In der Serie alles gut? denkt STANDARD-Redakteur Andreas Sator über eine bessere Welt nach – und darüber, welchen Beitrag er leisten kann. Melden Sie sich hier für seinen kostenlosen Newsletter an.

Man könnte schon über sie lachen. Die Klimakrise ist eine der größten Herausforderungen, vor der die Welt je gestanden ist. China und Indien verheizen massiv Kohle und treiben die Erderwärmung an. Und ein paar Menschen in Österreich glauben, sie können mit veganem Leben oder Verzicht auf Flugreisen einen Unterschied machen. Ein Witz? Nein. Sondern Teil der Lösung – wenn wir es richtig angehen.

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Seien wir ehrlich: Das Verhalten anderer hat uns alle schon aufgeregt.
Foto: Getty Images/iStockphoto/Deagreez

Ich fange mit der Einschränkung an: Die Kritikerinnen und Kritiker haben recht. Es macht keinen Unterschied. Ob ich in diesen einen Flieger steige, Müll trenne, einen eigenen Kaffeebecher mitnehme oder ein einzelnes Steak nicht esse: Das Klima wird es nicht merken. Noch dazu ist es derzeit völlig unmöglich, klimafreundlich zu leben.

Selbst wer sich viel Mühe gibt: Die Gebäude, in denen wir leben, die Straßen, die wir nutzen (ob mit dem Rad oder Auto), die Bücher, die wir lesen – in der Herstellung von fast allem, was wir nutzen, stecken indirekt Klimagase, durch Öl, Gas oder Kohle, schmutzigen Strom, Zement, Stahl oder spätestens beim Verbrennen von Müll. Es gibt kein Vorbei.

Und selbst wenn man klimaneutral leben könnte, ist der Nutzen klein. Der Klimaforscher Gernot Wagner hat dazu eine nette Anekdote. Sagen wir, der Papst bringt mit einem großen Plädoyer alle Katholiken – mehr als eine Milliarde Menschen – wie durch ein Wunder dazu, kein CO2 mehr auszustoßen. Ist das Problem dann gelöst? Nein, die Emissionen würden zwar kurz nach unten sacken, aber weiter steigen. Warum? Weil die Infrastruktur der Welt auf fossilen Energien aufgebaut ist. Etwas weniger CO2 reicht nicht, über kurz oder lang müssen die Emissionen auf null.

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Das Klimaproblem individuell lösen? Unmöglich.
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Dafür müssen sich große Systeme ändern: Wie wir unsere Wohnungen heizen, woher der Strom aus der Steckdose stammt, wie wir von A nach B kommen, Fabriken arbeiten, Landwirtschaft funktioniert und wir mit Abfall umgehen. All das kann nur die Politik ändern. Sie muss es uns erst einmal möglich machen, überhaupt klimaneutral zu leben. Und wenn das einmal geht, muss sich die Einzelne keine großen Gedanken mehr machen.

Die Frage ist nur, wie wir in eine Welt kommen, in der die Politik das Notwendige dafür tut. Und das ist mein Punkt: Um dort hinzukommen, ist das Verhalten von Einzelnen sehr wohl dienlich – es ist also sozusagen Mittel zum Zweck.

Wie reagieren wir auf Rauch? Das kommt darauf an.
Foto: APA/Hilde Aeschbacher-Langer

Um das zu verstehen, hilft ein Experiment aus den 1960ern, mittlerweile ein Klassiker der Psychologie. Wissenschafter ließen Menschen in einem kleinen Raum Fragebögen ausfüllen. Über eine Öffnung wurde Rauch hereingelassen. Es gab zwei Gruppen. Einmal waren die Teilnehmer alleine im Raum. Ein anderes Mal setzten die Wissenschafter Menschen dazu, die eingeweiht waren. Ihre Aufgabe im Experiment war, kurz aufzuschauen, wenn Rauch kommt, und dann seelenruhig den Fragebogen weiter zu befüllen.

Was passierte? Fast alle, die alleine im Raum waren, gingen raus, als Rauch kam, und handelten nachvollziehbar: Sie teilten jemandem mit, dass Rauch hereinkam. Die Teilnehmer, die gemeinsam mit anderen im Raum waren, reagierten fast nie. Sie blieben einfach sitzen! Weil es die anderen auch taten – und wenn die nicht reagieren, wird das Ganze schon nicht so schlimm sein. Sie waren verunsichert und nahmen das Verhalten anderer als Information wahr.

Mit dem Klimawandel ist es wie mit dem Rauch. Das Argument von Psychologen: Er ist kompliziert, CO2 unsichtbar, wenn es ein Grad heißer ist, merkt man das nicht sofort, und Unwetter gab es auch früher. Wenn nun Leute ihr Leben ändern, auf ein E-Auto umsteigen, vegan leben oder Flüge reduzieren, senden sie Signale aus.

