wir in diesem Land mit Mobilität, Wohnraum und Baulandwidmung umgehen: "Wir rasen möglichst schnell irgendwohin, um Ruhe zu haben. Und auf dem Weg dorthin belästigen wir all jene, die sich ihren Traum im Grünen verwirklichen wollten, letztendlich aber der österreichischen Raumplanung und Zersiedelungspolitik zum Opfer gefallen sind, für die wir wiederum mit Steuergeldern akustische Schutzmaßnahmen errichten müssen." Ein verschwommenes Foto kann tausend Worte sagen. (Wojciech Czaja, 4.5.2019)