Franz Fischler war Österreichs erster EU-Kommissar. Heute sorgt er sich um die Zukunft Europas.

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Franz Fischler gilt als europäisches Gewissen der Volkspartei. Kurz vor der EU-Wahl nimmt er die liberalen Kräfte der Mitte in die Pflicht, sich Rechtspopulisten entschiedener entgegenzustellen.

STANDARD: Die EU-Wahlen stehen an. Was würden Sie dabei als die drängendste Herausforderung Europas bezeichnen?

Fischler: Die Grundfrage schlechthin, die im Zusammenhang mit der Wahl geklärt werden müsste, lautet: Was wollen wir eigentlich – noch – miteinander in Europa? Denn mittlerweile ist die Möglichkeit des Zerfalls der Union eindeutig gegeben. Das wird durch das Verhalten einer wachsenden Zahl von nationalen Politikern verschärft. Unter den Regierungschefs der EU sind immer mehr, die nur darauf aus sind abzutesten, wie viel man sich erlauben kann, ohne hinausgeworfen zu werden. Das sind vor allem die Vertreter der Visegrád-Staaten.

STANDARD: Trägt nicht auch Österreich Mitschuld? Etwa wenn man das vergangene Jahr betrachtet mit dem Versuch einer "Achse Salvini- Seehofer-Kickl"?

Fischler: Ich lehne es ab, Herrn Kickl als Repräsentanten Österreichs zu akzeptieren. Der ist zwar in der Regierung, aber Österreich ist viel, viel mehr. Das ist zum Beispiel der Herr Van der Bellen, das sind andere Regierungsmitglieder, das sind die Intellektuellen des Landes. Ich wehre mich dagegen, dass diese nationalistischen bis rechtsextremen Rülpser als Österreich dargestellt werden. Leider wird das auch im Ausland oft so wahrgenommen. Es stört mich, dass man dagegen so wenig unternimmt.

STANDARD: Was sollte man dagegen tun?

Fischler: Der wachsende Rechtspopulismus ist mittlerweile in ganz Europa ein Problem. Ihn zu ignorieren und seine Vertreter auszugrenzen wie früher ist keine Lösung. Dazu sind das viel zu viele geworden. Man muss sagen, dass heute europaweit 20 bis 30 Prozent der Bevölkerung in diese Richtung tendieren. Sich zu fürchten und zu jammern bringt auch nichts. Das eigentliche Problem ist aus meiner Sicht nicht die relative Stärke der Populisten, sondern die große und weiter wachsende Schwäche der Vertreter der liberalen Demokratie. Die Parteien der Mitte sind gefordert, sich für ihre Positionen starkzumachen. Es ist eine dramatische Entwicklung, dass wir da alle miteinander zu sehr zuschauen.

STANDARD: Wie steuern Sie als gewichtige politische Stimme der ÖVP dieser Entwicklung gegen?

Fischler: Ich habe da nur kleine Spieße, mit denen ich kämpfen kann. Aber wir haben nicht aus Zufall für das diesjährige Europäische Forum Alpbach das Thema "Freiheit und Sicherheit" gewählt. Heuer jährt sich zum 20. Mal der Todestag von Karl Popper, und ein zentraler Satz seiner Philosophie lautete: Wir müssen für die Freiheit planen, nicht für die Sicherheit. Das sollten wir uns alle wieder hinter die Ohren schreiben.

STANDARD: Zur Schwäche der liberalen Kräfte: Der EU-Spitzenkandidat der ÖVP, Othmar Karas, wird von der FPÖ massiv angegriffen und diffamiert. Hat er genug Rückhalt in der eigenen Partei?

Fischler: Die Frage lautet: Wie viel ist genug? Abgesehen davon, dass Othmar Karas ein alter Freund von mir ist und mehr Unterstützung vonseiten der ÖVP verdienen würde, stört mich viel mehr, dass Herr Vilimsky mehrfach öffentlich und unwidersprochen behaupten konnte, er sei der Regierungskandidat für die europäischen Wahlen. Das ist genau genommen eine Frechheit. Herr Vilimsky ist das Gegenteil davon, und er macht ja nicht einmal einen Hehl daraus, dass es sein Ziel ist, die jetzige EU zu zerstören.

STANDARD: Schadet es der ÖVP, mit einem Regierungspartner aufzutreten, der die EU so grundsätzlich ablehnt?

Fischler: Ich bin nicht der Regierungskommentator. Aber eines ist richtig, und das muss man klar sehen: Die bisherige Theorie, dass Regierungsarbeit die eine Sache ist und das, was die FPÖ als Partei für sich macht, die andere, und dass beides nichts miteinander zu tun hat, ist nicht haltbar. Das erfordert eine Klarstellung.

STANDARD: Zurück zur europäischen Ebene: Wie groß ist die Gefahr, dass nun jene nationalistischen Kräfte, die die EU ablehnen, sich europaweit zusammentun?

Fischler: Die werden sich verbünden. Früher waren sie untereinander derart zerstritten, dass es zu keiner gemeinsamen Gruppe gekommen ist. Das hat sich geändert, weil immer mehr Regierungskräfte wie Herr Salvini oder Herr Orbán dabei sind. Damit steigt das Risiko, dass deren Ideen mehr Unterstützung erhalten. Und das bestätigt meine Position, die da lautet: Wo sind eigentlich die anderen, die andere europäische Positionen noch viel kräftiger vertreten sollten? Wo ist Frau Merkel? Von Herrn Macron und den Benelux-Staaten und selbst aus Skandinavien hört man fast nichts mehr. Das ist besorgniserregend. (Steffen Arora, 6.5.2019)