"Wenn man unsicher ist, nimmt man das Verhalten anderer als Information", sagt Adrian Brügger von der Universität Bern. "Man will außerdem nicht negativ auffallen, akzeptiert werden und tut, was andere tun." Die Psychologin Nicki Harré sagt, Menschen seien von Geburt an Imitatoren. Schon Babys ahmen die Gesichtsausdrücke ihrer Eltern nach – und das sei bei Erwachsenen ähnlich.

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Eine PV-Anlage am Dach weckt das Interesse von Nachbarn.
Foto: dpa/Armin Weigel

Was wir tun, hat also Auswirkungen auf unser Umfeld. Taten können auch effektiver sein als Worte, schreiben eine Reihe von Psychologen in Nature. Weil man aus Handlungen wahre Überzeugungen von Menschen besser ablesen kann. Ihre Studie zeigt, dass Menschen mit einer Photovoltaikanlage am Dach 63 Prozent mehr Erfolg dabei hatten, andere auch von einer zu überzeugen, als jene ohne. Installiert eine Nachbarin eine PV-Anlage, will man viel wahrscheinlicher selber ebenfalls eine, zeigt eine andere Arbeit.

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Klimasünder Kuh: Fleisch erhitzt die Erde.
Foto: dpa/Marcus Führer

Individuelle Handlungen gegen die Klimakrise können also Dringlichkeit anzeigen, stecken andere an und machen uns glaubwürdiger. Sie helfen auch gegen kognitive Dissonanz. Das ist ein kompliziertes Wort dafür, dass wir uns laufend selbst anlügen. Niemand lebt gerne so, dass die Welt davon einen Schaden hat. Beim Klimawandel passiert aber das: Auto, Strom und Essen heizen das Klima an.

Weil das nicht zusammenpasst, finden wir Ausreden. Ist ja nicht so schlimm, der Nachbar isst noch mehr Fleisch oder am Klimawandel sind Vulkane schuld. Wer nachhaltiger lebt, kann ehrlicher zu sich sein – und ermöglicht damit eine andere Debattenkultur rund um die Klimakrise. "Wir sind, was wir tun", sagen Psychologen. Heißt: Unser Verhalten entscheidet unterbewusst mit, was wir denken.

Porsches in einem Werk in Leipzig.
Foto: APA/dpa-Zentralbild/Jan Woitas

Gesellschaftliche Probleme auf Einzelne herunterzubrechen kann aber auch nach hinten losgehen. Im Extremfall kann das zu einem "single action bias" führen, schreiben Gernot Wagner und Martin Weitzman in dem Buch "Klimaschock". Wir setzen eine Handlung und sehen die Sache als erledigt an. Mit einer energiesparenden Glühbirne ist etwa das Thema Klima für uns abgehakt. Das darf keinesfalls passieren.

Achten wir darauf, kann jeder von uns dazu beitragen, dass aktivere Klimapolitik wahrscheinlicher wird. Nachdem ich etwa einen Artikel über das Fliegen und den Klimawandel recherchiert hatte, meinte ich zu Freunden: Ausflüge für ein paar Tage per Flieger will ich nicht mehr machen. Ein Freund macht sich bis heute darüber lustig, aber ich kann damit besser leben und habe eine Debatte ausgelöst.

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Sie fahren mit Helm? Nehmen Sie ihn in die Sitzung mit.
Foto: dpa/Andreas Gebert

Wir können also alle etwas tun. "Nicht konfrontativ sein", empfiehlt Adrian Brügger von der Uni Bern. "Du handelst falsch!", helfe nicht. Die Psychologin Nicki Harré empfiehlt, indirekt aufdringlich zu sein. Also mit dem Fahrrad in die Arbeit zu fahren und den Helm in die Sitzung mitzunehmen. So, dass das auch wirklich jeder sieht.

All das bringt für sich genommen überhaupt nichts, solange die Politik nicht das Zepter in die Hand nimmt und beginnt, Systeme zu ändern. Aber wir schaffen damit ein Klima, in dem politisches Handeln wahrscheinlicher wird. Die meisten von uns gehen wählen, obwohl ihre Stimme für sich genommen keinen Unterschied macht. Weil uns die Demokratie wichtig ist. Mit dem Klima ist es das Gleiche.

Wenn Ihnen der Artikel gefallen hat, melden Sie sich für den Newsletter an. Ich schreibe Ihnen, wenn im Rahmen der Serie ein neuer erscheint. (Andreas Sator, 21.5.2019)