Bodo Mrozek: "Jugend – Pop – Kultur. Eine transnationale Geschichte", 866 Seiten, € 35, Suhrkamp 2019.

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Potsdam – Das schmähende Wort "Halbstarke" ist heute noch einigermaßen bekannt – andere zeitgenössische Begriffe mit vergleichbarer Stoßrichtung, etwa "Geräuschathleten", "Plünnenheinis" oder "Schluckauf-Carusos", sind hingegen längst dem Vergessen anheimgefallen. Der Historiker Bodo Mrozek hat sie nun wieder hervorgekramt, wenn er in einem fast 900 Seiten starken Buch die Geschichte der Popkultur Revue passieren lässt. Dabei kommt er zu interessanten Schlussfolgerungen – vor allem, was das Spannungsverhältnis zwischen Nationalismus und Transnationalismus betrifft.

Für seine Studie hat der Historiker Archivdokumente aus unter anderem Frankreich, Großbritannien, den USA, der Bundesrepublik Deutschland und der DDR ausgewertet, berichtet das Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam, wo Mrozeks Buch "Jugend – Pop – Kultur. Eine transnationale Geschichte" entstanden ist. In allen untersuchten Staaten löste Mitte des 20. Jahrhunderts ungewohntes Verhalten von Jugendlichen Irritationen aus. Verantwortlich gemacht wurden dafür die neuen Sounds der Rock- und Popmusik. Skandalisierungs- und Zensurversuche, Boykotte und Polizeiaktionen waren die Folge.

Eine Form von Globalisierung

Laut Mrozek war die Kritik an der neuen Kultur, die sich kurz nach dem Zweiten Weltkrieg formierte, kulturpessimistisch bis offen rassistisch. Traditionsbewusste Eliten schockierte aber nicht nur die Technisierung der an Kino und E-Gitarre orientierten neuen Massenästhetik, sondern auch der internationale Charakter der Szene.

"Heute wird oft behauptet, Internationalisierung sei ein Privileg der globalisierten Eliten", so Mrozek. "Weniger gebildete Menschen hingegen bräuchten eine nationalkulturelle Heimat. Meine Ergebnisse zeigen aber, dass die Impulse zu einer internationalen Kultur jahrzehntelang gerade von den weniger gebildeten Schichten ausgingen, während die Eliten mit drastischen Maßnahmen eine Nationalkultur durchsetzen wollten."

Stereotypen

Mrozek ging in seiner Analyse der Übernahme negativer Sozialstereotypen aus Literatur und Kino durch Polizei und Politik nach. So hätte sich beispielsweise nach tumultartig verlaufenen Film- und Musikaufführungen in England das Klischee des Arbeiterjugendlichen als gewalttätiger Messerstecher durchgesetzt. In Frankreich hingegen wurden junge Algerier als gewaltbereite "Blousons noirs" pauschal verurteilt. Jungen Frauen wiederum warf man Verstöße gegen die Sexualmoral vor, wenn sie auf Konzerten lautstark Emotionen äußerten.

Letztlich standen die "Abwehrkämpfer" aber auf verlorenem Posten, wie die Geschichte gezeigt hat. Gegen die Skandalisierungen etablierten sich in den 1960er Jahren nämlich allmählich auch neue Formate für internationale Popmusik in Kino, Rundfunk, Fernsehen und auf dem Zeitschriftenmarkt. Und oftmals geschah dies auf Druck der in Fanclubs transnational organisierten Jugendlichen. "Die Jugendpopkultur war eine Transnationalisierung von unten", fasst der Historiker seinen Befund zusammen. (red, 5. 5. 2019)