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Über Ashkelon, das unweit der Grenze zum Gazastreifen liegt, konnte das Raketenabwehrsystem Iron Dome einige der Geschoße abfangen.

Foto: REUTERS/ Amir Cohen

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Auch am Sonntagabend wurden aus Gaza Raketen abgefeuert.

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Grafik. STANDARD

Ramallah/Jerusalem – Zwischen Kriegs- und Feierstimmung liegen in Israel gerade einmal 60 Kilometer: Während am Wochenende die ersten Proben für den Eurovision Song Contest (ESC) in Tel Aviv begannen, rannten die Bewohner der Dörfer und Städte nahe dem Gazastreifen mehrfach in die Schutzbunker. Wenige Tage vor dem Beginn des international vielbeachteten Musikwettbewerbs spitzte sich die Lage im Südwesten Israels wieder einmal gefährlich zu, auf beiden Seiten kamen bereits Zivilisten ums Leben.

Waffenstillstand

Nach dem Gewaltausbruch haben sich die Palästinenser nach eigenen Angaben auf einen Waffenstillstand mit Israel verständigt. Das Abkommen beginne Montagfrüh, sagte ein palästinensischer Vertreter der Nachrichtenagentur Reuters. Eine Fernsehstation, die der in Gaza herrschenden Hamas gehört, bestätigte die Übereinkunft.

Eine offizielle Bestätigung für die Waffenruhe gab es von israelischer Seite nicht. Israels Armee hat allerdings am Montag alle Einschränkungen für die israelische Bevölkerung im Grenzgebiet wieder aufgehoben. Man kehre zur Routine zurück, teilte das Militär mit. Die meisten der rund 200.000 Kinder und Jugendliche in dem betroffenen Gebiet sollten wieder zur Schule gehen.

US-Präsident Donald Trump erteilte den Bewohnern des Küstengebiets eine Warnung. "An die Menschen in Gaza: Diese Terrorakte gegen Israel werden euch nur noch mehr Elend einhandeln. Stoppt die Gewalt und arbeitet auf Frieden hin – es ist möglich!", twitterte er in der Nacht auf Montag. Weiters teilte Trump mit: "Wir unterstützen Israel zu 100 Prozent bei der Verteidigung seiner Bürger."

Alarm auch in der Wüste

Zuvor wurden seit Freitagabend aus dem Gazastreifen mehr als 600 Raketen auf Israel abgefeuert, die meisten davon auf Dörfer und Städte im Grenzgebiet. Sirenen heulten aber auch im mehr als 40 Kilometer entfernten Be’er Sheva, in Rehovot und in Beit Shemesh nahe Jerusalem. Dabei kamen vier Israelis ums Leben, 150 wurden verletzt. Unter den Toten ist ein 58-jähriger Familienvater, der in der Küstenstadt Ashkelon von Trümmerteilen im Brust- und Bauchbereich schwer und letztlich tödlich verletzt wurde. Ein Panzerabwehrgeschoß traf ein Auto am nördlichen Rand des Gazastreifens, der Fahrer wurde getötet.

Dutzende Menschen mussten von Sanitätern des Roten Davidsterns behandelt werden; viele von ihnen zeigten Stresssymptome, einige verletzten sich, als sie in die Schutzräume rannten, andere wurden von Trümmerteilen verletzt. Im Süden wurden mehrere Häuser getroffen, darunter ein Kindergarten in Sderot sowie eine Fabrik in Ashkelon. Ein Gebäude des Krankenhauses in Ashkelon wurde Berichten zufolge von Trümmerteilen beschädigt, eine Rakete landete in einem Wohngebiet in Be’er Sheva, verletzte aber niemanden.

Schulen und Kindergärten geschlossen

Entlang des Küstenstreifens blieben am Sonntag – in Israel der erste Arbeitstag der Woche – Schulen und Kindergärten geschlossen. Bereits am Samstag wurden Gebiete und Straßen nahe der Grenze gesperrt, ebenso der Zikim-Strand. Erstmals seit dem Gazakrieg 2014 verhängte der jüngst wiedergewählte Premier Benjamin Netanjahu am Sonntag einen "Sonderstatus" für die Gemeinden im Umkreis von bis zu 40 Kilometern entlang des dichtbesiedelten Gazastreifens.

Die israelische Armee griff im Gegenzug mehr als 250 militärische Ziele im Gazastreifen an, darunter Trainingszentren und Waffenschmieden sowie einen Tunnel der Terrororganisation Islamischer Jihad, der nach Angaben der Armee 20 Meter unter der Erde vom südlichen Gazastreifen bis unter israelisches Gebiet führte und für Terrorangriffe auf die israelische Bevölkerung gegraben worden sein soll. Außerdem griff die Armee mehrere Privathäuser von Funktionären von Hamas und Islamischem Jihad an, in denen sich Waffen befunden haben sollen.

Tote auch in Gaza

Mindestens 16 Menschen sollen in Gaza bisher getötet worden sein, darunter mehrere Mitglieder von Hamas und Islamischem Jihad sowie eine schwangere Frau und ihr 14 Monate altes Kind. Nach Angaben der Armee wurden sie aber nicht von israelischen Geschoßen getroffen, sondern von einer Rakete aus Gaza, die ihr Ziel verfehlte und im Küstenstreifen aufschlug. Am Sonntagnachmittag meldete die israelische Armee, ein Luftschlag habe einem Hamas-Kommandanten gegolten, der für die Terrorgruppe als Kontaktperson zum Iran diente. Der Angriff schwäche den Einfluss Teherans im Gazastreifen, heißt es. Die Hamas bestätigte den Tod ihres Kaders.

Israel hat mittlerweile die Grenzübergänge geschlossen und eine Panzerbrigade in den Süden verlegt. Es wird damit gerechnet, dass die Gefechte noch einige Tage lang anhalten. Vorausgegangen war der derzeitigen Eskalation ein Schlagabtausch im Grenzgebiet: Während der Freitagsproteste schoss ein palästinensischer Scharfschütze auf zwei israelische Soldaten, die dort patrouillierten und verletzt wurden. Im Gegenzug griff Israel eine Hamas-Stellung an und tötete dabei zwei Palästinenser.

Song Contest als Ziel

Doch der Vorfall dürfte nicht der vorrangige Grund für den andauernden Raketenbeschuss sein: Beobachter gehen davon aus, dass die Terrorgruppen im Küstenstreifen die anstehenden Feierlichkeiten in Israel ausnutzen, um ihre Ziele durchzusetzen, weil sie wissen, dass Israel jetzt nichts dringender will als Ruhe. Israel feiert in dieser Woche den Unabhängigkeitstag – außerdem werden in diesen Tagen tausende Touristen zum Song Contest in Tel Aviv erwartet.

Am Sonntagmorgen kündigten Hamas und Islamischer Jihad noch an, ihre Angriffe auf Gebiete in Regionen auszuweiten, die mehr als 40 Kilometer vom Küstenstreifen entfernt liegen. Am Abend erklärte Hamas-Chef Ismail Haniya dann, eine neue Feuerpause sei möglich, wenn Israel sich einer Waffenruhe ebenfalls verpflichtet zeige.

Berichten zufolge sind die radikalen Islamisten in Gaza unzufrieden mit der Umsetzung der Vereinbarungen nach der letzten Eskalation vor einigen Wochen. Angeblich soll versprochenes Geld aus Katar noch nicht bei den Menschen angekommen sein. Das israelische Außenministerium teilte mit, Israel habe Geldlieferungen aus Katar nicht verhindert. (Lissy Kaufmann, APA, 6.5.2019)